Spinnennetze sind beeindruckende biologische Bauten, die auch die Forschung inspirieren. Achtung: Im folgenden Artikel wird auch das Foto einer Spinne gezeigt.
Foto: Phil Noble / Reuters

Nicht nur Raupen produzieren Seide: Auch die Fäden von Spinnen können als Seide bezeichnet werden. Sie sind etwa durch ihre Reißfestigkeit und gleichzeitige Flexibilität ein Vorbild für neue Materialien. Diese lassen sich auch in der Medizin anwenden, wie ein Team der Med-Uni Wien und der Universität Oxford in Großbritannien deutlich macht. Die Forschungsgruppe experimentierte mit der Seide von Seidenraupen und Spinnen und leitete daraus Möglichkeiten ab, Nervenverletzungen zu reparieren.

Nicht nur aus Kollagen, sondern auch aus der tierischen Seide lassen sich Nervenleitschienen herstellen, wie die Fachleute im Journal "Advanced Healthcare Materials" schreiben. Das Team um Christine Radtke, Leiterin der Universitätsklinik für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie der Med-Uni Wien, stellte in Zusammenarbeit mit internationalen Kolleginnen und Kollegen Nervenleitschienen aus zwei verschiedenen Seidenarten her: Die Seide von Seidenraupen wurde für die Röhrchen, die Seide von Spinnen für deren Füllung verwendet.

Verbindung über kurze Distanz

Generell handelt es sich bei Nervenleitschienen um Röhrchen, die an den Enden eines verletzten Nervs angenäht werden. So werden sie wieder miteinander verbunden, das funktioniert zumindest über kurze Distanzen oft gut. Um das Verfahren und damit die Heilung noch besser zu machen, ziehen Fachleute in Betracht, die Röhrchen mit Füllmaterial auszustatten.

Im Tiermodell passten sich die durchtrennten Nervenbahnen an die neuartigen Nervenleitschienen aus Seide an und wuchsen entlang der Seidenfäden, bis die durchtrennten Nervenenden wieder miteinander verbunden waren. "Im Rahmen unserer Studie ist es uns nicht nur gelungen, eine Nervenreparatur herbeizuführen, wir konnten auch die Komponenten des Heilungsprozesses im Detail analysieren", wird Erstautor Lorenz Semmler von der Med-Uni Wien in einer Aussendung zitiert.

Die Goldene Radnetzspinne ist eine erstaunliche Kollegin der Chirurgie.
Foto: MedUni Wien / Radtke

Die Röhrchen aus Seidenraupenseide sind mit einer porösen Wand ausgestattet, um den für die Funktionalität der Nerven notwendigen Austausch von Nähr- und Abfallstoffen zu gewährleisten. Darüber hinaus gewann das Team Informationen über die molekulare Struktur der Röhrchen, die für deren Stabilität und das Vermeiden von Knicken und Brüchen verantwortlich ist.

Spinnenseide bevorzugt

Füllmaterial als Leitstruktur im Inneren der Röhrchen soll dem geschädigten Nerv als "Handlauf" dienen, an dem sich das regenerierende Gewebe orientieren und entlangwachsen kann. "In unserer Studie stellte sich heraus, dass periphere Nerven gut funktionieren, wenn solche Fäden aus Seide bestehen, wobei Spinnenseide bei den Führungsschienen offenbar bevorzugt wird", sagt Semmler.

Deshalb arbeitet das wissenschaftliche Team im nächsten Schritt bereits daran, den möglichen Einsatz von Spinnenseide bei peripheren Nervenverletzungen des Menschen zu erforschen. Die Ergebnisse der Studie sollen durch klinische Arbeiten bestätigt werden. Radtke betont: "Unsere Studie ist ein wichtiger Schritt in der regenerativen Neurowissenschaft." (APA, red, 3.4.2023)