Zuerst kam die Rede, dann das Plakat. Die Botschaften, die Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) vor einem Monat in seiner knapp eineinhalbstündigen "Rede zur Zukunft der Nation" zum Besten gegeben hatte, werden nun landauf, landab plakatiert. Schließlich sollen alle Wählerinnen und Wähler erfahren, was sich die Volkspartei bis zum Jahr 2030 für Österreich vorstellt. Zuvor hatten schon die Grünen ihre "Mission: Klimaglück" und die FPÖ ihre "Festung Österreich" plakatiert. Und auch die SPÖ sorgt erneut mit eigenwilligen Sujets für Debatten.

Das türkis-grüne Ende scheint besiegelt: Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) und Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP).
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Es ist längst kein Geheimnis mehr: Die Parteizentralen rüsten sich für die nächste Nationalratswahl – und bringen sich mit allen Mitteln in Stellung. Der Vorwahlkampf ist eröffnet, obwohl der nächste Urnengang planmäßig erst im Herbst 2024 über die Bühne geht. Dass die Parteien bereits jetzt auf Wahlkampfmodus schalten, ist keine gute Nachricht. Denn das bedeutet meist auch politischen Stillstand.

Insbesondere das Gebaren von ÖVP und Grünen lässt erkennen, dass man einander kaum noch als Partner sieht. Er gehe davon aus, dass die SPÖ in zwei Jahren Teil einer neuen Regierung sein werde, "im besten Fall gemeinsam mit den Grünen und mit den Neos", sagte der grüne Gesundheitsminister Johannes Rauch in der Vorwoche im Parlament. Manche trauten ihren Ohren nicht. Da wünscht sich ein grüner Minister in aufrechter Koalition mit der ÖVP auf offener Bühne und vollkommen unverhohlen eine Ampelkoalition.

Verhärtete Fronten

Diese Episode zeigt: Die Fronten sind verhärtet – nicht nur in rhetorischer Hinsicht, sondern auch auf inhaltlicher Ebene. Vor allem die Grünen beklagen, dass die ÖVP ihnen keinen Erfolg mehr gönnen würde. Jüngstes Beispiel ist die gescheiterte Mietpreisbremse: Wochenlang wurde erfolglos verhandelt, das Ergebnis war schließlich ein einmaliger Wohnkostenzuschuss. Dass der Regierung noch große Würfe gelingen – Stichwort Klimaschutz- und Informationsfreiheitsgesetz oder Bundesstaatsanwalt –, wird mit jedem Tag unwahrscheinlicher.

Das türkis-grüne Ende scheint ohnehin besiegelt. In Umfragen sind ÖVP und Grüne seit Monaten Lichtjahre von einer Mehrheit entfernt. Selbst wenn man diese hätte, waren die Botschaften der vergangenen Wochen und Monate von beiden Seiten doch mehr als unmissverständlich: Man hat genug voneinander und sehnt sich nach etwas Neuem.

Auch aus diesem Grund dürfte die ÖVP nun in ihrer Frühjahrskampagne Inhalte trommeln, die mit den Grünen ohnehin nicht umsetzbar wären: Förderung des Eigentums, Härte in der Migration und Kürzung von Sozialleistungen.

Vergangenheitsbewältigung

Die Beschäftigung mit der Zukunft des Landes hat für die Partei einen angenehmen Nebeneffekt: Sie soll von eigenen Problemen ablenken, die nun durch die neuerliche Inseratenaffäre wieder mehr mediale Aufmerksamkeit erhalten. Gefragt, ob die ÖVP gedenkt, auch an Maßnahmen für mehr Transparenz und gegen Korruption zu arbeiten, hatte Generalsekretär Christian Stocker eine vielsagende Antwort: "Wir beschäftigen uns mit der Zukunft, das ist ein Thema der Vergangenheit."

Doch um sich ernsthaft mit der Zukunft zu beschäftigen, braucht es zunächst einmal aufrichtige Vergangenheitsbewältigung. Davon ist die Volkspartei allerdings noch weiter entfernt als vom Jahr 2030. (Sandra Schieder, 4.4.2023)