Journalistinnen und Journalisten versuchen, Wissenschaft anschaulich zu vermitteln. Dabei helfen unter anderem vereinfachende Modelle – und mathematisches Verständnis.
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Die Science Media Center (SMC) sind im Wissenschaftsjournalismus eine fixe Größe geworden. 2002 erstmals in Großbritannien als gemeinnützige Organisation gegründet, stellen die Einrichtungen Journalisten und Journalistinnen wissenschaftliche Expertise zu relevanten Themen zur Verfügung. Mittlerweile gibt es mehrere Science Media Center, die redaktionell unabhängig agieren.

Das deutsche SMC wurde 2015 gegründet, finanziert durch die Klaus-Tschira-Stiftung, einen Verein der Freunde und Förderer des SMC und innovativer Forschungsprojekte, mit denen Werkzeuge für den Wissenschaftsjournalismus beforscht und entwickelt werden. Geschäftsführer ist der Wissenschaftsjournalist Volker Stollorz.

Volker Stollorz ist leitend im Science Media Center aktiv und sorgt damit für eine wichtige Ressource des Wissenschaftsjournalismus.
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STANDARD: Wie geht es dem Wissenschaftsjournalismus in Deutschland?

Stollorz: "Die Zeit" war vor gut 30 Jahren eines der ersten Medien, die in Deutschland ein ganzes Ressort für die regelmäßige Berichterstattung über Wissenschaftsthemen eingeführt haben. Ich war damals Redakteur bei "Die Woche", ab 2001 war ich im Team der "FAZ"-Sonntagszeitung. Das waren die goldenen Jahre. In der Zeitungskrise und durch die Herausforderungen der Transformation der Geschäftsmodelle als Folge der Digitalisierung wurde der Wissenschaftsjournalismus leider stark heruntergefahren. Dann kam Corona und ein riesiges Informationsbedürfnis von allen. Seither sehe ich den Trend, dass die digitalen Qualitätsmedien den Wissenschaftsjournalismus ausbauen, denn der verstärkte Erklärungsbedarf über komplexe Themen mit Wissenschaftsbezug ist offensichtlich. Das merken wir, weil unsere Angebote im Science Media Center stark nachgefragt werden.

STANDARD: Woher kommt das verstärkte Interesse an Wissenschaftsthemen?

Stollorz: Die Wissenschaft war anfangs in Medien eine Nische, ein Nice-to-have. In den vergangenen Jahren hat man endlich erkannt, dass Wissenschaft in allen Bereichen deutlich wichtiger ist, als viele Verleger das früher gesehen haben. Dazu haben viele Entwicklungen beigetragen, letztlich war es vor allem die Corona-Pandemie, wo plötzlich jedes Ressort über das Thema schreiben sollte und wollte. Das führte dann in den Redaktionen zu durchaus heftigen Diskussionen über den richtigen Umgang mit Expertise aus den Wissenschaften. Im Idealfall ist das Teamarbeit der Ressorts, aber ich würde schon argumentieren, dass Journalistinnen und Journalisten mit Erfahrung und Vorwissen die Wissenschaften durch ihre ständigen Interaktionen mit dem System deutlich besser vermitteln und einordnen können als Redaktionsmitglieder, die mehr oder weniger zufällig auf ein Thema wie die Pandemie gestoßen werden. Das heißt freilich nicht, dass nur wissenschaftliche Experten etwas wissen. In Zeiten von Corona haben auch diese durch ihre Vielstimmigkeit viel Verwirrung gestiftet. Allerdings war die Pandemie zu Anfang auch eine völlig neue Situation mit hoher Unsicherheit, wo logischerweise auch innerhalb der Wissenschaften Einschätzungsfehler passiert sind. Der Reflex vieler Kolleginnen und Kollegen, Widerspruch gegen unliebsame Entscheidungen zu suchen, führte allerdings dazu, dass manchmal Verschwörungstheoretiker und Impfskeptiker, die Zweifel um des Zweifels willen säten, ein öffentliches Forum bekamen. Insofern ist Expertise des Wissenschaftsjournalismus in Bezug auf wissenschaftliches Wissen hochrelevant für eine gute Berichterstattung.

STANDARD: Gibt es die eine Expertise, was Wissenschaft betrifft?

Stollorz: Nein, es gibt, wenn man so will, mehrere Expertisen, genauso wie es nicht die eine Wissenschaft gibt. Die wissenschaftlichen Disziplinen sind stark ausdifferenziert. Auch die Geisteswissenschaften als Reflexionswissenschaft menschlichen Handelns spielen in alle Bereiche hinein. Man muss als Wissenschaftsjournalist erkennen lernen, wo innerhalb der Wissenschaften ernsthafte Gegenpositionen vertreten werden und wo jemand, der glaubt, es besser zu wissen, Quatsch erzählt, wo also unterkomplexer Wissenschaftspopulismus verbreitet wird. Da saßen viele Akteure während der Pandemie einer Kompetenzillusion auf, die mit viel Geschick für Eigenmarketing vermittelt wurde.

STANDARD: Nicht nur Wissenschaftsjournalismus, sondern auch die Wissenschaft selbst hatte zuletzt ein Glaubwürdigkeitsproblem. Gemeinsame Auftritte mit der Politik wurden nicht sehr goutiert. Können Sie sich vorstellen, warum?

Stollorz: Wer als Forschender mit Politikerinnen oder Politikern öffentlich auftritt, macht sich bei vielen Menschen, die bestimmte politische Entscheidungen ablehnen, verdächtig. Die Politik hat nämlich auch ein Glaubwürdigkeitsproblem im Publikum. Menschen, die sich in der Sache kaum auskennen können, suchen vor allem dann nach einfachen Erzählungen, die es in der Pandemie ja kaum gegeben hat. Im Internet gibt es viele Möglichkeiten, irreführende Angebote zu publizieren. Dem Wissenschaftsjournalismus kommt dabei immer wieder die Rolle des Aufklärers und ehrlichen Maklers zu, der nach verlässlichem Wissen sucht und es auf den Tisch legt.

STANDARD: Braucht es, um diesen gesellschaftlichen Anforderungen gerecht zu werden, neue Formate im Wissenschaftsjournalismus?

Stollorz: Der Wissenschaftsjournalismus darf ruhig digitaler, er darf auch mutiger werden, indem er, abgesehen von Podcasts und Ähnlichem, mehr experimentiert. Wir entwickeln im SMC-Lab zum Beispiel Methoden der intelligenteren Beobachtung der Flut von wissenschaftlichen Publikationen. Dabei muss klar sein: Auch ein einfacher Text, der gut argumentiert, bleibt ja ein erfolgreiches Kommunikationsmittel. (Peter Illetschko, 28.4.2023)