Die Sängerin Madonna soll mal gesagt habe, dass Männer wie Milch seien – lässt man sie stehen, werden sie sauer. Inwieweit das auf alle Männer zutrifft, sei mal dahingestellt. Ob Madonna das wirklich gesagt hat, ist auch unklar. Was aber die Milch betrifft, stimmt der Satz. Die reagiert richtig sauer, wenn man sie stehen lässt. Grund sind die in der Milch enthaltenen Bakterien, die den Zucker, die berüchtigte Laktose, in Milchsäure verwandeln. Die Milch wird sauer und irgendwann auch dickflüssig, denn in saurem Milieu verklumpen die Milchproteine.

Nichts anderes ist Sauer- und Dickmilch, die es im gut sortierten Supermarkt zu kaufen gibt. Wobei, ganz das Gleiche ist es nicht. Das liegt an der modernen Milchproduktion. Aber bevor wir jetzt über die alten Zeiten und Omas selbstgemachte Sauermilch reden, erst mal ein Blick in den Mistkübel.

Riechen und schmecken

Milchprodukte und Eier landen mit rund zwölf Prozent auf Platz drei des hiesigen Abfallrankings. Vieles wäre noch genießbar – oder, um bei der Milch zu bleiben: Oftmals hat sie gar nicht die Chance, sauer zu werden. Grund sind diese drei Wörtchen: "Mindestens haltbar bis". Ich habe einen Bekannten, der Joghurtbecher am Tag des aufgedruckten Datums, im Zweifel spätabends, vor dem Kühlschrank stehend aufisst. Als würde sich das Joghurt Punkt Mitternacht in einen ungenießbaren Doppelgänger verwandeln.

Der Grundgedanke des Mindesthaltbarkeitsdatums, kurz MHD, ist gut: eine Orientierung für Konsumenten, ein Schutz vor dem Verzehr verdorbener Lebensmittel. Der nicht so gute Nebeneffekt: Wir haben verlernt, auf unsere Sinne zu vertrauen. Einmal riechen und den Löffel reinhalten, und man merkt, ob das Joghurt auch jenseits der magischen Grenze noch essbar ist. Bei "abgelaufenen" Eiern (was für manche sofort nach Salmonellenvergiftung klingt) reicht der simple Test im Wasserglas: Bleibt das Ei am Boden, ist es genießbar. Steigt es nach oben, sollte es entsorgt werden (mir ist, selbst nach vielen, vielen Wochen im Kühlschrank, noch nie eines an die Oberfläche geschwommen).

Milch und andere Lebensmittel nicht sofort nach Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums entsorgen. Sondern riechen und schmecken, ob die Produkte noch gut sind.
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Viel, viel länger haltbar

Vor ein paar Jahren hat Greenpeace einmal einen Test gemacht: Gekauft wurden Käse, Eier, Salami, Tofu, Joghurt und Backwaren und alles ins Lebensmittellabor gebracht, wo es gemäß der Herstellerangaben für vier Monate eingelagert und alle 14 Tage mikrobiell und sensorisch untersucht wurde. Ein veganer Brotaufstrich fiel beim ersten Test durch. Ansonsten? Waren die Lebensmittel weit über das MHD hinaus einwandfrei. Nach sechs Wochen gab es fürs Team Omelette, Tsatsiki und Joghurt mit Früchten.

"Das Mindesthaltbarkeitsdatum", heißt es bei der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit, "beschreibt den Zeitpunkt, bis zu dem der Lebensmittelunternehmer garantiert, dass die Ware ihre spezifischen Eigenschaften behält (z. B. Geschmack, Aussehen)." Heißt: Der Hersteller steht dafür ein, dass das Joghurt genauso cremig, die Milch genauso rein und klümpchenfrei ist wie am ersten Tag. Essen kann man die Lebensmittel – siehe Greenpeace – meist viel länger. Und: Supermärkte dürf(t)en sie weiterhin verkaufen. Anders sieht es beim Verbrauchsdatum aus, das auf schnell verderblichen Waren wie Faschiertem oder Fisch aufgedruckt wird. Sie sollten nach Ablauf nicht mehr gegessen und dürfen auch nicht mehr verkauft werden.

Um die Sache zu vereinfachen, plant die EU (sie reguliert die Vorgaben), die Kennzeichnung zu überarbeiten. Immerhin soll der Lebensmittelabfall bis 2030 um 50 Prozent reduziert werden. Schätzungen zufolge hängen rund zehn Prozent der EU-weit anfallenden Lebensmittelabfälle mit den aufgedruckten Haltbarkeitsangaben zusammen. Vor allem das Joghurt hat es schwer: Nach Gründen gefragt, warum dieses entsorgt wurde, gaben in einer Befragung mehr als drei Viertel das MHD an (knapp dahinter die Eier).

Um diese Lebensmittel vor der Tonne zu retten, wird nun diskutiert, die Kennzeichnung ganz abzuschaffen, die Liste der Lebensmittel ohne Angabe zu erweitern (derzeit sind das zum Beispiel Zucker, Salz oder Wein) oder (am wahrscheinlichsten) das Wording zu überarbeiten. Denn Worte sind machtvoll. Wie machtvoll, zeigt das Beispiel Norwegen. "Mindestens haltbar bis" steht auch dort auf vielen Verpackungen. Gefolgt von: "aber nicht schlecht nach". Seit Einführung des neuen Labels ging die Menge an Lebensmittelabfall deutlich zurück. Eine stickergewordene Aufforderung, den eigenen Sinnen zu trauen, erst mal reinzuschnüffeln, bevor man die Milch in den Ausguss kippt.

Natürliche saure Milch

Selbst saure Milch kann noch verwendet werden. Vorausgesetzt, man hat unbehandelte (nicht pasteurisierte) Milch im Kühlschrank stehen, in der die Milchsäurebakterien noch aktiv und lebendig sind. Wenn die sauer wird, heißt das also lediglich, dass die natürlichen Bakterien am Werk waren und den Zucker in Säure umgewandelt haben. Bei sauer gewordener pasteurisierter Milch hingegen kommen die Bakterien aus der Umgebung: kein gutes Zeichen und daher nicht mehr zum Verzehr geeignet.

Früher, zu Omas Zeiten (als es ohnehin nur Rohmilch gab), machte man sich diese fressfreudigen Bakterien gezielt zunutze: Ein paar Tage in der Schale auf dem Fensterbrett, und fertig war die saure Milch, die (Säure konserviert!) länger haltbar war. Weitere Vorteile: Sie ist würzig, besser verdaulich und gut für Immunsystem und Darmflora.

Diese natürliche Sauermilch kann man problemlos weiterverwenden. Zum Beispiel, um Frischkäse zu machen. In den einfachsten Rezepten wird die Milch lediglich aufgekocht (eventuell mit etwas Zitrone), zum Abtropfen in ein Tuch gegeben und abschließend mit Salz und gegebenenfalls ein paar Kräutern verfeinert. Wer es süß mag, kann die saure Milch zum Backen verwenden. Manch ein Backwerk profitiert gar von ihrem säuerlich-würzigen Geschmack und der dickeren Konsistenz. Dicke Palatschinken etwa. Im Internet werben diese Rezepte gerne mit dem Zusatz "wie bei Oma". Auch in Scones – die oft mit säuerlicher Buttermilch gebacken werden – macht sich die saure Milch gut. In Suppen und Saucen ersetzt sie Crème fraîche oder saure Sahne, Fleisch macht sie (in die Marinade gemixt) mürbe und zart.

Wer gerade keine saure Milch da hat und es trotzdem ausprobieren will, macht es wie Oma: Rohmilch in eine saubere Schüssel füllen und abgedeckt bei Zimmertemperatur (für mindestens 24 Stunden) stehen lassen. Übrigens: Auch sauer gewordene pasteurisierte Milch kann noch von Nutzen sein. Zum Beispiel, um verkalkte Armaturen oder Silber zu reinigen. (Verena Carola Mayer, 9.4.2023)