Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron mag für seine Pensionsreform im eigenen Land und für seine jüngsten Aussagen zu China und Taiwan international geprügelt werden. Für seine europapolitische Rede in Den Haag, wo er am Dienstagabend die Stärkung der "europäischen Souveränität" durch den Abbau wirtschaftlicher Abhängigkeiten einforderte, kann er mit viel Zuspruch rechnen.

Hielt eine europapolitische Rede in Den Haag: Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron.
Foto: Imago/ANP

Unabhängigkeit von globalen Lieferketten ist das große Thema in Europas Wirtschaftskreisen, sei es von pharmazeutischen Wirkstoffen, seltenen Erden, Solarpaneelen oder Mikrochips. Nur so könne Europa den eigenen Wohlstand sichern und im Wettbewerb zwischen den Wirtschaftsgiganten USA und China bestehen. Aus französischer Sicht führt der Weg dorthin über eine aktive staatliche Industriepolitik, Subventionen für ausgewählte Branchen und weitere Eingriffe in die Marktwirtschaft.

Zahlreiche Versäumnisse

Macron hat recht, dass Europas Wirtschaft, genauso wie die Sicherheitspolitik, neue Wege suchen muss. Mageres Wachstum und das Fehlen von Weltkonzernen im IT-Sektor deuten auf zahlreiche Versäumnisse der vergangenen Jahrzehnte hin. Aber so wie viele andere irrt sich Macron bei den Ursachen: Es ist nicht Abhängigkeit, also die globale wirtschaftliche Verflechtung, sondern der Mangel an interner Kraft und Dynamik, die es zu bekämpfen gilt. Und da ist vieles, was derzeit gefordert wird, nutzlos oder gar schädlich.

Beginnen wir mit dem Problem, das derzeit am meisten schmerzt – dem Mangel an zahlreichen Arzneimitteln, deren Wirkstoffe in China und Indien hergestellt werden. Doch die fehlen nicht, weil diese Staaten Europa boykottieren, sondern weil in den Zentralen der Pharmakonzerne falsch geplant wurde. Eine solche Lücke könnte auch auftreten, wenn die Produktion durch Onshoring in die EU verlagert wird, wo sie jedoch höhere Kosten verursachen würde. Auch die Penicillin-Produktion im Tiroler Kundl hilft Österreich nicht.

Wenn Europa die Abhängigkeit von Chinas seltenen Erden fürchtet, sollte es Lagerbestände aufbauen und nach Alternativen suchen. Die Lithiummine vor Ort wird nicht gebraucht. Die Möglichkeit von Rohstofflieferanten, andere Staaten zu erpressen, wird regelmäßig überschätzt. Nicht einmal beim lebenswichtigen Erdgas ist das Russland im vergangenen Winter gelungen.

Wettbewerb und Freihandel

Genauso falsch wäre es, in den Subventionswettlauf Chinas und der USA bei grüner Technologie einzusteigen. In der EU würde das nationale Rivalitäten verstärken und den Wettbewerb im Binnenmarkt untergraben. Für Lobbyisten sind solche Programme ein Festmahl, für eine dynamische Volkswirtschaft aber Gift.

Solche öffentlichen Gelder werden dort benötigt, wo dem privaten Sektor die Anreize zum Investieren fehlen, etwa bei der Infrastruktur und in der Forschung. Das gilt vor allem für die Energiewende, wo der Umstieg zu Erneuerbaren den massiven Einsatz von Steuermitteln erfordert. Der kann nur zum Teil durch CO2-Abgaben finanziert werden. Den Rest muss ein kräftiges Wirtschaftswachstum liefern, wofür Wettbewerb und Freihandel die besten Rezepte bleiben – traditionelle Stärken der EU-Wirtschaftspolitik. Wenn sich Europa im Namen der Souveränität von günstigen globalen Lieferketten abschneidet, würde das seinen ökonomischen Abstieg nur beschleunigen. (Eric Frey, 12.4.2023)