Er zeigt auf den Strand von Neusiedl am See und sagt zu ihr: "Vor ein paar Jahren sind wir über diese Treppe noch ins Wasser gegangen." Inzwischen endet die Stiege schon vor dem See und mündet in Schotter. "Es ist traurig", antwortet die Frau. Die beiden kommen aus Asten in Oberösterreich und verbringen ein paar Tage Urlaub am Neusiedler See.

VIDEO: Das Land Burgenland lässt Schlamm ausgraben und will Flusswasser in den See leiten. Umweltschützer wollen den See austrocknen lassen. Unser Reporter Guido Gluschitsch hat sich im September 2022 in Rust und Purbach umgeschaut.
DER STANDARD

Die beiden fahren jeden Tag, wenn es das Wetter erlaubt, eine Tour mit dem Fahrrad. Ob sie auch noch kommen würden, wenn kein See mehr da ist? "Keine Ahnung!", sagt er. Aber es gebe mehrere Gründe als nur den See, um im Burgenland Urlaub zu machen. Aktuell könnte man ja im See auch nicht schwimmen – nicht weil zu wenig Wasser wäre, sondern weil es mit zehn Grad Celsius einfach zu kalt ist. Aber der See, der gehört zum Urlaubserlebnis einfach dazu, erklären die beiden, während sie auf das Wasser schauen. Dort glitzert die Sonne auf den kleinen Wellenbergen mit sich selber um die Wette. Er seufzt.

Ein Seezugang in Neusiedl am See, der inzwischen kurz vor dem Wasser endet.
Foto: Guido Gluschitsch

Falsche Bilder

Darauf wartet man auch, wenn Patrik Hierner sein Herz ausschüttet. Er ist Geschäftsführer des Tourismusverband Nordburgenland und findet wenig überraschend die Berichterstattung in den Medien mitunter unfair. Nämlich dann, wenn Journalistinnen und Journalisten darauf warten, bis der Nordwestwind aus den Häfen zwischen Breitenbrunn und Neusiedl am See das Wasser in Richtung Illmitz bläst, um dann im Nordwesten des Sees Fotos vom Schlammboden zu machen, der nur dann zu sehen ist. "Das ist einfach ein falsches Bild vom See", und er habe Freunden, die auf Besuch gekommen seien, nicht erst einmal erklären müssen, warum der See denn auf einmal doch noch voller Wasser sei.

Die Stege lassen erahnen, dass wenig Wasser im See ist. Ein schöner Anblick ist der Neusiedler See aber immer noch.
Foto: Guido Gluschitsch

"Wir werden verhindern, dass der See austrocknet", sagt Christian Sailer, Leiter der Task Force Neusiedler See, die 2020 gegründet wurde, weil die Trockenheit am See immer deutlichere Spuren zeigte. Weniger Niederschläge, deren sich verändernde Verteilung und die Hitze im Sommer machen dem Pegelstand seit Jahren zu schaffen. "Aktuell liegen wir noch 13 Zentimeter über dem Wasserstand vom Oktober des vergangenen Jahres", sagt Sailer und vergleicht den aktuellen mit dem geringsten Wasserstand im See seit 1968.

Segeln ja, aber nicht mit Yachten

Er gibt zu, dass das Segelbootfahren in bestimmten Bereichen eingeschränkt ist, auch wenn im Winter aus den Häfen Schlamm gebaggert wurde. Die großen Segelboote mit viel zu viel Tiefgang können dort oder da aber immer noch Probleme haben. "Wir müssen uns anpassen", sagt Sailer. Und: "Wir haben ein klares Bekenntnis zum See, wir wollen ihn erhalten, für uns gehört es nicht dazu, dass er austrocknet." Darum arbeitet Sailer mit seinem Team unter Hochdruck an einer Wasserzuleitung in den Neusiedler See – und den Grundwasserkörper im Seewinkel.

Auf dem Bankerl sitzend könnte man glatt kurz vergessen, welche Sorgen man sich an anderer Stelle um den See macht.
Foto: Guido Gluschitsch

Schon 2003 dachte man eine solche Zuleitung an, machte diverse Studien, auf die sich auch die Arbeit der Task Force Neusiedler See stützt. Oder stützte. Denn die geplante Zuleitung von Donauwasser aus der Mosoni-Donau in Ungarn läuft nicht wie gewünscht. Die Ungarn verzögern den Bau, weil ihnen wohl zu wenig Geld aus der EU fließt. Im Burgenland ist man aber angeblich schon so weit, auch große Teile der Kosten der Ungarn zu übernehmen, hört man hinter vorgehaltener Hand. Die Ungarn pokern aber anscheinend weiter und haben das Projekt vorerst einmal zurückgestellt.

Optionen, um Wasser zuzuleiten

Darum prüfte man auch weitere Zuleitungen wie etwa jene aus dem Donaubegleitstrom bei Carnuntum oder Aufstau- und Pumpmaßnahmen von und aus der Raab und Ikva. Konkrete Ergebnisse gibt es aktuell noch keine. Wann eine Zuleitung wirklich Wasser in den See und den Grundwasserkörper im Seewinkel bringen und damit auch die Salzlacken retten wird, ist noch ungewiss.

An Romantik fehlt es dem See noch nicht.
Foto: Guido Gluschitsch

Der Naturschutz verlangt an mehreren Stellen in diesen Prozeduren, dass man ganz genau hinschaut. Und die Partner – also Niederösterreich oder Ungarn – müssen ebenfalls eingebunden werden. Gleichzeitig arbeitet man daran, die Ableitung von Grundwasser aus dem Seewinkel zu unterbinden, am Schlamm- und Schilfmanagement. Zumindest bei Letzterem konnte im vergangenen Winter die Pilotphase abgeschlossen werden.

Wasserstandskommission

Während also an einer Stelle an der Erhaltung des Sees gearbeitet wird, kümmert man sich an anderer Stelle darum, dass der Tourismus erhalten bleibt. Beide Positionen haben nicht zuletzt bei der neuen Wasserstandskommission einen Schnittpunkt. Behörden, Naturschutz und Landessicherheitszentrum arbeiten in der Kommission zusammen, die aktuell einmal in der Woche tagt. Mit den daraus entstehenden Informationen will der Tourismusverband Nordburgenland seine Gäste tagesaktuell versorgen.

Zwei Gäste, die den See auch so lieben, wie er ist.
Foto: Guido Gluschitsch

Dafür hat man eine eigene Homepage geschaffen, eine Fakten-Homepage. Dort ist aufgeführt, welche Aktivitäten wo am See ohne Einschränkungen stattfinden können und wo mit Einschränkungen zu rechnen ist – so wie im Moment beim Segeln mit diversen Kajütbooten. Über Webcams sollen sich Interessierte selbst jederzeit ein aktuelles Bild vom See aus bestimmten Blickwinkeln machen können. Dafür wird man die Anzahl der Webcams von derzeit vier weiter erhöhen.

Trockener Sommer

"Wir werden heuer erneut niedrige Wasserstände haben", ist sich Patrik Hierner bewusst, "aber die Gäste werden einen schönen See vorfinden, und es wird die typischen Bilder am und vom See auch in diesem Sommer geben."

Die Tourismuszahlen haben im Nordburgenland im Jänner um 14 Prozent, im Februar um 38 Prozent zugelegt – und das im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019. "Unser Gäste kommen zum Radfahren, wegen des Weins und der Kulinarik", begründet Hierner die bemerkenswerten Zuwächse, "aber die Gäste wollen auch den See besuchen." Ohne ihn wird es also nicht gehen.

Die Immobilien am See sind nur noch dort wirklich interessant, wo man sie auch erreichen kann – vor allem, wenn es um den Seeweg geht.
Foto: Guido Gluschitsch

Jetzt freue man sich aber schon einmal auf das See- und das Surfopening – und auch über das Bild, das der Organisator des Surfopenings von sich selbst gemacht hat. Im Wasser stehend. Weil ja eh noch eines da ist. Wenn das wirklich so bleibt, "dann kommen wir im Herbst wieder", sagt das Paar am Strand von Neusiedl am See. (Guido Gluschitsch, 13.4.2023)