Zu viel politische Korrektheit nervt. Aber zu viel antipolitische Korrektheit nervt auch. Trotzdem sind Fragen des Genderns, der LGBTQ-Problematik, der vermeintlichen und tatsächlichen Diskriminierung von Minderheiten mehr und mehr zum Hauptthema in den Feuilletons geworden, oft mehr als die klassischen Widersprüche zwischen rechts und links. Woke ist fortschrittlich und heißt so viel wie "aufgewacht". Woke und Anti-Woke statt Arm und Reich, Unten und Oben, Beherrschte und Herrschende.

Protest gegen die Politik von Gouverneur Ron DeSantis in Florida.
Foto: AP / Rebecca Blackwell

Tatsächlich hat die politische Korrektheit in den letzten Jahren Blüten getrieben, die die Satire geradezu herausforderten. Wenn in einem Online-Artikel einer deutschen Fernsehsendung vor einiger Zeit nicht von einer Mutter die Rede war, sondern von einer "entbindenden Person", musste man sich über den nachfolgenden öffentlichen Aufschrei nicht wundern.

In Österreich ist der in Kärnten geäußerte Vorschlag, statt Bauer den Begriff "in der Landwirtschaft beschäftigte Person" zu verwenden, mittlerweile berühmt geworden.

Anti-Woke-Bewegung

Der Philosoph Konrad Paul Liessmann hat in seinem jüngsten Buch ein weiteres amüsantes Beispiel für überbordende politische Korrektheit hinzugefügt: Er bekam von seinem eigenen Universitätsinstitut, wo man ihn seit Jahrzehnten kennt, einen Brief, in dem statt der gewohnten Anrede "sehr geehrter Herr Liessmann" plötzlich, geschlechtsneutral und superwoke, "sehr geehrt. Liessmann" stand.

Aber wie steht es mit der ebenfalls überbordenden Anti-Woke-Bewegung? In Russland, berichten Landeskundige, wird neuerdings oft das Wort "Liberast" verwendet. Liberast ist eine Mischung aus "liberal" und "Päderast". Wer homosexuell ist und liberal denkt, ist ein Liberast, also ein Kinderschänder und Verbrecher, der eingesperrt gehört. Im dekadenten Westen, so will es die Staatspropaganda, wimmelt es von Liberasten, und es ist eine heilige Pflicht, die Heimat vor deren verderblichen Einflüssen zu schützen. Hier wird nicht nur eine Meinung geäußert, sondern hier geht es um Menschenverachtung und eine potenziell gefährliche Drohung.

Abrüstung der Worte

Nicht ganz so drastisch, aber in die gleiche Richtung zielt der vom republikanischen Gouverneur von Florida, Ron DeSantis, eingeführte "Stop Woke Act". An Floridas Schulen dürfen Lehrer mit ihren Schülern nicht mehr über Geschlecht, Identität und Sexualität reden.

In Österreich spricht der Wiener FPÖ-Chef Dominik Nepp über "Sexualisierungspropaganda", und in Deutschland warnt der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz vor der Cancel-Culture als "größter Bedrohung der Meinungsfreiheit".

Geht es hier um Hysterie oder um ein echtes Problem? Vermutlich beides. Aber, so denken wohl die meisten, ein bisschen weniger Aufregung, ein bisschen mehr Verhältnismäßigkeit und eine allgemeine "Abrüstung der Worte" würde nicht schaden. (Barbara Coudenhove-Kalergi, 13.4.2023)