Im Gastblog schildert Jurist und Mediator Ulrich Wanderer anhand eines Beispiels, auf welche Kommunikationsebenen in der Mediation geachtet werden muss.

Vorweg: Der Fall wurde in einigen Aspekten entfremdet, um die Persönlichkeitssphären der betroffenen Personen zu schützen. Danke aber an die Parteien für ihre Einwilligung, diesen Fall hier in den Grundzügen zu schildern.

Ein Fall wie jeder andere?

Alles begann sehr einfach und so gar nicht außergewöhnlich, zumindest nicht außergewöhnlicher als die anderen Mediationen zum Thema Erbschaftskonflikt. Drei Geschwister wollten sich im Vorfeld der Erbantrittserklärung einig werden, wie sie nun gemeinsam einem dritten, außenstehenden Player, dem Lebensgefährten der verstorbenen Mutter, gegenübertreten wollten. Die Erbmasse bestand aus zwei Liegenschaften und einem gewissen Wertpapiervermögen, war aber auch mit einem Kredit belastet, welcher grundbücherlich durch eine Liegenschaft besichert war. Bald wurde ein Termin vereinbart, die erste Sitzung konnte beginnen.

In den ersten Runden der Vorstellung von Person und Mediationsverfahren konnten wir die Erwartungshaltungen klären, wir unterhielten uns über den aktuellen Stand des Verfahrens und kamen bald auch auf die Rahmenbedingungen der Mediation zu sprechen. Hier kamen bald auch die Redezeiten zur Sprache, wobei zu diesem Zeitpunkt noch nicht wirklich viel Augenmerk auf dieses Thema gelegt wurde.

Der Redefluss von Frau A

Bereits in der Vorstellungsrunde stellte sich heraus, dass eine Schwester (Frau A) im Redefluss gelegentlich durch mehr oder weniger starkes Stottern gehemmt war, was von den anderen Geschwistern jedoch kaum mehr bemerkt wurde, sie kannten sie seit Jahrzehnten und hatten sich gut daran gewöhnt. Für den Mediator war zwar die Thematik bekannt, der Einfluss des teilweise unterbrochenen Redeflusses auf die Mediation sollte aber bedeutend werden.

In der Mediation findet nicht nur Beachtung, was kommuniziert wird, sondern auch wie.
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Die erste Sitzung wurde mit der Bitte an die Geschwister beendet, sich nach interner Reflexion wegen eines neuen Termins zu melden. Hiermit sollte das Commitment der Medianden zum Prozess gestärkt werden.

Familiengeschichte als Belastung

Je weiter die Mediation fortschritt, so tiefer tauchten wir in die persönliche Familiengeschichte der Geschwister ein, in der nicht nur eine der beiden Liegenschaften, sondern auch die narzisstische Persönlichkeit der verstorbenen Mutter eine bedeutende Rolle spielte. Neben den bewegenden Schilderungen der anderen beiden Geschwister war auch As Sprachrhythmus ein guter und hilfreicher Indikator für die emotionale Belastung.

Während sie in vielen Sätzen zuvor ohne jedwede Verzögerung über ihre persönlichen Gedanken und auch finanziellen Bedürfnisse erzählte, geriet A bei den Erinnerungen an das Elternhaus ins Stocken. Auch die Körpersprache der Geschwister verkrampfte sich, wenn sich die Gespräche um die gemeinsame Kindheit und das Haus der Eltern, welches später die Mutter im alleinigen Eigentum hatte, drehten.

Ausredenlassen, Empathie und Wertschätzung

Mediation lebt von jenen Soft Skills, die oftmals im gestressten Alltag zu kurz zu kommen scheinen. Insbesondere Empathie und die Wertschätzung der Person, aber auch ihrer Anliegen und Bedürfnisse gelten als Wesensmerkmal der Mediation. Ein respektvoller Umgangston ebenso wie auch die Vereinbarung, einander nicht zu unterbrechen und ausreden zu lassen, ermöglichen die Suche nach einem Konsens.

Nonverbale Kommunikation

Nicht erst seit dem Kommunikationswissenschafter Paul Watzlawick ist bekannt, dass ein überwiegender Großteil der zwischenmenschlichen Kommunikation nonverbal verläuft, also nicht rein vom Wortinhalt abhängt, sondern von der Intonierung, der Gestik, Mimik, aber auch der Körperhaltung, der Stellung im Raum, der Kleidung und nahezu endlos vielen anderen Faktoren beeinflusst wird.

Theorie in der Praxis

Für jemanden, der selber die Erfahrung des "holprigen Redeflusses" gemacht hat, ist es nicht schwer, dem Gegenüber hier Wertschätzung entgegenzubringen, doch umso beeindruckender war auch der Umgang der Geschwister mit A. Sie wussten freilich bereits um die heiklen Themen und reagierten kaum mehr auf die längere Redezeit ihrer Schwester. Für den Mediator war es jedoch sehr hilfreich, sich von der nonverbalen Fährte hin zu den heiklen Themen leiten zu lassen, um hier auch die Meinungen der Geschwister einzuholen und so gerade bezüglich der zukünftigen Nutzung des Elternhauses einen Konsens zu erzielen. Mittelfristig sollte die Liegenschaft saniert werden, um sie entweder zu einem guten Zins vermieten oder auch verkaufen zu können, niemand wollte sie persönlich zu Wohnzwecken nutzen.

Jedes Wort ist wertvoll

Darüber hinaus noch ein Wort zur Wertschätzung: Stottert man, so ist der Schritt hinaus in die Außenwelt nicht immer leicht. Umso wertvoller mag er aber gesehen werden, insbesondere wenn das Anliegen ein gemeinsames ist. Das Commitment von A, sich gemeinsam mit den Geschwistern auf die Mediation einzulassen, war also sehr hoch zu schätzen. Ebenso auch die mit der gelegentlichen Überwindung verbundene Wertschätzung für die Geschwister, aber auch den Prozess der Mediation. Ebenso schuf die gelassene und liebevolle Aufmerksamkeit der Geschwister während der Redezeit von A eine Atmosphäre der Sicherheit und wechselseitigen Akzeptanz, die sich einem roten Faden gleich durch die gesamte gemeinsame Arbeit ziehen sollte.

Vier Seiten einer Botschaft

Gelegentlich schadet es nicht, sich die Basics wieder in Erinnerung zu rufen: Eine jede Botschaft, so lehren es die Bücher, trägt zumindest vier Seiten beziehungsweise vier Anteile in sich. Die reine Sachebene scheint offensichtlich. Die Aussage "Die Ampel ist grün" kann entweder den neuen Anstrich der Ampel oder auch den Wechsel der Lichtsignale ansprechen. Die Appellebene möge in diesem Fall wohl in der Aufforderung "Fahr endlich!" zusammengefasst werden, die Beziehungsebene, also die interpersonale Ebene zwischen den beiden Gesprächspartnern, könnte die implizite Aussage "Ich kann Dir sagen, was zu tun ist. Ich bin gescheiter, weil ich schneller gesehen habe, dass Grün ist" enthalten. Oftmals hilft auch ein Blick auf die vierte Ebene der Nachricht, die Selbstoffenbarung. Was sagt uns ein mehr oder weniger grantiges "Es ist grün" über die Person am Beifahrersitz aus?

Im dem dem Beitrag zugrundeliegenden Fall betrifft die angesprochene Selbstoffenbarung eher die nonverbalen Aspekte der Kommunikation. Die in den Aussagen von A verborgene Wertschätzung dem Thema, den Geschwistern, aber auch dem Prozess gegenüber war ein besonderes Highlight dieser Mediation. Die Gelassenheit der Geschwister sprach Bände hinsichtlich der Beziehungsebene, sie hatten einen guten Grundkonsens gefunden und konnten auf dieser Basis die scheinbaren Irritationen bezüglich der anstehenden Übernahme der mit dem Erbschaftsverfahren verbundenen Verantwortung schnell überwinden.

Nicht Gut und Schlecht

Kommunikation läuft nicht gut oder schlecht. Sie muss nur richtig gelesen werden. Der bereits zitierte Paul Watzlawick sprach davon, dass man "nicht nicht kommunizieren könne", und meinte damit, dass eine jede Äußerung, eine jede Regung, aber eben auch ein jedes Schweigen bis hin zu den den Redefluss unterbrechenden Pausen von A schlichtweg nur in den Bereich der nonverbalen Kommunikation fällt. Diese gilt es zu erkennen, zu lesen und gegebenenfalls auch zum richtigen Zeitpunkt zu verbalisieren. Genauso wie auch die Nichtbeantwortung einer Frage eine deutliche Sprache zu sprechen vermag, kann dem empathischen Zuhörer auch eine jede andere Form der Sprache im Verständnis des Gegenübers sowie der Thematik weiterhelfen. (Ulrich Wanderer, 13.4.2023)