Michael Ehlmaier kommt zu spät zum Interview, es ist ihm sichtlich unangenehm, und er entschuldigt sich vielmals. Auffällig in seinem Büro nahe dem Schwarzenbergplatz in Wien ist nur ein Kalender mit Familienfotos. Den nimmt er während des Interviews auch von der Wand, um stolz auf seine Familie zu verweisen. Diese sei ihm sehr wichtig, wichtiger als der berufliche Erfolg. "Den nehme ich aber gerne mit".

STANDARD: Ihre Mitarbeiterin sagt, Sie seien immer freundlich. Wann vergeht Ihnen das Lachen?

Ehlmaier: Ich bin grundsätzlich eine positive Natur. Auf der Hochschaubahn war ich beruflich wie privat nicht immer nur ganz oben. Aber wenn mich heute jemand fragt: Ich bin rund, nicht nur von der Körpermasse. Ich bin ein zufriedener und dankbarer Mensch.

STANDARD: In der Immobilienbranche, in der Sie tätig sind, geht es um viel Geld. Mit Dankbarkeit kommt man da wohl nicht so weit. Aber wann vergeht Ihnen nun das Lachen?

Ehlmaier: Das Lachen vergeht mir mit Unehrlichkeit, wenn die Leute nicht hilfsbereit oder uneinsichtig sind. Ich akzeptiere lieber faule Leute, es kann nicht jeder fleißig sein, es muss nicht jeder 60 Stunden in der Woche arbeiten, aber – und das hat nichts mit Religiosität zu tun: Nächstenliebe ist etwas ganz Wichtiges für mich. Wenn es jemandem schlechtgeht, soll man ihm helfen, wenn es einem gutgeht, teilen. Stimmt, es passt nicht alles immer in die Immobilienbranche.

Michael Ehlmaier hat lange im Hotel Mama gewohnt. Zuhause ist er erst mit knapp 28 ausgezogen.
Heribert Corn

STANDARD: Sie hatten nicht den Plan, in die Immobilienwirtschaft einzusteigen. Beton ist zu Gold geworden. Haben Sie unfassbares Glück gehabt?

Ehlmaier: Es war Zufall. Ich habe mich in verschiedenen Branchen beworben. Letztlich ist es die Immobilienbranche geworden, da konnte ich im Außendienst starten, und ich wollte in der Mittagspause manchmal die Möglichkeit haben, zur Mama mittagessen zu gehen. Da bin ich dann ab und zu auf ein Schnitzel oder einen Spinat gekommen.

STANDARD: Sie haben als Immobiliendienstleister vom Boom profitiert. Ist jetzt die Party vorbei?

Ehlmaier: Der Markt war überhitzt, darüber brauchen wir gar nicht zu reden. Es ist jetzt sehr schnell gegangen. Die Party ist unterbrochen, und in der Form wird sie auch nicht wiederkommen. Es gibt eine Schockstarre, ein bisschen ein Innehalten.

STANDARD: 2008 lässt grüßen?

Ehlmaier: Ja, ich hab auch die Dotcom-Blase 2000 erlebt, da hat niemand mehr ein Büro gesucht. Das Gefährliche, wo große Ängste und Sorgen kommen, ist in der Übergangsphase. Die Inflation ist von zwei auf acht Prozent binnen neun Monaten gestiegen. Wenn sich das über drei, vier, fünf Jahre entwickelt, wäre der Schock nicht so groß. Wenn die Zinsen binnen eines Jahres von null auf drei Prozent hinaufrasseln und wenn Kreditraten im Monat statt 500 Euro tausend ausmachen, ist das ein Unterschied dazu, wie wenn sie von 500 auf 600 gehen.

STANDARD: Wie ist das gekommen?

Ehlmaier: Es wurde zu viel spekuliert, der Geruch des billigen Geldes war verlockend. Viele Geschäftspartner haben gesagt, es kostet nichts, ich kann finanzieren ohne Ende. Das kommt jetzt zurück. Ich sage ganz ehrlich: Teilweise hält sich das Mitleid in Grenzen, weil man darf den Bogen nicht überspannen.

STANDARD: Wer Geld hatte, hat sich eine Wohnung gekauft, nichts damit gemacht und zwei Jahre später mit Wertsteigerungen von 30 Prozent verkauft. Kein schlechtes Geschäft, oder?

Ehlmaier: Und jetzt gibt es aufgrund der gestiegenen Zinsen auch Alternativveranlagungen zu Immobilien. Immobilien sind zwar eine Krisenwährung, das Wort Betongold ist ja nicht erst in den letzten Jahren erfunden worden. Schon vor hundert Jahren hat man gesagt, Grund und Boden ist nicht vermehrbar. Das stimmt, nur die Quadratmeterpreise sind in horrende Höhen gestiegen. Für Grund und Boden und auch wenn man außerhalb des Gürtels Zinshäuser teilweise um 5000 Euro am Quadratmeter gekauft hat. Das ist kein gesundes Marktumfeld. Jetzt gibt es Preiskorrekturen.

STANDARD: Mit welchen Folgen?

Er sei immer schon ein extrem fleißiger Mensch gewesen, außer in der Volksschule. "Mit 16 oder 17 ist mir der Knopf aufgegangen."
Heribert Corn

Ehlmaier: Der Private sagt, jetzt miete ich, Eigentum kann oder will ich mir momentan nicht leisten. Die Leute, die vor ein, zwei, drei Jahren massiv Eigentumswohnungen gesucht und gefunden haben, da ist alles gut. Wenn sie variabel finanziert haben, geht es ihnen natürlich nicht so gut. Bei uns hat in den letzten zehn Monaten die Nachfrage nach Mieten deutlich zu- und die Nachfrage nach Eigentumswohnungen abgenommen.

STANDARD: Viele junge Leute sagen, ich arbeite weniger, denn ich kann mir sowieso kein Eigentum leisten.

Ehlmaier: Das mit dem weniger arbeiten hat auch mit der Attraktivität des Berufes zu tun. Ich hab nie eine Abwesenheitsnotiz gehabt, hab Tag und Nacht gearbeitet. Solche Leute finde ich momentan nicht oft. Ich weiß auch gar nicht, ob das richtig war. Ich bin jetzt 29 Jahre berufstätig, abgerechnet wird am Ende.

STANDARD: Bleiben wir beim leistbaren Wohnen. Die Immobilienbranche meint dazu: Gebt uns mehr leistbares Bauland. Die gestiegenen Preise haben da einen Strich durch die Rechnung gemacht. Was ist jetzt das Rezept?

Ehlmaier: Wahrscheinlich müssen sich alle an einen Tisch setzen.

STANDARD: Das passiert ja ständig.

Ehlmaier: Ich möchte jetzt nicht mit Sinowatz verglichen werden, aber es gibt kein Patentrezept. Faktum ist: Ich gehe nicht von stark sinkenden Baukosten aus, weil die Preise für Baumaterialien und durch die Inflation auch die Löhne steigen. Es wird in den nächsten Jahren weniger gebaut, weniger gekauft, es gibt weniger Transaktionen. Dadurch wird weniger Wohnraum geschaffen. Die Nachfrage ist aber da, weil Wien wächst. Wenn die Nachfrage größer ist als das Angebot, auch bei den Mietwohnungen, kann es ja nicht sein, dass die Preise sinken. Es wird notwendig sein, Anreize zu schaffen. Günstige Kredite für junge Leute, damit die ausziehen können. Aber auch für Bauträger, damit die sagen, das interessiert mich. Viele von ihnen sagen uns: Der Grund kostet viel, die Baukosten sind hoch, ich möchte nicht gratis arbeiten. Ich habe zwar in der Vergangenheit viel verdient, aber da muss ich mir halt etwas anderes suchen.

STANDARD: Stichwort suchen: Durch Corona sind wohl die Wünsche nach Garten oder Balkon gestiegen?

Ehlmaier: Ja zumindest ein Balkon, und wenn ich nur zwei Sesseln rausstelle: Die Nachfrage ist gestiegen. Und die Leute wollen jetzt ein Zimmer mehr – wegen des Homeoffice.

STANDARD: Viele Junge, die nicht von den Eltern finanziert werden, tun sich aber schwer, sich das zu leisten.

Ehlmaier: Ja, wenn man nicht von den Eltern finanziert wird, geht man von Wien in den Speckgürtel hinaus. Wir sehen schon den Trend, dass die Zimmergrößen, die jetzt geplant werden, eher kleiner werden. Das Zehn-Quadratmeter-Zimmer wird zum Acht-Quadratmeter-Zimmer, die Vorräume werden vielleicht kleiner, es wird noch kompakter.

STANDARD: Dabei sind viele Wohnungen ohnehin schon Streichholzschachteln. Das klingt traurig.

Ehlmaier: Es ist traurig, aber ich glaube, es ist alternativlos. Wenn ich sage, ich brauche ein Zimmer mehr, kann es nur so sein, dass die anderen Zimmer kleiner sind.

Ehlmaier spielt Geige, gerne auf Benefizkonzerten, etwa für Geflüchtete. Oder auf Familienfeiern mit den Kindern. Die will er nicht als Mitläufer erziehen, aber auch nicht als Robin Hoods: "Da bleibt man über."
Foto: Heribert Corn

STANDARD: Größer wurde angesichts der für viele schwierigen Lage wieder die Umverteilungsdebatte. Erbschaftssteuer, höhere Grundsteuer, was halten Sie von diesen Ideen?

Ehlmaier: Wir haben auch eine Verantwortung, dass man anderen Menschen unter die Arme greift. Ob es eine Erbschaftssteuer oder eine Grunderwerbssteuer ist: Wenn es hilft, bin ich gerne bereit, mehr Grunderwerbssteuer zu bezahlen, wenn jemand, der jünger und am Beginn des Eigentumserwerbs ist, entlastet wird für einen Grunderwerb. Ich kann dieses sture Dagegenhalten gegen eine Umverteilung nicht ganz nachvollziehen. Ich sage auch den Leuten, die in den letzten Jahren vom Boom profitiert haben, sie sollten sich dieser Diskussion auch stellen, ohne dass sie jetzt gleich ihre Branche verraten. Die werden dadurch nicht in Existenzkrisen gestürzt.

STANDARD: Was haben Sie in all den Jahren über die Menschen gelernt?

Ehlmaier: Vergil sagt, die Menschen sind wie Musikinstrumente. Je nachdem wie man mit ihnen umgeht, so ist die Resonanz. Es geht nicht darum, dass man nur die Napferln verteilt, ich bin auch kein Gutmensch per se. Aber ich nehm mein Gegenüber ernst und will auch ernst genommen werden. Es geht ums persönliche Commitment – das oft strapazierte Wort: Haltung. (Regina Bruckner, 16.4.2022)