Rückläufige Buchverkäufe versetzen Katja Gasser nicht in Panik: "Lesen ist meine seelische und ökonomische Grundlage. Und ich habe nicht vor, morgen abzudanken."

Foto: Johanna Baschke

Wegen der Pandemie ein Jahr verspätet ist Österreich heuer Gastland auf der Leipziger Buchmesse. Schon seit vorigem Mai stellt man sich aber mit Veranstaltungen in Deutschland vor – ein Aufwand, den noch kein Gast betrieben hat. 200 heimische Verlage werden auf der Messe (26. bis 30. April) sein, ORF-Literaturjournalistin Katja Gasser hat das Programm, das wiederum rund 60 heimische Verlage und 200 Autorinnen und Autoren umfasst, kuratiert.

STANDARD: Üblicherweise geht ein Gastlandauftritt mit einer Vielzahl von Übersetzungen ins Deutsche einher. Man neigt zur Annahme, Österreich wäre wegen der gemeinsamen Sprache eh mittendrin im deutschen Literaturbetrieb. Was lässt sich als Gastland also noch gewinnen?

Gasser: Der Marktanteil österreichischer Verlage in Deutschland liegt bei rund zwei Prozent. Viele Verlage, Autoren, Autorinnen bekommen in Deutschland wegen der Klein teiligkeit und Konzernunabhängigkeit der hiesigen Strukturen zu wenig Aufmerksamkeit. Die ist Stärke und Schwäche zugleich.

STANDARD: Haben österreichische Autoren Erfolg, wechseln sie oft zu großen deutschen Verlagen. Das verzerrt die Statistik ...

Gasser: Jemand aus der Branche hat einmal gesagt, österreichische Verleger sind unbezahlte Scouts der großen deutschen Verlage.

STANDARD: So gesehen ist man zu erfolgreich ...

Gasser: In gewisser Weise, ja. Daran zeigt sich aber auch die Qualität der hiesigen literarischen Produktion, die durchaus etwas mit den im europäischen Vergleich sehr gut ausgestalteten Förderstrukturen zu tun hat. Auch wenn mir Literatur im Verhältnis zu anderen Kunstsparten, wo schnell viele Millionen ins Rollen gebracht werden, letztlich unterdotiert scheint. Doch haben größere deutsche Verlage eben ganz andere Möglichkeiten – etwa bei Vorschusszahlungen. Man kann es insofern keinem verübeln, wenn er dorthin wechselt. Bei einem deutschen Verlag zu sein heißt aber nicht, dass einem der Erfolg zufließt. Man kann dort der letzte Titel eines großen Programms sein. Für Spitzentitel in kleinen Verlagen kann die Aufmerksamkeit größer sein.

STANDARD: Zuletzt Gastland war Österreich 1995 in Frankfurt. Ihr Programm ist viel diverser, migrantischer, weiblicher. Wie sehr ist es Abbild der Verhältnisse, inwiefern auch Protest?

Gasser: Wenn wir Österreich als Land zeigen, das eine kulturell offene, mehrsprachige, sich verändernde Gesellschaft ist, beschreiben wir eine Faktizität. Das ist keine ideologische Setzung. Gleichzeitig ist unser Programm "Mea oiswia mia" Ausdruck eines Wunsches: dass Österreich das Selbstverständnis hätte, sich, im Bewusstsein seiner Geschichte, als mehrsprachiges und mehrkulturelles Land zu erzählen. Das heißt nicht, dass dann alles großartig liefe. Aber es gibt zur Auseinandersetzung damit keine Alternative: außer ideologische Entwürfe wie die Idee von Österreich als einer Festung, denen aber ein Vernichtungswille innewohnt. Es wäre schön, wenn die Kunst zumindest hin und wieder aus dem Dekorationsmodus geschält und, was dort an Erkenntnis stattfindet, ernst genommen würde.

STANDARD: Wie ernst nimmt die Politik Ihr Gastland-Programm?

Gasser: Eine entwickelte Demokratie ist auch dazu da, Kunst zu fördern, ohne sie in Dienst zu nehmen. Mir wurde nie auch nur ansatzweise eine Vorgabe zum Programm gemacht.

STANDARD: Die Branche beschwört das Leitmedium Buch, doch werden immer weniger gekauft.

Gasser: Immerhin kaufen in Österreich sechs Millionen Menschen regelmäßig Bücher! Ich halte weder etwas davon, in der Not mit Rabiat-Populärem zu liebäugeln, noch etwas davon, ein Untergangsszenario zu beschwören. Als Österreich 1995 Gastland war, war das Privatfernsehen hierzulande noch nicht erlaubt, natürlich hat Literatur heute also harte Konkurrenz! Auch innerhalb: Meine Tochter liebt Young Adult Novels, ich verzweifle daran fast. Aber ich verweigere mich dem Kulturpessimismus. Man kann natürlich sagen, ich gehöre mit 48 zum alten Eisen, aber lesen ist meine seelische und, ja, ökonomische Grundlage. Und ich habe nicht vor, morgen abzudanken.

STANDARD: Welche Klischees, wahr oder nicht, über hiesige Literatur wollen Sie nie mehr hören?

Gasser: Der durchschnittliche deutsche Feuilletonist hat es gerne, wenn österreichische Autorinnen ihr Land hassen, lustig sind und dazu formal avanciert. Das trifft zwar oft zu, gleichzeitig wird es der Literatur simplifizierend und erstickend um den Hals geschnürt.

STANDARD: Welches neue Bild soll im Zuge des Gastlands stattdessen in die Köpfe einziehen?

Gasser: Dass in Österreich sehr viel Unterschiedliches nebeneinander bestehen kann! Und es eine sehr lebendige junge Avantgarde-Szene gibt, die man etwa am Ritter-Verlag studieren kann. Vielleicht macht das unsere Literatur aus: Konformitätsuntauglichkeit. Auch wenn das Gastland-Projekt nicht Dienstleister an jedem Verlag und Autor sein kann.

STANDARD: Ist es traurig, dass viele dieser Autoren wohl nie in der Breite ankommen werden?

Gasser: Es ist vor allem traurig für "die Breite". Vor 20 Jahren hätte ich gesagt, geht lieber spazieren, ist doch schade um die Wälder, die für schlechte Bücher abgeholzt werden. Heute sage ich, mir ist lieber, einer liest ein schlechtes Buch, als er bringt seinen Nachbarn um. (Michael Wurmitzer, 16.4.2023)