Learning by Doing: Vieles ergab sich für die Quereinsteigerin aus Wels zufällig. Thea Ehres Strategie scheint aufzugehen.
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Außergewöhnliches Hobby hat Thea Ehre zwar keines, dafür tanzt sie gerne. Nicht vor anderen, sondern ganz für sich allein. Mit Kopfhörern hüpft sie durch ihr Zimmer in Wien und kann sich dabei völlig verlieren. Sie hört dann Pop, Rock oder auch Techno, die Musikrichtung ist ein bisschen egal.

Thea Ehre ist 23 Jahre alt, eigentlich Studentin und hat auf der Berlinale den Silbernen Bären für die beste Nebenrolle in Christoph Hochhäuslers Bis ans Ende der Nacht abgeräumt. Es war nicht nur ihre erste große Rolle, sondern auch ihr Filmdebüt. Plötzlich erlangte Ehre Aufmerksamkeit, als sie im pinken Anzug und mit blonder Lockenmähne den Preis entgegennahm – wegen ihres Talents und weil sie trans ist.

VIDEO: Thea Ehre im StandART-Interview
DER STANDARD

Seit 2021 vergibt das Filmfestival seine Preise nicht mehr in gegenderten Kategorien – also für beste Schauspielerin und besten Schauspieler –, sondern für die beste schauspielerische Leistung in einer Haupt- und Nebenrolle. Ein wichtiges Statement, findet auch Ehre, die 1999 im oberösterreichischen Wels als Bub geboren wurde. Das Aufbrechen dieser Kategorien sei wichtig, denn nur "so holt man alle ab und inkludiert auch nonbinäre Menschen", sagt Ehre im Interview (s. oben). "Jede Person soll gesehen werden und dieselben Chancen haben."

Auf der diesjährigen Berlinale räumte Thea Ehre den Silbernen Bären für die beste Nebenrolle in Christoph Hochhäuslers "Bis ans Ende der Nacht" ab.
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Toxische Situationen

In Bis ans Ende der Nacht spielt Ehre die Transfrau Leni, die zu Beginn in einem Männergefängnis sitzt. Auf Bewährung wird sie freigelassen, um dem Polizisten Robert (Timocin Ziegler) bei Ermittlungen im Drogenmilieu zu helfen. Da die beiden noch vor der Zeit im Gefängnis – und Lenis Transition – eine Beziehung führten, kommt es nun zu Konflikten und Demütigungen. Dieser Mix aus Thriller und queer-toxischem Beziehungsdrama wurde auf der Berlinale gefeiert, Ehre als neuer Shootingstar.

Schon beim Lesen des Drehbuchs habe sie sich in die Rolle "total verliebt", erzählt die Schauspielerin. Mit einem Coach hat sich die Quereinsteigerin, die es zwar in die zweite Runde am Max-Reinhardt-Seminar in Wien schaffte, aber nicht aufgenommen wurde, intensiv vorbereitet. "Stück für Stück habe ich die Figur gefunden und rund um mich aufgebaut", sagt sie unsicher und zugleich fokussiert.

Bisher spielte sie neben dem Studium der Theater-, Film- und Medienwissenschaften in zwei Folgen der ORF-Produktion Vorstadtweiber sowie der Serie Luden (auf Amazon Prime) mit. Am Wiener Volkstheater ist sie in der Performance Fugue Four: Response zu sehen. Vieles habe sich durch Zufall ergeben, "Learning by Doing" lautet die Strategie. Über aktuelle Projekte kann Ehre noch nichts verraten, ihr Studium hat sie jedenfalls erst mal stillgelegt.

The Match Factory

Kämpferin durch Zufall

Für die Rolle der Leni recherchierte Ehre viel, sprach auch mit einer Transfrau, die in einem Männergefängnis saß, über deren Erfahrungen. "Leni schlägt sich mit Dingen herum, die ich mir als Thea gar nicht vorstellen kann, weil ich zu privilegiert bin", sagt Ehre. Dennoch sieht sich die Schauspielerin auch selbst als "kleine Kämpferin". "Es hat mich krass fasziniert, in so eine Welt zu blicken und aufzuzeigen, dass Menschen in extrem prekären Lagen leben. Total viele Transfrauen befinden sich in solchen toxischen Situationen", sagt sie.

Dass Thea Ehre nach ihrer Auszeichnung gleich zur Transaktivistin ernannt wurde, überraschte die junge Schauspielerin. "Weder im Negativen noch im Positiven", wägt sie ab. Sie versuche, ihre Stimme zu nutzen, und gebe ihr Bestes. "Mir ist aber aufgefallen, dass man als Mitglied einer Minderheit in der Öffentlichkeit schnell zur Aktivistin auserkoren wird. Wenn ich eine Vorbildwirkung habe, freut mich das. Ich bin aber in erster Linie Schauspielerin", betont Ehre.

2021 setzte sie noch als Thea David Ehrensberger bei der Aktion #ActOut der Süddeutschen Zeitung mit 184 anderen Personen aus der LGBTQI-Community ein Signal. Vielleicht hat die deutschsprachige Filmszene mit Ehre eine neue Stimme gewonnen, die für Sichtbarkeit von Transpersonen kämpft – ohne auf den Tisch zu hauen.

Faire Rollenbesetzungen: "Ich möchte als Transfrau auch die Chance haben, eine Cis-Frau zu spielen", sagt Thea Ehre.
Foto: Heribert CORN

Können alle alles spielen?

In den letzten Jahren herrscht etwas mehr Sensibilität in der Filmbranche, wenn es darum geht, welche Rolle mit welcher Person besetzt wird. Öfters werden also Transpersonen für Transfiguren angefragt. Ehre findet, man müsse diese Entwicklung differenziert betrachten. "Natürlich ist es gut, dass Menschen wie ich ins Boot geholt werden. Es ist aber auch wichtig, nicht immer alles als fixiert anzusehen", sagt sie.

Können also alle alles spielen? Bei Hautfarbe zieht Ehre die Grenze, weil sie das für rassistisch hält. Sexualität und Geschlecht hingegen seien fluid. Wenn irgendwann genügend Sichtbarkeit herrscht, werde sich das auch wieder vermischen, ist sich Ehre sicher.

Problematisch fände sie es nicht, wenn eine Cis-Frau eine Transfigur spielen würde. "Dann möchte ich als Transfrau aber auch die Chance haben, eine Cis-Frau zu spielen. Man kann in beide Richtungen fair besetzen. Das ist doch ganz einfach", sagt Schauspielerin Thea Ehre und lächelt selbstbewusst. (Katharina Rustler, 19.4.2023)