Der Erdbeer-Kalmar ist einer von vielen beinahe außerirdisch anmutenden Bewohnern der Tiefsee.
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Die Tiefsee ist nicht erst seit der Serie Der Schwarm ein faszinierendes Mysterium. Die Fernsehproduktion erzählt von unbekannten kleinen Meereslebewesen, die die Menschheit attackieren – oder sich gegen die Übergriffe des Menschen wehren, je nach Perspektive. Insbesondere in Hinblick auf Bedrohungen der Ozeane hat die Serie Aktualität, denn zusehends rückt die Tiefsee in den Fokus wirtschaftlicher Interessen. Auf dem Meeresgrund liegen seltene Metalle, deren Abbau jedoch ernste Folgen für dortige Ökosysteme mit sich bringt.

"Die Tiefsee ist ein finsterer Lebensraum ohne Licht, kalt, mit ein bis zwei Grad, und das überall, egal ob in Polarregionen oder in den Tropen", weiß Gerhard Herndl, Meeresökologe und Ozeanograf der Uni Wien. Was Herndl nicht weiß, ist noch viel mehr: "Wir wissen über die Tiefsee weniger als über die Oberfläche des Mondes."

Manganknollen werden in einer bizarren und fantastischen Welt geborgen.
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Vom Meeresboden seien nur rund drei Prozent bekannt, von der Wassersäule darüber sogar noch viel weniger. 70 Prozent des Planeten sind von Meer bedeckt. Die Tiefsee beginnt 200 Meter unter der Wasseroberfläche und reicht im Marianengraben bis zu 11.000 Meter nach unten, die mittlere Tiefe liegt bei 3800 Metern. "Das heißt, wir haben dreieinhalb Kilometer Wassersäule im Durchschnitt über den gesamten Globus."

Leben in 8000 Metern Tiefe

Trotz Dunkelheit und Kälte sei genügend Sauerstoff vorhanden, anders als früher angenommen. Deshalb gibt es auch reichlich Leben in der Tiefsee. Im Rahmen des Census of Marine Life haben 80 Nationen von 2000 bis 2010 über 122.000 Arten beschrieben. Laufend werden neue Arten entdeckt. Die Lebewesen der Tiefsee haben teils eigenartige Formen und Strategien zum Beutefang. Ein gutes Beispiel für einen tierischen Rekordhalter ist der Scheibenbauch, ein Fisch, der noch unter 8000 Meter Tiefe vorkommt.

Angepasst an das Leben bei hohem Druck in in völliger Dunkelheit: der Tiefsee-Anglerfisch.
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Bisher wurde angenommen, dass wegen des Drucks kein Wirbeltier unter 7000 Metern leben kann. Die Tiere der Tiefsee könnten bald unangenehme Gesellschaft bekommen. Schon 2019 wollten internationale Bergbauunternehmen mit der Förderung der Manganknollen beginnen. Covid verzögerte den Start. Die Knollen wachsen sehr langsam – etwa zehn bis 20 Millimeter in einer Million Jahre. "Sie bilden den Lebensraum von Schwämmen, Nesseltieren und speziellen großen Einzellern", sagt Monika Bright, Meeresbiologin an der Uni Wien. Manganknollen enthalten Platin, Gold, Lithium, Kobalt – und Mangan.

Begehrte Rohstoffe

Einige dieser Metalle werden für Batterien gebraucht und damit für die Energiewende und Elektromobilität. So versprechen die Knollen auf dem Meeresgrund auch Profite. Großes Interesse zeigen allen voran China, Frankreich, Deutschland, Indien, Japan, Russland und Südkorea. Prototypen zum Schürfen existieren bereits.

Die Tiefseebergbaumaschinen ähneln Mähdreschern: vorne eine Trommel mit Raspeln, die den Meeresboden aufkratzen. So sammeln sie Manganknollen, wirbeln aber auch den Meeresboden aus Tonschlamm auf. Die dadurch entstehenden Wolken werden von Meeresströmungen verteilt und verschmutzen ein weit größeres Gebiet als das des eigentlichen Abbaus.

So faszinierend wie der Name: eine Anthomedusae Pandea rubra.
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Die Wiederbesiedlung kann in der Tiefsee Jahrzehnte dauern. Wegen des Aufwandes lohnt sich Tiefseebergbau erst ab einer Menge von 5000 Tonnen Manganknollen pro Tag und Abbaueinheit – was je einen Quadratkilometer Meeresboden zerstört. Bisher existieren keine internationalen Standards und Regularien.

Unternehmen wie The Metals Company und Global Sea Mineral Resources bewegen sich quasi in rechtsfreiem Raum und buhlen um Abbaulizenzen von Entwicklungsländern. "Das Problem ist, dass man die Verschmutzung nicht sieht. Das ist in der Tiefsee, in zwei- bis dreitausend Meter Tiefe, das kümmert keinen Menschen", sagt Herndl.

Schritte zum Erhalt

Einige kümmert es aber doch: Anfang April kam die Internationale Meeresbodenbehörde zusammen, um sich über die Zukunft der Tiefsee zu einigen. Teile des EU-Parlaments, Deutschland, Vanuatu und Finnland plädierten für ein Moratorium, also einen vorläufigen Abbaustopp. Der Anfang März beschlossene Uno-Ozeanvertrag sieht vor, 30 Prozent der Weltmeere bis 2023 unter Schutz zu stellen. Für Bright "ein riesiger Gewinn für den Meeresschutz".

Eine Gonionemus-vertens-Qualle.
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Die Tiefsee macht 90 Prozent der Biosphäre aus und spielt eine Schlüsselrolle für Klima, Fischerei und elementare Kreisläufe. Es gibt etwa Kleinstlebewesen, die CO2 in der Tiefsee fixieren. Die Frage nach Ökosystemdienstleistungen findet Herndl bezeichnend: "Das ist natürlich ein sehr anthropozentrischer Begriff. Weil im Prinzip alles irgendwie dem Menschen dienen muss." Für ihn ist klar: "Tiefseebergbau ist im Prinzip ein weiterer Schritt der Ausbeutung, des Raubbaus an der Erde. Man muss schauen, dass man zu einer grundlegenden Transformation der Wirtschaft kommt. Die ist unumgänglich." (Luca Gasser, 23.4.2023)