Terlan Djavadova (rechts) und ihre Helfer in Mershush, Marokko, bei Rashida (Zweite von rechts) und ihrer Familie.
Foto: Terlan Djavadova

Auf die neue Kollegin aus der Schweiz, die im Sommer nach Wien kommt und zwei Jahre bleiben wird, freut sich das Team schon: "Eine Historikerin, mit ihr werden wir uns ansehen, ob das, was man von den Wanderbewegungen der Beduinen weiß – wann und warum ein Stamm dort- oder dahingezogen ist –, mit unseren Sprachforschungen zusammenpasst." Zusammenarbeit zwischen Geschichte und Sprachwissenschaft gebe es im Kontext der Arabistik bisher zu wenig, sagt Stephan Procházka, Professor für Arabistik an der Universität Wien und Leiter des Projekts Wibarab. Seit Oktober 2021 forscht seine Gruppe, mit einem ERC Advanced Grant ausgestattet, über arabische Beduinendialekte. Das Akronym "Wibarab" fasst die Forschungsfrage "What is Bedouin Type Arabic?" zusammen. Und daraus ergeben sich viele andere Fragen, nicht nur rein linguistische.

Das Superstipendium, verliehen vom European Research Council (ERC), ist in der europäischen Forschung so etwas wie ein – allerdings hart erarbeiteter – Lottojackpot und wird geisteswissenschaftlichen Vorhaben eher selten zugesprochen. "Für unsere Philologisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät ist es der erste Advanced Grant überhaupt", sagt PI – Principal Investigator, so heißt das offiziell – Procházka. Projektdauer ist bis September 2026, zwischen zehn und zwölf Leute, von Postdocs bis studentische Hilfskräfte, arbeiten daran. Das Team ist sehr international aufgestellt – und sehr weiblich, wie ja heute die Geisteswissenschaften generell.

Digitale Sprachlandkarte

Ein Teil des Projekts ist an der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) angesiedelt, am Austrian Centre for Digital Humanities und Cultural Heritage, mit dessen Team Wibarab eine große Datenbank aufbaut. Im Endausbau wird man hunderte Features der arabischen Dialekte auf einer digitalen Landkarte mit vielen Funktionen zur Verfügung gestellt bekommen. "Auf dem World Atlas of Language Structures (Wals, Anm.) ist Arabisch fast noch nicht berücksichtigt", sagt Procházka, und das so soll sich ändern. Soeben wurde die erste Karte fertig, das wurde im Team gefeiert. Eine Masterarbeit dazu ist auch in Arbeit.

Im Rahmen von Wibarab werden auch drei Dissertationen geschrieben. Und es macht sich ein Zufluss von Masterstudierenden aus dem Ausland an die Wiener Arabistik bemerkbar, die sich zu einem Mekka der arabischen Dialektologie entwickelt hat. "Beim letzten Kongress der Association Internationale de Dialectologie Arabe in Granada haben wir aus Wien vielleicht fünfzehn Prozent der Teilnehmerschaft gestellt", erzählt Procházka. Um dem internationalen Anspruch gerecht zu werden, würde er sich für sein Institut ein Masterstudium in arabischer Sprachwissenschaft auf Englisch wünschen.

Libanon statt Ägypten

Bei der Projekteinreichung standen die sieben Länder, wo Feldforschungen betrieben werden sollten, fest: Saudi-Arabien, Kuwait, Jordanien, Sudan, Tunesien, Marokko und Ägypten. Aber in Ägypten, Referenzpunkt für ganze europäische Arabistengenerationen, ist Forschung heute nicht möglich: Selbst bei Genehmigungen – die nicht kamen – hätten die Menschen zu viel Angst, mit ausländischen Forschenden zu sprechen. Ägypten wurde deshalb durch Libanon ersetzt.

So ändern sich die Zeiten: Dafür kann sich im heutigen Saudi-Arabien eine junge Wissenschafterin am Flughafen Riad ein Leihauto nehmen und losfahren, um im Land zu forschen. Dazu muss man wissen, dass früher oft sogar Musliminnen, die an der Hajj teilnehmen wollten, Visa verweigert wurden, wenn sie unbegleitet und ledig waren.

Bei den Rashayda bei al-Thimad in Saudi-Arabien, im Haus des Scheichs.
Foto: Gunda Kinzl

In Saudi-Arabien gab es allerdings ein anderes Problem: Die Interviewten rezitierten am liebsten Gedichte ins Mikrofon, um der Forscherin aus Österreich die große arabische Kultur nahezubringen. Erst die Behauptung, dass der "Chef" in Wien, dieser kulturlose Geselle, kein Freund der arabischen Lyrik sei, verschafften ihr Aufnahmen in der Alltagssprache. Und dann gab es auch noch die Schwierigkeit, dass der Stamm der Rashayda, deren Sprache erfasst werden sollte, in zwei Teile gespalten ist: Und der eine will nicht, dass man mit dem anderen spricht.

Beduinisch ist nicht gleich nomadisch

Bei den Rashayda geht es um eine der Kernfragen von Wibarab. Teile des Stammes sind im 19. Jahrhundert, vielleicht wegen einer anhaltenden Dürre, von Khaybar (Provinz Medina) in verschiedene Richtungen gewandert: nach Kuwait, Palästina, Ägypten, Sudan und Eritrea. An diesem Fall lässt sich prüfen, ob ein Stamm, auch wenn die Teile 1000 Kilometer entfernt voneinander leben, dennoch eine linguistische Einheit bleibt. Im Sudan konnte die betreffende Feldforschung übrigens noch stattfinden, das ginge momentan nicht mehr.

Dafür, dass es heute falsch wäre, "beduinisch" automatisch mit "nomadisch" gleichzusetzen, hat Procházka ein faszinierendes Beispiel aus dem Libanon. Mitten in der Hauptstadt Beirut gibt es Beduinen: Im Viertel Karantina – dort war die Quarantänestation und ein riesiges Schlachthaus – haben sich vor Generationen mehrere Stämme angesiedelt, die Arab al-maslakh, Schlachthaus-Araber, wie sie sich selbst nennen. Sie haben eine eigene Identität und Sprache – die sie abstreifen, wenn sie ihr Viertel verlassen. Sie sehen sich als Beduinen, als "Araber", während die da draußen "Phönizier" sind.

Jeder der lokalen Bereiche von Wibarab hat seine eigene Forschungsfrage: In Marokko etwa lautet die Arbeitshypothese, dass sich das heutige Marokkanisch nicht, wie oft in anderen Ländern, aus dem Hauptstadtdialekt entwickelt hat, sondern aus den beduinischen Dialekten im Hinterland von Casablanca. Ähnlich wäre es in Amman, wobei in Jordanien der hochpolitische Aspekt dazukommt, dass das Beduinische der Dialekt der – in ihrem Selbstverständnis – "echten" Jordanier ist, im Gegensatz zu den Palästinensern. Dort ist es die Elitesprache, während etwa in Ägypten den Beduinendialekten auf dem Sinai dieser hohe Status völlig abgeht.

Frauen gegen weibliche Endungen

Fast immer ergeben sich aus rein linguistisch anmutenden Fragen auch soziolinguistische. Beduinische Dialekte haben alle gemeinsam, dass der Buchstabe "qaf" (wie in Katar) als "g" ausgesprochen wird. So spricht "man" in Amman, wo jedoch die Frauen statt "q" zu einem anderen Laut tendieren, dem Hamza (ein sogenannter Glottisschlag, ein auch uns bekannter Laut, für den wir aber keinen Buchstaben haben). Frauen sind Treiber von Dynamik und sprachlicher Entwicklung. Insofern ist das Arabische ein Traum für Feministinnen, da es sogar eigene weibliche Endungen für Verben gibt: Aber die jungen Frauen benützen sie immer weniger. Sie wollen sprachlich ganz gleich behandelt werden. Also genau andersherum als bei uns.

Die Stammesaraber macht übrigens, ironisch gesagt, eine ordentliche Genealogie aus: Sie wären bass erstaunt, dass das Wort "Stamm" bei uns heute nicht mehr politisch korrekt ist. Die Dichotomie zwischen Beduinen und Sesshaften ist keine europäische Erfindung, kein orientalistisches Konstrukt. Schon die alten arabischen Grammatiker haben das unterschieden, die Idee der "Reinheit" geht bis ins 9. Jahrhundert zurück. Es gibt übrigens keine andere Sprache auf der Welt, die so lang in einem so großen Raum gesprochen wird. Mit ähnlichen Dialekten in einer Entfernung wie umgerechnet Wien und Hamburg. (Gudrun Harrer, 26.4.2023)