Die Inflation in Österreich ist fast zweistellig, viel höher als in Deutschland und im EU-Durchschnitt; sie wird bis Jahresende wohl nicht sinken; der Chef des Wirtschaftsforschungsinstitutes gibt in mehreren Interviews zu, man habe sich in der Methode der Inflationsbekämpfung wohl geirrt, man müsse vielleicht etwas anderes versuchen: "So kann das nicht weitergehen."

Setzt weiter auf das Thema Migration: Kanzler Karl Nehammer hat bei seinem Besuch bei Giorgia Meloni in Rom eine "Asyl-Allianz" vereinbart.
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Der Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker gibt ein Interview, in dem er schwerwiegende Besetzungsprobleme in Wiener Spitälern gleichzeitig zugibt und bagatellisiert; diverse Gesundheitspolitiker beklagen die Tatsache, dass es immer mehr Wahlärzte und immer weniger Kassenärzte gibt, und streiten über Abhilfe. Die Ärztekammer Wien spricht von einem "langsamen Absterben der Kliniken".

Verlorener Zukunftsoptimismus

Eine Befragung unter Klienten der Caritas-Betreuungseinrichtungen zeigt, dass drei von vier Betroffenen sich weder Heizen noch eine Hauptmahlzeit alle zwei Tage leisten können. Und so weiter. Der Bundeskanzler der Republik Österreich hingegen reist nach Rom und vereinbart mit der Postfaschistin Giorgia Meloni eine "Asylallianz".

Das Thema "Zuwanderung" beherrscht die Rhetorik des Kanzlers und belegt seine Zeit. Meist handelt es sich um Symbolpolitik, beflügelt von der Furcht, Wähler an die FPÖ zu verlieren. Im Hintergrund gibt Ex-Kanzler Sebastian Kurz in einem Gastkommentar in der deutschen Welt den europäischen Konservativen den guten Rat, sie müssten einfach rechtspopulistischer werden. Das passt zu der Diagnose des deutschen Politologen Thomas Biebricher, der in seinem Buch Mitte/ Rechts. Die internationale Krise des Konservatismus festhält, dass es immer weniger starke Mitte-rechts-Parteien gibt, die sich vom Rechtspopulismus abgrenzen.

Die Migrationsproblematik darf nicht vernachlässigt werden, aber im Moment ist sie nicht das drängendste Problem. Das besteht darin, dass der Sozial- und Wohlfahrtsstaat an allen Ecken und Enden kracht, dass für große Teile der Bevölkerung das tägliche Leben immer schwerer zu bewältigen ist. Was wiederum dazu führt, dass Zukunftsoptimismus verlorengeht und Abstiegsängste gerade in der Mittelschicht dominant werden. Das wiederum führt – empirisch belegt – zur verstärkten Wahl von extremistischen Parteien.

Handfeste Inflationsallianz

Die politische "Ausländerei" löst da gar nichts. Ein Kanzler, ein Vizekanzler und die beiden Regierungsparteien müssten sich fragen, ob es nicht Zeit ist für ein gemeinsames Nachdenken und für gemeinsame Aktionen mit den Sozialpartnern und allfälligen anderen Interessenvertretungen, um sich auf eine situationsadäquate Wirtschaftspolitik zu einigen. Hat es früher schon einmal gegeben. War ein Geheimnis des Erfolgs von Nachkriegsösterreich.

Nun kann man nicht davon ausgehen, dass die "Lohn-Preis-Abkommen" der 50er- und 60er-Jahre heute in dieser Form wiederholt werden könnten (ganz abgesehen davon, dass es damals eine wirkliche große Koalition aus ÖVP und SPÖ gab).

Aber eine abgestimmte, konsensuale Wirtschafts-und Sozialpolitik müsste auch so möglich sein. Die Neos sind grundsätzlich bereit, müssten aber ihr wirtschaftspolitisches Profil vorher schärfen. Die SPÖ müsste sehr rasch ihre Führungskämpfe beenden und dann schauen, was mit einer Regierung aus ÖVP und Grünen zu machen ist. Die ÖVP müsste ihre fatale Neigung sein lassen, sich den Themen Herbert Kickls und der FPÖ selbst zu unterwerfen, und endlich reale Politik machen. Eine handfeste Inflationsallianz wäre jetzt wichtiger als eine vage Asylallianz. (Hans Rauscher, 5.5.2023)