Am 17. Mai ist Internationaler Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie. Der in Buenos Aires lebende Belgier Stéphane Jacob, selbst Transmann, engagiert sich schon lange für die Rechte von Transpersonen.

"Ich bin jetzt 67 Jahre alt und habe mein ganzes Leben lang mit Menschen zusammengelebt, mit der Familie, meinen beiden Kindern, Freunden und Freundinnen, mit all meinen Lebenspartnern, aber noch nie zuvor alleine! Ich möchte keinen einzigen Tag dieser Zweisamkeit und Vielsamkeit missen, denn diese Erfahrungen haben mich geprägt und mich zu dem gemacht, der ich heute bin. Aber irgendwann einmal, das muss 2019 gewesen sein, kurz vor der Pandemie, kam plötzlich der Wunsch in mir auf, alleine zu leben – in einer für mich passenden Unordnung, ohne dass ich irgendjemandem Rechenschaft darüber ablegen muss, warum der Aschenbecher voll und die Zahnpastatube leer ist.

Sein Loft in Buenos Aires "fand" Stéphane Jacob in Lissabon. Das Kaufanbot legte er ohne Besichtigung.
Foto: Wojciech Czaja

Im Internet bin ich auf eine Immobilienanzeige gestoßen, auf dieses wunderschöne Loft im Stadtviertel San Cristóbal, ein Haus aus dem Jahr 1890, zentral gelegen, mit vielen Lokalen, Geschäften und sogar zwei U-Bahn-Linien ums Eck. Ich habe die Fotos gesehen und wusste: Das ist es! Ich war zu diesem Zeitpunkt gerade in Lissabon, hatte also keine Möglichkeit, das Objekt zu besichtigen, habe mich allein auf mein Bauchgefühl verlassen – und mehr oder weniger blind und mit viel Vertrauen in die Welt ein Kaufanbot gelegt.

Als ich zum ersten Mal, nachdem ich das Haus gekauft hatte, nach Buenos Aires zurückgekommen und ins Haus reingegangen bin, war das schon sehr aufregend! Man muss sich vorstellen: Am Immobilienmarkt hat dieses Haus nicht viel Wert – Altbau, sanierungsbedürftig, unverputzte Ziegelwände, undichte Fenster, steile Treppe, kein Lift, ein leerstehendes Café im Erdgeschoß und aufgrund der Offenheit ohne abgetrennte Zimmer für viele ganz einfach unpraktisch und ineffizient. Es war also recht günstig. Für mich aber hat dieser Ort einen mittlerweile unbezahlbaren Wert.

Die meisten der Kunstwerke in Stéphane Jacobs Loftwohnung stammen "von lieben Freundinnen und Freunden aus aller Welt". Eine Freundin von ihm unterrichtet in der 180 Quadratmeter großen Wohnung Tango.
Fotos: Wojciech Czaja

Vor vielen Jahren hat hier ein Architekt gewohnt, der sämtliche Zwischenwände herausgerissen und zwei Galerien eingezogen hat. Zuletzt hat hier eine alte Frau gewohnt, eine Künstlerin, und die Energie dieser beiden Menschen ist einfach wunderbar. Ich musste nicht viel ändern, bloß die Klebefolien von den Fenstern lösen und den unsagbar hässlichen Lack von den Terrakotta-Fliesen herunterrubbeln. Und nein, eigentlich mag ich Türkis und Violett überhaupt nicht, meine Lieblingsfarbe ist Orange, aber manchmal passiert es im Leben, dass es einen überkommt, und dann hat man plötzlich eine lila Wand und ein türkises Sofa in der Wohnung stehen.

Ein wichtiges, präsentes Thema in meinem Leben ist Transkultur. Ich bin selbst ein Transmann und engagiere mich seit 2004 für die kulturelle Identität und soziale Inklusion von Transgender-Personen. Kein Wunder also, dass meine Wohnung voll ist mit Penissen, Vulven und Brüsten – beziehungsweise mit dem Abbild künstlerischer Auseinandersetzung damit in Form von Bildern, Plakaten, Fotografien, Skulpturen. Die meisten Kunstwerke sind von lieben Freunden und Freundinnen aus aller Welt.

"Jetzt wohne ich also zum ersten Mal im Leben alleine", sagt Stéphane Jacob – abgesehen von der Katze.
Fotos: Wojciech Czaja

Jetzt wohne ich also zum ersten Mal im Leben alleine. Ich mache, was ich will, ich halte Ordnung und Unordnung, wie ich will, ich bin nun mein eigener Chef. Aber ganz allein bin ich auch jetzt wieder nicht. Die Wohnung ist so groß, 180 Quadratmeter in Summe, dass ich mein Wohnzimmer ein paar lieben Menschen kostenlos zur Verfügung stelle. Eine Freundin von mir unterrichtet hier jeden Tag Tango, außerdem bin ich mit ein paar Tattoo-Leuten befreundet, die hier ab und zu einen Tattoo-Workshop veranstalten und kostenlose Versuchskaninchen tätowieren. Es ist immer was los. Einsam werde ich hier jedenfalls nicht.

Es ist ein schönes Leben. Buenos Aires bietet viele Möglichkeiten, sich zu verwirklichen. Jetzt geht es darum, die finanzielle Lebensqualität in Argentinien in den Griff zu kriegen, denn das Land ist ökonomisch komplett am Boden, eine Katastrophe. Wir halten uns mit Lebensfreude über Wasser." (PROTOKOLL: Wojciech Czaja, 15.5.2023)