Jewgenija Guzul gewann offiziell die Stichwahl in Gagausien am vergangenen Sonntag. Es gibt aber zahlreiche offene Fragen.

Foto: EPA/DUMITRU DORU

Die Regionalwahlen in Gaugasien, einem autonomen Gebiet innerhalb der Republik Moldau, sind geschlagen. Das Ergebnis ist auf den ersten Blick knapp, aber eindeutig: Die Kandidatin der Șor-Partei, Jewgenija Guzul*, wurde mit 52 Prozent der abgegebenen Stimmen zur neuen Regionalgouverneurin von Gagausien, gewählt. Gegenkandidat Grigorij Usun, der von den Sozialisten unterstützt wird, unterlag in der Stichwahl um die Führung der moldauischen Teilregion. Und trotzdem könnte sich alles noch einmal ändern, denn sowohl in Bezug auf die Wahlen als auch gegen die Șor-Partei wird ermittelt.

Feindbild Chișinău

Ein kurzer Rückblick: Am 30. April traten sieben Kandidaten und eine Kandidatin für das Amt des Başkan an – das höchste Exekutivorgan in der autonomen moldauischen Provinz Gagausien. Vergangenen Sonntag kam es dann zur Stichwahl zwischen Usun und Guzul. Beide gaben sich während des gesamten Wahlkampfes demonstrativ prorussisch. Guzul hatte im Wahlkampf versprochen, eine gagausische Dependance in Moskau zu eröffnen, der Duma-Abgeordnete und Vorsitzende der LDPR, Leonid Sluzki, unterstützte ihre Kandidatur. "Wir sind sozusagen eine prorussische Partei. Wir wollen die Freundschaft mit der Russischen Föderation fortführen", sagte Guzul nach ihrem Wahlsieg. Die Partei führe außerdem Gespräche, um eine russische Hochschule in der Region zu eröffnen – russischer Abschluss inklusive. Während die Republik Moldau aus der russisch dominierten Gemeinschaft unabhängiger Staaten (GUS) aussteigt, will sich Gagausien also noch näher an Russland binden. Die Beziehungen zur Regierung Moldau sind daher wenig überraschend angespannt. Chișinău habe alles getan, um die ihren Wahlsieg zu verhindern, wird Guzul zitiert.

Der von der sozialistischen Partei unterstützte Grigorij Usun musste sich bei der Stichwahl laut offiziellem Ergebnis geschlagen geben und erkannte Guzuls Sieg an.
Foto: EPA/DUMITRU DORU

Spendengrenze um das fast Vierzigfache überschritten

Proeuropäischer Moloch in der Hauptstadt Chișinău, wahre Freunde hingegen in Russland: Damit schlägt die bis vor kurzer Zeit noch gänzlich unbekannte Guzul in dieselbe Kerbe wie der Parteichef und mächtige Mann im Hintergrund, Ilan Șor. Der Oligarch wurde in Moldau unter anderem wegen Betrugs zu einer 15-jährigen Haftstrafe verurteilt und hält sich deshalb in Israel auf. Er schickte jedoch aus der Ferne Videobotschaften zur Unterstützung Guzuls, gab einen eigenen Wahlkampfsong bei russischen Popstars in Auftrag und ergriff darüber hinaus mutmaßlich Maßnahmen, die Guzul nun zum Verhängnis werden könnten.

So soll Guzul die gesetzliche Maximalhöhe an erhaltenen Spenden überschritten haben. Diese beträgt 11.700 moldauische Lei, umgerechnet knapp 2.400 Euro. Laut der zentralen Wahlkommission Moldaus hat Guzul diese Summe um 458.800 Lei, also mehr als 90.000 Euro überschritten (im Übrigen sollen aber laut der Kommission auch alle anderen sieben ursprünglichen Kandidaten die Grenze überschritten haben, niemand aber in der Höhe wie Guzul). Schon vor der Stichwahl hat die Zentrale Wahlkommission Moldaus dies der Zentralen Wahlkommission Gagausiens mitgeteilt, diese hat aber keine Schritte eingeleitet.

Verhaftungen und Durchsuchungen vor Stichwahl

Die Șor-Partei macht schon lange in ganz Moldau Stimmung gegen die EU-freundliche Regierung und karrte mutmaßlich tausende bezahlte Demonstrantinnen und Demonstranten in die Hauptstadt Chișinău. Unabhängig von Gagausien wird bis Mitte Juni eine Entscheidung des moldauischen Verfassungsgerichts erwartet, das gerade ein Verbot der gesamten Șor-Partei prüft.

Schon während des Wahlkampfes kam es aber zu Zwischenfällen. Guzuls Stellvertreterin, eine zentrale Figur der Șor-Partei, Marina Tauber, war bereits am 1. Mai, dem Tag nach dem ersten Wahlgang, wegen des Verdachtes der illegalen Parteienfinanzierung am Flughafen in Chișinău verhaftet worden.

Am 7. Mai, eine Woche vor der Wahl, waren Regionalbüros der Șor-Partei in Gagausien polizeilich durchsucht worden. Der Vorwurf: Die Partei habe Aktivistinnen und Aktivisten 15.000 Lei geboten, wenn sie je 30 Wählerinnen oder Wähler überzeugen, für Guzul zu stimmen. Das wäre ein Verstoß gegen das Wahlrecht. Außerdem hätten die Ermittler Medienberichten zufolge Beweise für den organisierten Transport von Wählerinnen zur Stimmabgabe gegen Bezahlung sowie für die Annahme von Geld von einer anonymen organisierten kriminellen Gruppe.

Entscheidung im Kreml

Eine "schlüsselfertige Wahl" nennt Mihail Sirkeli das, was am Sonntag in Gagausien passiert ist, der Ausgang stand für ihn von Anfang an fest. Sirkeli ist Herausgeber des unabhängigen gagausischen Online-Mediums "Nokta" und gibt sich im Gespräch mit dem STANDARD über das Ergebnis der Stichwahl wenig überrascht.

Guzul habe schon nach der ersten Wahl mehr Stimmen gehabt. Für ihn scheint es so, als habe sich der Kreml schlussendlich aus dem Pool der prorussischen Kandidaten für die Unterstützung der Șor-Partei entschieden, die schon seit vergangenem Jahr eine strategische Partnerschaft mit der russischen Führung pflegt. "Der eigentliche Kampf findet im Kreml statt, wo entschieden wird, wer als genehmer Kandidat nominiert wird", sagt Sirkeli. Da die Region mit wenigen Ausnahmen von prorussischen Medien dominiert wird, werde auch nicht über Unregelmäßigkeiten im Zuge der Wahlen berichtet. Sirkeli spekuliert auch über eine Rückkehr Ilan Șors nach Gagausien. Er könne die Region wohl effizienter führen als die unbekannte Guzul, sofern die örtlichen Gerichte die Haftstrafe gegen ihn ignorieren.

Eskalation nach der Stichwahl

Und vorausgesetzt, die Șor-Partei wird nicht ohnehin verboten oder die Wahl aufgehoben. Bezüglich Letzterem war die zentrale Wahlkommission Gagausiens aber bisher untätig. Vertreter der Regierung in der Chișinău forderten jüngst ein konsequenteres Vorgehen. "Diese Wahlen müssen zuallererst für ungültig erklärt werden", sagte Ministerpräsident Dorin Recean. Mittlerweile lägen genügend Beweise dafür vor.

Dienstagnachmittag eskalierte dann die Lage: Die zentrale Antikorruptionsbehörde Moldaus betrat mit vermummten Spezialeinheiten die Wahlkommission Gagausiens in der Hauptstadt Komrat. Laut Medienberichten kam es zur Beschlagnahme von Wählerlisten. Die Behörde bestätigte später, dass es bei den Ermittlungen um den Kauf von Wählerstimmen gehe. In Komrat kam es daraufhin zu Demonstrationen und zu einer Sondersitzung der gagausischen Volksversammlung. Jewgenija Guzul war vor Ort und gab sich kämpferisch. "Wir werden der Zentralregierung nicht die Möglichkeit geben, dem gagausischen Volk ins Gesicht zu spucken", schreibt sie auf Facebook. (Levin Wotke, 17.5.2023)