Aus den Augen der Vorsitzenden sprach Empörung. Angriffslustig hat Pamela Rendi-Wagner bei ihrem jüngsten Auftritt verteidigt, dass sie ÖVP und Grünen im Parlament die kalte Schulter zeigt. Die SPÖ will der Koalition die für eine Verfassungsmehrheit nötigen Stimmen künftig selbst dann versagen, wenn es unumstritten Sinnvolles wie ein Klimaschutzgesetz zu beschließen gibt. Die Situation lasse keine andere Wahl, argumentiert die Parteichefin: "Wir haben eine Bundesregierung, die der größten Teuerung seit eineinhalb Jahren tatenlos zusieht."

Staatstragend war einmal: Die Sozialdemokraten, einst auf die Kanzlerschaft abonniert, machen nicht erst seit der ausgerufenen Blockade auf Fundamentalopposition. Die Preisexplosion hatte noch gar nicht den Höhepunkt erreicht, da warfen die roten Wortführer Türkis-Grün bereits Scheitern vor. Seither prasselt auf die Regierenden in Endlosschleife der Vorwurf ein, sie ließen die Menschen mit ihren Horrorrechnungen allein. Werden die Kritiker an die milliardenhohen Antiteuerungshilfen erinnert, schallt es reflexartig retour: Das Geld sei samt und sonders "verpufft".

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner griff Bundeskanzler Karl Nehammer in einer Sondersitzung zum Thema "Totalversagen der Bundesregierung im Kampf gegen die Teuerung" scharf an.
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Hinter diesen Tiraden steckt nichts als blanke Desinformation, wie sie die Sozialdemokraten zu eigenen Regierungszeiten der radauschlagenden FPÖ vorgeworfen haben. Eine Oppositionspartei hat jedes Recht, Ausmaß, Ziele und Design von Regierungsmaßnahmen zu zerpflücken. Doch niemand mit einem Mindestmaß an seriösem Anspruch kann behaupten, die Koalition habe 30 Milliarden – wie Rendi-Wagner sagt – "ohne Wirkung rausgeworfen". Nachweislich haben all die Extrazahlungen an die Bevölkerung viel Not verhindert; im Vorjahr schüttete der Staat laut Berechnungen sogar mehr aus, als die Inflation im Schnitt kostete. Wie und warum das Geld verpufft sein soll, kann kein Mensch vernünftig erklären.

Soziales Leid

Bei aller überzogenen Rhetorik ist der SPÖ aber auch zuzugestehen: In der Sache gewinnt die Kritik an der sozialen Vernachlässigung zunehmend Berechtigung. Tatsächlich deuten die Zeichen darauf hin, dass materielles Leid nun stärker um sich greift als im Jahr eins der Teuerungskrise. Gezielte Unterstützung für Bedürftige kommt heuer zu kurz. Stattdessen macht die Regierung viel Geld für die Abschaffung der kalten Progression in der Lohn- und Einkommensteuer locker, die überwiegend Besserverdienern zugutekommt.

Überdies haben die Sozialdemokraten in einer entscheidenden Frage recht behalten. Schon vor einem Jahr drängten sie auf Markteingriffe, um die Teuerungswelle nicht bloß mit Staatshilfen zu kompensieren, sondern direkt einzudämmen. Was die Roten erst zu Außenseitern machte, ist nun im Mainstream der Wirtschaftsforscher angekommen. Ohne Preisbremsen, argumentieren Kapazunder wie Wifo-Chef Gabriel Felbermayr heute, drohe sich Österreich in einer Inflationsspirale zu verfangen.

In der SPÖ existieren also noch Expertise und Weitblick, was die eigenen Propagandisten nicht mit dumpfen Parolen verschleiern sollten. Denn dass aufgeheizte Proteststimmung der Linken nützt, ist ein zweifelhaftes Kalkül. Bei den letzten Wahlen kassierte die FPÖ ab.

Außerdem gibt es noch ein Morgen. Den brachialen Kritikstil, den die Sozialdemokraten in der Opposition etablieren, werden sie im Fall einer Regierungsbeteiligung nach der nächsten Wahl selbst zu spüren zu bekommen. (Gerald John, 17.5.2023)