Die Ansprüche an den öffentlichen Raum ändern sich derzeit so schnell wie nie zuvor. Was noch vor 20 Jahren galt, ist heute längst überholt. So kommt es, dass Projekte, die eben erst fertiggestellt wurden, dem Zeitgeist schon nicht mehr entsprechen. Das Problem: Planung, Verhandlungen und Genehmigungen brauchen Zeit. "Eigentlich müsste man kurz vor Baubeginn noch einmal alles neu denken", sagt dazu der Wiener Landschaftsarchitekt Dominik Scheuch vom Büro Yewo.

Das Jahr 2000

Eine Fahrbahn in der Mitte, rechts und links ein Parkstreifen, auf jeder Seite ein Gehsteig und ein Abfluss, über den das Regenwasser im Kanal verschwindet, dazwischen vereinzelt Baumscheiben – so oder so ähnlich sah die Straße der idealen Stadt viele Jahre lang aus. 80 Prozent waren für die Autos vorgesehen, 20 Prozent für Fußgängerinnen, das ließ Diskussionen um die Verteilung von öffentlichem Raum aufflammen. Die Mobilitätswende wurde zum Thema.

Zehn Jahre später

Ab etwa 2010 wurden Straßen so geplant, wie heute die Begegnungszone auf der Mariahilfer Straße aussieht: Der Straßenraum wird gemeinsam genutzt, und die Autos haben keine Vorrechte mehr. "Baumscheiben gibt es immer noch, vielleicht ein paar mehr als noch vor zehn Jahren", sagt Scheuch.

Auch in der Seestadt wurden viele Straßen in dieser Art umgesetzt, etwa im Seeparkquartier. Allerdings mit zu viel Beton, wie die Anrainer bald kritisierten. Zwei Jahre nach der Fertigstellung wurde daher das Quartier wieder teilentsiegelt. "Die Rezeption der Stadtbewohnerinnen war schneller als alles andere", sagt Scheuch und erklärt, dass sich bei diesem Projekt zwischen Ausschreibung und Umsetzung in nur drei Jahren das Mindset in der Bevölkerung komplett geändert hat.

Der Vipsi (Vienna Para-site) ist ein Sitz-Klapphocker zum Selberbauen.
Foto: Yewo Landscapes

Etwa auch darin, dass die Menschen selbst an der Gestaltung von Freiräumen teilhaben und anpacken möchten. Gleichzeitig wollen viele aktiver am Leben im öffentlichen Raum teilnehmen, Baumscheiben selbst pflegen oder den Freiraum in ihrem Grätzel betreuen. Auch bei Yewo hat man sich mit diesem Thema schon beschäftigt und etwa mobile Sitzmöbel geplant. Eines davon ist der "Vipsi" (Vienna Para-site), ein Sitz-Klapphocker, der mittels Anleitung schnell selbst gebaut ist und auf die Secessionsgitter, die in Wien um Baumscheiben herum montiert werden, angehängt werden kann – für all jene Orte in der Stadt, an denen Sitzgelegenheiten fehlen.

Heute – 2020

Jetzt wird die klimafitte Stadt gebaut. Dafür werden große, zusammenhängende Grünflächen sowie Möblierung auf den Straßen geplant. "Und siehe da, der Straßenraum wird nun als Freiraum begriffen und nicht mehr als Straße für Autos", sagt Scheuch. Unter der Oberfläche liegt mittlerweile die sogenannte Schwammstadt, die im Idealfall den Kanal ersetzen kann. Sie besteht aus zwei Schichten von kantigen, fünf bis sieben Zentimeter großen Steinen und speichert Wasser, das dann nur langsam an den Boden abgegeben wird. In anderen Ländern ist diese Art zu bauen bereits Standard – in Österreich gibt es teilweise noch Vorbehalte und Ängste, aber auch bürokratische Hürden.

Möblierte Straßen und große Grünflächen – so sehen Straßen heute und in Zukunft aus. Hier im Bild: die Bruno-Marek-Allee im Nordbahnhof-Viertel.
Foto: Kurt Hoerbst

"Eigentlich haben wir aus Sicht des Klimas für nichts Zeit, auch nicht dafür, zehn Jahre zu warten, bis Bäume groß sind und Schatten spenden. Den Schatten brauchen wir nämlich sofort." Doch gerade in diesem Punkt hat die Planung keine andere Wahl. Denn dass in Parks junge Bäume mit nur 20 bis 25 Zentimetern Stammumfang gesetzt werden, habe nicht etwa damit zu tun, dass es kein Bewusstsein gebe oder kein Geld – große Bäume seien schlichtweg Mangelware. "In Europa hat ein regelrechter Ausverkauf bei Großgehölzen stattgefunden", erklärt Scheuch und ergänzt, dass es noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen sei, bei neuen Projekten Bäume mit 40 Zentimetern Stammumfang zu pflanzen – aktuell würden das aber alle Städte gerne tun.

Anfangs waren die Bäume im Hannah-Arendt-Park in der Seestadt klein, mittlerweile haben sie ordentlich Stammumfang zugelegt.
Foto: Johannes Hloch

Die Strategie der Stadt Wien sieht deshalb vor, dass, sollten doch größere Bäume verfügbar sein, diese vorrangig entlang von Straßen gesetzt werden, weil der Leidensdruck in heißen Sommern dort größer ist. Ein Baum mit 40 Zentimetern Stammumfang wurde vor etwa 25 Jahren gepflanzt. Es dauere vermutlich fünf bis zehn Jahre, bis wieder Bäume mit größerem Stammumfang erhältlich seien, sagt Scheuch.

Ein Blick ins Jahr 2030

Was die Bäume betrifft: In manchen Städten, etwa Barcelona, werden bereits künstliche Bäume aus Holz gebaut oder Pergolen dafür genutzt, Asphaltflächen zu beschatten. Das wird in Zukunft auch für Österreich eine Option sein.

Vieles, was in Wien planerisch nicht umgesetzt werden kann, hat mit der späteren Wartung und Pflege von Flächen zu tun. "Es gibt all diese Mindsetwechsel und neu eingeübten Strukturen, und dann gibt es noch den Rasenmäher", sagt Scheuch und meint damit, dass Stadtplanerinnen ihre Projekte so gestalten müssen, dass im Winter "jeder Quadratzentimeter von Schnee befreit" und im Sommer der Rasen gemäht werden kann. Die große Frage in der Planung sei derzeit, ob es in Zukunft auch wieder Flächen geben darf, auf denen das nicht möglich ist.

Eine Alternative zum "Schönheitsideal des fein säuberlich geschnittenen Rasens, das uns seit 60 Jahren begleitet", wie Scheuch sagt, wären etwa selbstpflegende Staudenmischungen, die nur zweimal im Jahr Pflege brauchen, oder auch einfach Wiese. Eine solche hat Yewo im Hannah-Arendt-Park umgesetzt. Statt wöchentlich wird die Wiese, in der es eine weit größere Artenvielfalt gibt, nur zwei- oder dreimal im Jahr gemäht. Hier müssten auch jene stark umdenken, die die Flächen später pflegen.

Im Hannah-Arendt-Park in der Seestadt gibt es Wiesenflächen und Rasen.
Foto: Johannes Hloch

"Viele Stadtplaner reden sich aktuell den Mund fusselig, weil sie erkannt haben, dass einige Trends gekommen sind, um zu bleiben. Und weil sie nicht wollen, dass die Planung weiterhin so hinterherhinkt wie bisher", sagt Scheuch und zählt sich wohl auch selbst dazu. Bleibt nur zu hoffen, dass sie erfolgreich sind. (Bernadette Redl, 21.5.2023)