Man muss ordentlich Höhenmeter machen, zahlreiche Kurven durchfahren, um von Genf nach Le Brassus im Schweizer Juragebirge zu gelangen. Einem nicht nur auf den ersten Blick ruhigen Dorf im abgeschiedenen Vallée de Joux. Von den Bergen rinsgsum leuchtet noch der letzte Schnee, Wiesen und Wälder sind aber schon saftig grün, ein Bächlein plätschert, am Horizont glitzert der Lac de Joux, Landluft durchweht den Ort.

Musee Atelier Audemars Piguet Le Brassus Schweiz
In dieser Postkartenidylle finden sich die Wurzeln der weltbekannten Luxusuhrenmarke Audemars Piguet.
Diode SA/ Denis Hayoun

In dieser Postkartenidylle finden sich die Wiege der eidgenössischen Uhrmacherei und die Wurzeln der weltbekannten Luxusuhrenmarke Audemars Piguet (AP). Deren Ticker, allen voran die Designikone Royal Oak, begleiten Superstars wie Will Smith, Justin Bieber oder Serena Williams über die roten Teppiche dieser Welt.

Kontrast als Programm

Dort Bling-Bling, hier Ding-Dong (das der Kirchenglocken nämlich), der Kontrast könnte kaum härter sein. Immerhin: Der Gärtner hat das Firmenlogo als übergroßes "AP" in die Wiese am Hang beim Parkplatz gegenüber dem historischen Hauptquartier gemäht. Aber sonst verhält man sich diskret.

Audemars Piguet Le Brassus
Das Logo im Rasen.
Markus Böhm

Der Chef scheint übrigens gerade nicht im Büro zu sein, sein Stellplatz ist leer. Dafür funkelt uns das Bild eines Terminator-Metallschädels mit rotleuchtenden Augen von einem dicken schwarzen Stoßdämpfer an – "Direction AP" steht darauf. Was das soll? Offenbar hat François-Henry Bennahmias seinen Wagen des Öfteren gegen die kniehohe Begrenzungsmauer gesetzt, daher wurden gröberen Schaden verhindernde Maßnahmen nötig. Erzählt man uns halt.

Klingt sympathisch und passt auch zu Bennahmias, der Spaß versteht und auch weiß: Man soll gehen, wenn’s am schönsten ist. Also nimmt er mit Ende des Jahres seinen Hut – "Ich will nicht Teil des Mobiliars werden!" AP, nach wie vor von den Gründerfamilien kontrolliert, lässt ihn ziehen. Schweren Herzens vielleicht, dankbar sicher: Denn der ehemalige Golfprofi, er ist tatsächlich kein Uhrenexperte, hat die Traditionsmanufaktur in den letzten elf Jahren nach vorne gepusht.

Audemars Piguet Le Brassus
Der Parkplatz de Chefs ist gerade verweist. Der Terminator passt aber auf, dass nichts passiert.
Markus Böhm

Er hat die Kollektion gestrafft, die Verkaufspunkte reduziert, die Produktion gesteigert, cleveres Marketing betrieben ... Audemars Piguet schrieb 2022 zum ersten Mal in seiner Geschichte einen Umsatz von zwei Milliarden Schweizer Franken. 2012 waren es "nur" 630 Millionen. Lange Zeit wurde herumgemunkelt, wer seine Nachfolge antritt. Es hieß: vermutlich eine Frau, eine, die nicht zwangsläufig aus der Uhrenwelt stammt. Seit 22. Mai sind alle schlauer.

Ilia Resta wird mit 1. Jänner 2024 neue CEO. Tatsächlich kommt die schweizerisch-italienische Staatsbürgerin nicht aus der Uhrenbranche, sondern war zuletzt als President Global Perfumery & Ingredients bei Firmenich im Amt. Davor über zwei Jahrzehnte lang bei Procter & Gamble in leitenden Positionen in den europäischen und US-amerikanischen Zentralen tätig, wo sie globale Marken aufbaute, wie es in einer dürren Aussendung von AP hieß. Sie tritt jedenfalls in große Fußstapfen.

Ilaria Resta Audemars Piguet
Tritt in große Fußstapfen: Ilaria Resta wird die neuen CEO von Audemars Piguet und löst François-Henry Bennahmias ab, der das Unternehmen zu neuen Höhen geführt hat.
Philippe Wiget

Noch-CEO Bennahmias unterstrich in seiner Amtszeit, bei all dem Hype und Glamour, der die Marke umgibt, die Werte des Unternehmens in Verbindung mit dem Vallée de Joux und seiner Tradition der Feinuhrmacherei. Es war seine Idee, dem historischen Gebäude, wo sich heute noch das Hauptquartier befindet und wo Jules Louis Audemars und Edward Auguste Piguet 1875 ihr Start-up gründeten, ein modernes Museum, das Musée Atelier, anzufügen. Die Architekten der Bjarke Ingels Group (BIG) konzipierten einen modernen, spiralförmigen Glasbau, der sich, von Gras bewachsen, nahtlos an den Altbau anschließt und in die Umgebung einfließt. Und so begibt man sich zugleich auf eine Zeitreise durch die Familien- und Firmenhistorie, aber auch durch die Geschichte der Uhrmacherei im Vallée.

Große Komplikationen

Ins Museum eingegliedert sind klassische Werkstätten, in denen einige der kompliziertesten Uhren der Manufaktur vollendet werden. Besucherinnen und Besucher können den Handwerkern bei ihrer Arbeit über die Schulter schauen. Die Werkstätten für die Grandes Complications und Métiers d’Art sind direkt in der Spirale untergebracht.

Audemars Piguet Le Brassus
Im historischen Gebäude wird nach wie vor an Zeitmessern gearbeitet.
Audemars Piguet

Dort wird den zahlreichen mechanischen und ästhetischen Meisterwerken, die im Museum ausgestellt sind, Leben eingehaucht. Die Spiralform dürfte nicht von ungefähr gewählt worden sein, immerhin gilt die Unruhspirale als wichtigstes Bauteil jeder mechanischen Uhr.

Bemerkenswert ist die Sammlung unterschiedlichster Modelle von Royal Oak, Royal Oak Offshore und Royal Oak Concept. Die zweite jemals hergestellte Royal Oak von 1972 ist dort zu sehen, aber auch jene, die speziell für Karl Lagerfeld angefertigt wurde, und noch weitere durchaus ausgefallene Stücke.

Royal Oak Musee Atelier Audemars Piguet
Eine Original Royal Oak aus dem Geburtsjahr der Kultuhr, 1972.
Markus Böhm

Von Gérald Genta 1972 entworfen, ist die Royal Oak heute mit ihrer achteckigen Lünette, den sichtbaren Schrauben und dem integrierten Armband die Referenz für sportliche Edelstahluhren im Luxussegment. Fans nehmen lange Wartezeiten in Kauf, um eine zu ergattern. Kurz gesagt: Das Modell und all seine Derivate bilden das wichtigste Standbein des Unternehmens. So wichtig, dass ein zweites hermusste, um dem Business mehr Stabilität zu verleihen.

Aus dem Schatten der Eiche

Auftritt Code 11.59. 2019 vorgestellt, sollte die neue Uhrenfamilie die Abhängigkeit von der Royal Oak mildern. Viele Kritiker konnten mit dem Zeitmesser wenig anfangen, befürchteten einen Flop, zu mächtig sei der Schatten der königlichen Eiche. Aber davon ließ man sich in Le Brassus nicht beeindrucken. "Wir sind Bergler", sagte Yasmine Audemars, scheidende Vorstandsvorsitzende bei AP, einst im STANDARD-Interview. Soll heißen: Wir lassen uns nur ungern dreinreden.

Audemars Piguet Code 11.59 komplizierte Armbanduhr
Kompliziert: die Code 11.59 Ultra-Complication Universelle RD#4 von Audemars Piguet.
Audemars Piguet

Wie um das zu unterstreichen, stellte man vor wenigen Monaten die komplizierteste jemals von AP gebaute Armbanduhr vor, die Ultra-Complication Universelle RD#4 – just im Gehäuse der umstrittenen Code 11.59. 23 Komplikationen, vom fliegenden Tourbillon bis zur Grande Sonnerie, vereint die Armbanduhr in sich. Es ist ein würdiges Abschiedsgeschenk für François-Henry Bennahmias und "seine" Code 11.59. Inspiriert wurde die Ultra-Komplikation von der "L’Universelle". Diese Taschenuhr aus dem Jahr 1899, eine der kompliziertesten der Welt, ist der Stolz von Audemars Piguet und das Herzstück der Ausstellung im Musée Atelier. (Markus Böhm, 27.5.2023)