Diese Illustration eines Studios wurde wie die Songs des Autors mit einer KI generiert. Dafür verwendete er den Prompt "picture in the style of a graphic novel, showing a young rapper standing inside a music studio with lots of equipment --ar 3:2".
Midjpourney/Stefan Mey

Früher war ich deutlich cooler. Als Mittzwanziger hatte ich mit Freunden eine Indie-Band gegründet, und es verging wohl kein Abend, an dem wir nicht in meiner kleinen Souterrainwohnung an neuen Sounds experimentieren und damit die Nachbarn in den Wahnsinn trieben. Mein größter Stolz war der Song "Playing with my Sohle", für den ich die Gitarre mit den Füßen bearbeitete. Fünfzehn Jahre, ein paar Karriereschritte und zwei Kinder später verstaubt die Gitarre längst in der Ecke, die Experimentierfreude ist aber noch immer da – und etliche neu veröffentlichte Tools schreien geradezu danach, dass man sie ausprobiert. Diesem Ruf bin ich gefolgt.

Fuchs, du hast die Nacht gestohlen

Erste Frage: Wie lernt man überhaupt ein Instrument oder frischt deutlich eingerostete Rocker-Skills wieder auf? Der Weg in eine Musikschule böte sich an, ist aber allein aus zeitlichen Gründen kaum zu stemmen. Also doch lieber zu digitalen Mitteln greifen: Abhilfe schaffen etwa diverse Youtube-Videos, Gitarrennoten lassen sich auf Websites wie www.911tabs.com abrufen. Der Nachteil: Das sind wild verstreute Informationen, die man sich selbst zusammenklauben muss.

Auf der Suche nach einem geregelten Unterricht stoße ich auf die österreichische App "Fretello". Auf dem Smartphone installiert, kann man hier gegen eine monatliche Gebühr einem Gitarrelernpfad folgen, in dem die Inhalte zuerst per Video vermittelt werden, bevor man selbst zu spielen beginnt. Die Gründer erzählen mir im Interview, dass nicht jugendliche Neueinsteiger, sondern Wiedereinsteiger ab 40 Jahren die eigentliche Zielgruppe sind – für mich also: Noten und Rhythmus habe ich rasch wieder verinnerlicht.

Magic Keys. Mit VR-Brille Klavier spielen lernen. 
Das Klavier ist echt, die Noten werden virtuell projiziert.
Dominik Hackl

Wer es moderner mag und eine VR-Brille zu Hause hat, kann das Klavierlernprogramm Magic Keys ausprobieren. Augmented Reality heißt hier das Schlagwort, bei dem die Brille die reale Umgebung filmt, diese mit digitalen Objekten anreichert und das Ergebnis live in meine Augen projiziert. Konkret werden hier auf einem realen Klavier virtuelle Noten angezeigt, die es nachzuspielen gilt. Das erinnert ein wenig an das Computerspiel "Guitar Hero" – mit dem Unterschied, dass man hier wirklich etwas lernt. Nach anfänglichen technischen Einstiegshürden spiele ich bereits meine ersten Melodien, und meine Frau – die Pianistin in der Familie – klopft mir am nächsten Morgen anerkennend auf die Schulter: Gut habe das geklungen, vor allem "Fuchs, du hast die Gans gestohlen". Leider habe ich das gar nicht gespielt, sondern "Funkle, funkle, kleiner Stern" und Mozarts "Kleine Nachtmusik", aber über das Lob freue ich mich trotzdem. Dennoch beschließe ich, lieber auf den Computer- anstatt auf den Klaviertasten zu musizieren.

Künstliche Konzertintelligenz

Und was für tolle Möglichkeiten es dort doch gibt! Brauchte man früher riesige Tonstudios, so können Heimmusiker heute auch schon mit einem Laptop oder Tablet-PC passable Arrangements gestalten. Das Herz eines solchen virtuellen Arbeitsraums ist die Digital Audio Workstation (DAW): Software, mit der man Musik aufnimmt, Sounds importiert, das Ganze arrangiert und mit Effekten versieht sowie schließlich den fertigen Song exportiert. Apple-Fans finden mit Garageband ein kostenloses, wenn auch abgespecktes Programm dieser Art auf ihren iPhones und iPads, auf dem PC haben sich Cubase des in Hamburg beheimateten Entwicklers Steinberg oder Ableton Live aus Berlin etabliert.

Schon bald ertappe ich mich dabei, wie ich in meiner DAW einen Lo-Fi-Loop in E-Moll abspiele, die smarte Glühbirne in den Disco-Modus schalte und auf der E-Gitarre ein paar Pentatonik-Riffs dazu jamme. Ein Konzert, ganz für mich allein, im Duett mit dem Computer. Fühlt sich ein wenig psychedelisch an, wie Pink Floyd, aber ohne die Drogen. Kann der Computer vielleicht noch mehr übernehmen?

Mit "Garageband" lässt sich auch auf dem iPhone Musik produzieren.
Der Standard/Stefan Mey

Ja, kann er. Und das Zauberwort dafür heißt wie so oft in diesem Jahr: künstliche Intelligenz. Die neuen Tools können Hobbymusikern die Arbeit erleichtern oder ganz abnehmen, vom Songwriting bis zum Mastering. Und somit verbringe ich Wochen damit, mit unterschiedlicher Software zu experimentieren und mich auf neue Releases zu freuen. Demnächst sollte etwa Googles Music LM in die Öffentlichkeit ausgerollt werden, welches auf Befehle wie "Ein Rocksong mit Gitarre, Schlagzeug und Bass in den Akkorden C, G, Am, F" eine entsprechende Melodie ausspucken soll. Bis es so weit ist, wandeln Tools wie Langorhythm oder Audiocipher Buchstaben in Noten und Wörter in Melodien um, die anschließend in der DAW bearbeitet und mit anderen Sounds kombiniert werden.

Für Songtexte gibt es wiederum separate Tools – oder man bittet schlichtweg ChatGPT, einen "Text für einen psychedelischen Rocksong mit drei Strophen über Tomaten auf der Autobahn" zu schreiben. Die Lyrics kann man anschließend selbst singen, aber das wäre fast altmodisch. En vogue sind derzeit diverse Text-to-Speech-Tools, die geschriebene Worte in gesprochene Sprache verwandeln. Mit Gesang ist das noch schwierig, mit Rap funktioniert es aber halbwegs gut.

Das ist alles andere als unumstritten. So sorgte für ein paar Wochen ein gefälschtes Duett zwischen Drake und The Weeknd für Aufsehen: Das Label der Musiker lief dagegen Sturm, Rapper fürchten seitdem um die widerrechtliche kommerzielle Nutzung ihres Kapitals, also ihrer Stimme. Ausjudiziert ist hier noch nichts – wer also auf der sicheren Seite sein will, sollte nur mit Zustimmung der Sprecher trainierte Stimmen verwenden und Nutzungsbedingungen genau studieren. Oder aber man nutzt die Tools nur für den privaten Gebrauch: etwa Henry Cavill das nächste Urlaubsvideo kommentieren lassen? Warum nicht?

Kleine Hausmusik

Mit dem Entdecken der zahlreichen neuen Tools ist auch der Schaffensdrang wieder da, und so produziere ich in kurzer Zeit diverse Werke: einmal einen Hip-Hop-Song über die Tatsache, dass der STANDARD die beste Tageszeitung des Landes ist. Ein anderes Mal einen psychedelischen Lo-Fi-Song für einen wildfremden Menschen auf Twitter, der sich von mir ein Lied über seinen Kleiderschrank gewünscht hatte. Und für unsere Wohnungseinweihungsparty hatte ich mir schließlich ein besonderes Highlight überlegt: ein Rap-Duett zwischen Snoop Dogg und Eminem, in dem sie uns alles Gute im neuen Zuhause wünschen.

In dieses Projekt stecke ich etliche Abende harter Arbeit vor dem Bildschirm, vor der Party steigt meine Nervosität – mit dem Ergebnis, dass der Song schließlich kaum wahrgenommen wird und in den Gesprächen der Gäste untergeht. Stattdessen fanden wir uns kurz darauf in einer Ecke zusammen, um gemeinsam Gitarre zu spielen. Nicht mit den Füßen, aber mit unseren Händen, ohne Computer. Trotz aller KI ist Musik doch etwas zutiefst Menschliches. (Stefan Mey, 27.5.2023)