Der Erfolg von Nvidia ist untrennbar mit seinem CEO Jensen Huang verbunden.
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Gute Zeiten für Nvidia: Am Donnerstag vergangener Woche überraschte der Chiphersteller mit unerwartet starken Geschäftszahlen und -zielen, die den Aktienkurs des Unternehmens ruckartig um 25 Prozent in die Höhe schnellen ließen. Auch wenn sich zuvor so mancher Analyst verschätzt haben dürfte, war eine Begründung rasch gefunden: Die gegenwärtigen Entwicklungen um künstliche Intelligenz (KI) und das damit verbundene Wachstumspotenzial bescherten Nvidia einen Höhenflug.

Kurz darauf stieg das Unternehmen in den Klub der Konzerne auf, die den Börsenwert von einer Billion Dollar hinter sich gelassen haben, und ist damit der erste Chipproduzent überhaupt, dem dies gelungen ist. Einen Namen macht sich Nvidia aber nicht erst seit kurzem. Seine Computerchips, anfangs "nur" Innovationstreiber im Segment der Computer-Grafikkarten, gewannen über die Jahre hinweg zunehmend an Bedeutung für Technologietrends, das reicht von Cloud-Computing bis hin eben jetzt zu KI. Das Unternehmen stand aber auch schon oft in der Kritik. Unter anderem deshalb, weil es in der Vergangenheit über Partnerprogramme seine Marktmacht missbraucht haben soll. Nicht zuletzt eine verwirrende Namensgebung der Produkte und eine damit in Zusammenhang stehende fragwürdige Preispolitik sorgten immer wieder für Aufsehen in der öffentlichen Wahrnehmung.

Kein Erfolg ohne Jensen Huang

Unzertrennbar verbunden ist die Geschichte von Nvidia mit CEO Jensen Huang. Der 60-Jährige, der auf Präsentationen in Lederjacke statt Anzug gekleidet betont lässig erscheinen will, steht schon seit der Gründung vor genau 30 Jahren an der Spitze des Unternehmens. Nach Amazon-Multimilliardär Jeff Bezos ist er erst der zweite CEO in den USA, der als Mitbegründer die Billionen-Schwelle für ein Unternehmen überschritten hat.

Im Jahr 1993 gründete Huang die Firma zusammen mit Curtis Priem und Chris Malachowsky. Anfangs war ein Startkapital von gerade einmal 40.000 Dollar vorhanden – der Name für das Unternehmen aber noch nicht gefunden. Was in Unterlagen nur unter dem Kürzel "NV" (für "New Version“) geführt wurde, wandelten die Gründer später zu einer Eigenkreation um, die ein Wortspiel aus Neid (auf Lateinisch "invidia") und Sehen ("videre") sein soll. Aus technischer Sicht hatten sie eine klare Vision, und damit konnte Huang in weiterer Folge auch eine millionenschwere Unterstützung von Sequoia Capital und anderen Unternehmen aus dem Silicon Valley sichern. Der erste große Erfolg des Unternehmens waren Ende der 1990er-Jahre spezielle Chips für hochauflösende Grafikanwendungen in Computerspielen, heute geläufig unter der Bezeichnung Graphics Processing Units (GPUs). Der Grundstein für die populäre "Geforce"-Marke war gelegt, als reines Chip-Unternehmen wollte Huang Nvidia aber schon damals nicht betrachten. 

Was bei Nvidia mit Grafikkarten für den PC begann, wurde von CEO Huang über die Jahrzehnte sukzessive ausgebaut.
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Mitte der 2000er-Jahre erkannten Huang und sein Team, dass die Chips von Nvidia nicht nur als Grafikbeschleuniger eingesetzt werden, sondern auch generelle Rechenkapazität bereitstellen können. Mit einer Programmierschnittstelle namens CUDA gelang Nvidia der nächste Meilenstein, der es Softwareentwicklern ermöglichte, die Chips des Unternehmens für wissenschaftliche und technische Berechnungen einzusetzen. Das löste eine Welle neuer Anwendungen aus.

Anfang der 2010er-Jahre kristallisierte sich heraus, dass Universitäten die Chips des Unternehmens zunehmend für Arbeiten im Bereich der KI einsetzten – in der Öffentlichkeit zum damaligen Zeitpunkt allenfalls eine Nische. Mit der Vision von virtuellen Assistenten bis hin zu selbstfahrenden Autos fasste Huang deshalb den Entschluss, eine ganze Reihe von Chips für KI auf den Markt zu bringen. Eine frühe Wette, die nun endgültig aufgegangen sein dürfte.

Supercomputer für Tech-Konzerne

In ihrer neuesten Form bringt die Vision von Nvidia 20 Tonnen auf die Waage und besteht unter anderem aus 240 Kilometern Glasfaserkabel: Ein Supercomputer unter der sperrigen Bezeichnung "DGX GH200" soll die nächste KI-Generation ausbilden und unterstützen. Mit den Tech-Konzernen Microsoft, Google und Meta hat man auch schon Zusagen der wichtigsten Abnehmer erhalten. Im Goldrausch um die beste künstliche Intelligenz sieht es also so aus, dass Nvidia als Verkäufer von Spitzhacken und Schaufeln unabhängig von den Resultaten profitieren dürfte.

Der Supercomputer "DGX-GH200" ist die neueste Entwicklung von Nvidia und soll das Training von KI-Modellen erheblich beschleunigen.
Nvidia

Ob dieser Supercomputer den Anforderungen gerecht wird, wird sich erst gegen Jahresende zeigen. Laut Nvidia soll sich der Verbund aus 256 Superchips wie eine einzige GPU mit 144 Terabyte Grafikspeicher verhalten und auf eine Rechenleistung von einem Exaflops kommen. Das entspricht der Berechnung von einer Trillion Gleitkommaoperationen pro Sekunde, womit "DGX GH200" auf einem Level wäre, das ihm vor wenigen Jahren noch einen Spitzenplatz unter den Top 500 der Supercomputer beschert hätte.

Tatsächlich plant Nvidia selbst unter der Bezeichnung "Helios" schon die nächste Steigerung: Das System soll aus vier "DGX GH200" bestehen, die über ein Netzwerk mit einer Geschwindigkeit von 400 Gigabyte pro Sekunde verbunden sind. Auch "Helios" soll mit Jahresende online gehen.

KI-Hype zum richtigen Zeitpunkt

Der Aufwind durch die Bestrebungen des Unternehmens im KI-Bereich kommt nicht ungelegen. Insgesamt verzeichnete Nvidia im ersten Geschäftsquartal, das Ende April abgeschlossen wurde, einen Umsatzrückgang von 13 Prozent auf 7,19 Milliarden Dollar. Der Hauptgrund dafür war ein Rückgang im Geschäft mit Grafikkarten, das um 38 Prozent auf 2,24 Milliarden Dollar schrumpfte. Der PC-Markt zeigt nach dem anfänglichen Boom während der Corona-Pandemie derzeit eine schwache Nachfrage. Und dennoch: Mit Quartalsende erzielte Nvidia einen Gewinn von 2,04 Milliarden Dollar im Vergleich zu 1,62 Milliarden Dollar im Vorjahreszeitraum. Wie stark sich Nvidia künftig weiterhin vom ursprünglichen Kerngeschäft zu anderen Märkten hinbewegen muss, wird sich erst zeigen.

Nach einem Rückgang im einstigen Kerngeschäft kommt Nvidia der KI-Boom sehr gelegen.
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Analysten von JPMorgan gehen in ihrem aktuellen Artificial-Intelligence-Report davon aus, dass Nvidia seinen Vorsprung als Weltmarktführer bei KI-Hardware weiterhin ausbauen wird. Demnach könne das Unternehmen "bis zu 60 Prozent des weltweiten Umsatzes mit künstlicher Intelligenz durch Hardwareprodukte wie Grafikprozessoren und Netzwerkprodukte" erzielen. Zumindest aus wirtschaftlicher Sicht scheint es so, dass Grafikkarten im traditionellen Sinn bei Nvidia künftig nur noch eine Nebenrolle spielen dürften. (Benjamin Brandtner, 2.6.2023)