Schauspieler Klaus Maria Brandauer würde gerne wieder den Lear spielen
Helena Lea Manhartsberger

Seit 60 Jahren steht er auf Theaterbühnen, seit 50 auf jenen des Burgtheaters: Wenn Klaus Maria Brandauer in zwei Wochen seinen 80er feiert, sind es also gleich mehrere Jubiläen, die der Schauspielstar aus Altaussee begeht. Die Videoversion dieses Gesprächs finden Sie auf unserer Website.

STANDARD: In den vergangenen zwei Wochen wurde viel über das Max-Reinhardt-Seminar diskutiert. Sie waren dort lange einer der prägenden Professoren. Studierende wie Birgit Minichmayr erzählen, dass Sie ein sehr strenger Lehrer waren.

Brandauer: Die Art und Weise, wie man den Unterricht anlegt, hat mit den handelnden Personen zu tun. Grundsätzlich hat jeder eine Vorstellung davon, wie er unterrichten will. Am Seminar gibt es Unterrichtseinheiten von 45 Minuten, damit konnte ich nichts anfangen, ich habe beinahe geweint, wie ich von diesem Unsinn erfahren habe.

STANDARD: Wie haben Sie reagiert?

Brandauer: Ich habe meinen Unterricht für alle geöffnet, und wir haben manchmal bis spät in die Nacht gearbeitet. Ich habe im Altausseer Bergwerk ein Stück von Felix Mitterer mit den Studenten erarbeitet, später dann auch ein Stück auf der Seewiese. Ich kriege heute noch Briefe, die mich an diese herrliche Zeit erinnern. Und ja, ich war streng!

STANDARD: Sie waren selbst nur zwei Semester an der Schauspielschule, sind mit 19 sofort in den Beruf eingestiegen. Eine glückliche Fügung?

Brandauer: Ich hatte während des Unterrichts immer das Gefühl, ich weiß schon alles. Das stimmte natürlich nicht. Aber als es eines Tages ein Vorsprechen vor dem Intendanten von Tübingen gab, hat mich ein älterer Student gebeten, ihm Stichworte zu geben. Nach dem Vorsprechen sagte der Intendant "Den nehme ich", worauf der Student freudig auf ihn zugegangen ist. "Nein, nein", meinte Dr. Herterich, so hieß er, "ich meine nicht sie, ich meine den Kleinen da hinten."

STANDARD: Haben Sie in Tübingen dann gleich mit Hauptrollen angefangen?

Brandauer: Ich wollte ja immer rein in den Beruf. Ich habe zeitgleich erfahren, dass meine Freundin Karin ein Kind von mir bekommt. Ich bin wirklich ein Glückskind, weil mir so viel in den Schoß gelegt wurde. Natürlich habe ich immer viel geschimpft, habe mich gegen Regisseure gestellt, bin auch oft abgereist, wofür ich mich heute noch schäme.

STANDARD: Worum geht’s im Schauspiel?

Brandauer: Um Sie, um mich, um uns alle. Es gibt nichts, was im Schauspiel nicht besprochen werden kann. Es gibt 1000 "Publikümer", auch auf der Bühne gibt es ganz unterschiedliche Menschen. Es wird eine Verbindung in einer Gemeinschaft geschaffen.

STANDARD: Haben Sie das Gefühl, diese Kraft des Theaters lässt nach?

Brandauer: Nein. Das Theater braucht nicht viel, ein Raum, ein paar Leute reichen. Wer je eine gelungene Theaterarbeit erlebt hat, vom Ich zum Du, vom Du zum Ich, der wird wieder versuchen, eine solche zu erleben.

STANDARD: Sie sagen gerne, Sie spielen Stücke, nicht Rollen. Was meinen Sie damit?

Brandauer: Dass ich ein Stück in- und auswendig kenne. Mit jeder Faser meines Denkens verleibe ich es mir ein.

"Ich habe mich immer als Mitregisseur gefühlt. Manchmal musste ich mich daher auch zurückziehen."

STANDARD: Schauspieler lechzen gemeinhin nach Rollen, dem Lear, dem Hamlet. Sie nicht?

Brandauer: Rollen sind in Stücke eingebettet. Es ist deshalb unabdingbar, dass man das Stück richtig versteht, um eine bestimmte Rolle zu verkörpern. Und ja: Über Stücke und Inhalte kann man sich unglaublich streiten.

STANDARD: Genießen Sie auch den Streit?

Brandauer: Ich gebe zu, ich habe mich immer als Mitleser und Mitregisseur gefühlt. Es gab dann hin und wieder die Situation, dass ich mich zurückgezogen habe. Wenn ich am Abend nicht das machen kann, was ich möchte, dann muss ich passen.

STANDARD: In den vergangenen 60 Jahren hat sich der Beruf des Schauspielers stark verändert. Haben Sie das als Bereicherung erlebt?

Brandauer: Wenn ein Regisseur mit einem fertigen Konzept auf die Probe kommt und alle Diskussionen abblockt, dann nehme ich mir wie gesagt raus, nach Hause zu gehen. Das ist mir zwar nicht immer gut bekommen, aber ich würde das jederzeit wieder machen.

STANDARD: Was steht denn alles noch auf Ihrem Wunschzettel, sprich, welche Stücke oder welche Rollen möchten Sie noch spielen?

Brandauer: Ich habe nicht vor, mich aufs Altenteil zu setzen. Man kann mich jederzeit anrufen! Den Lear würde ich gern noch mal spielen, ich muss mir nur überlegen, wo.

STANDARD: Am Burgtheater war der Lear vor zehn Jahren Ihre letzte Rolle. Zu Ihrem Geburtstag am 22. Juni werden Sie aus Bernhards Stück "Minetti" lesen, da geht es um einen Schauspieler, der noch einmal den Lear spielen will. Abseits dieser Pointe, gibt es einen tieferen Grund, warum Sie sich das Stück ausgesucht haben?

Brandauer: Einen nicht erfolgreichen Schauspieler in seinen Nöten und in seinen Elogen an das Theater zu geben, das fasziniert mich. Dieser Mensch ist der Theaterkunst untertänig, aber man lässt ihn in der Kälte warten. Dabei weiß er genau, dass er ihn nie mehr spielen wird. Es ist herzzerreißend. (Stephan Hilpold, 11.6.2023)