Sie wirken wie die eierlegende Wollmilchsau: Primärversorgungszentren (PVZ) sollen im Gesundheitswesen viele grundlegende Probleme lösen. Diese Form der Gruppenpraxen soll das Arbeiten im niedergelassenen Bereich auf Kasse für Medizinerinnen und Mediziner dank Teamwork attraktiver machen. Patientinnen und Patienten können auch zu Randzeiten dank längerer Öffnungszeiten hingehen, was Spitalsambulanzen entlasten soll. Und auch die Betreuung chronisch Kranker soll dort aufgrund der Zusammenarbeit verschiedener medizinischer Berufsgruppen besser gelingen.

Primärversorgungszentrum Sonnwendviertel Wien
In Österreich gibt es derzeit 40 Primärversorgungszentren.
APA/Tobias Steinmaurer

Geplant waren 75 Zentren bis 2021

So weit die Theorie und die Zielsetzung. Doch in der Praxis hinkt man seit Jahren beim Ausbau gewaltig hinterher: Bereits im Jahr 2021 hätte es in ganz Österreich 75 Primärversorgungszentren oder -einheiten geben sollen. Stand Montag sind es laut der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) gerade einmal 40. Die meisten stehen in Wien (elf), gefolgt von Oberösterreich (zehn) und der Steiermark (neun). Im Juli sollen in Niederösterreich zwei weitere eröffnen, dann sind es dort acht. Die restlichen Bundesländer haben null bis maximal zwei PVE (Salzburg).

Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) hat vergangenen März angekündigt, die Zahl dieser Versorgungseinheiten bis zum Jahr 2025 auf 121 verdreifachen zu wollen. Man werde die gesetzlichen Voraussetzungen entsprechend anpassen – und unter anderem die Ärztekammer entmachten, hieß es damals. Dies ist, wie einer Aussendung von Bundeskanzleramt und Gesundheitsministerium am Montag zu entnehmen war, auch in der finalen Gesetzesvorlage enthalten. Diese soll nach STANDARD-Informationen am Mittwoch durch den Ministerrat gehen und demnächst im Parlament vorgelegt werden. 

Kammer weist Blockadevorwurf zurück

Künftig kann für eine Region, wo mindestens zwei Kassenstellen mehr als sechs Monate unbesetzt sind, die Landeszielsteuerungkommission (also Land und Sozialversicherung, ohne Ärztekammer) einen Beschluss für eine Primärversorgungseinheit (PVE) fällen. Den Vorwurf, beim PVZ-Ausbau lange blockiert zu haben, wies die Ärztekammer stets zurück, so auch der (wegen des Krankenstands von Präsident Johannes Steinhart) derzeit geschäftsführende Vizepräsident Harald Schlögel unlängst im STANDARD-Streitgespräch.

Edgar Wutscher von der Kurie der niedergelassenen Ärzte in der Österreichischen Ärztekammer schlägt in dieselbe Kerbe: "Wir hatten nie Macht, wir haben nur immer versucht, mitzuorganisieren", sagte Wutscher am Montag dem STANDARD. Wenn sich keine Bewerberinnen und Bewerber für bestimmte Kassenstellen melden, werde die Gesetzesänderung daran auch nichts ändern, meint der Standesvertreter. "Ich hoffe, dass wir es zusammenbringen, die Lücken in der ärztlichen Versorgung wieder zu füllen", sagt Wutscher. Derzeit gebe es aber in puncto niedergelassene Arztversorgung konstruktive Gespräche mit der ÖGK, bei denen es unter anderem um einen einheitlichen Leistungskatalog für ganz Österreich gehe, für den die Kammer einen Vorschlag vorgelegt hat.

Reine Kinderzentren möglich

Das neue Primärversorgungsgesetz sieht weiters vor, dass künftig auch reine Kinder-Primärversorgungseinheiten (also ein Zusammenschluss von Fachärztinnen und Fachärzten der Kinderheilkunde) gegründet werden können. Bei den Auswahlverfahren dafür sollen Wahlärztinnen und Wahlärzte gleiche Chancen erhalten. Bisher waren nur Allgemeinmedizinerinnen und Allgemeinmediziner dazu berechtigt, eine PVE zu gründen. Außerdem dürfen künftig auch Vertreter anderer Gesundheitsberufe, die diesen Beruf frei ausüben, Gesellschafter einer PVE werden (allerdings muss die Mehrheit in Hand der Ärztinnen und Ärzte bleiben). Die Verfahren sollen beschleunigt werden, indem Bewerbungs- uns Auswahlverfahren verkürzt werden. Für den Ausbau der PVE stehen 100 Millionen Euro EU-Fördergeld zur Verfügung.

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) und Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) hatten bereits am Samstag, als sie in einer gemeinsamen Aussendung auf die nächsten geplanten Maßnahmen im Gesundheitswesen hinwiesen, die Vorlage des Gesetzestextes für Mitte Juni angekündigt. Nehammer sieht in den PVE "die Lebensrealitäten der Ärzte und der Patienten" abgebildet. Rauch meint, die Menschen "müssen dann nicht mehr in die Spitalsambulanzen ausweichen". 

Weitere Maßnahmen der Bundesregierung im Gesundheitswesen sollen Verbesserungen in der Bevorratung mit wichtigen Medikamenten sein, in der psychosozialen Versorgung sowie bei den digitalen Angeboten im Gesundheitssystem. (Gudrun Springer, 12.6.2023)