Im Gastblog denkt der Jurist und Mediator Ulrich Wanderer laut über den Einsatz von KI in seinem Arbeitsbereich nach.

Konflikte sind menschlich, ebenso ist die Mediation. Doch ist zumindest zweiteres wirklich unbedingt apodiktisch so festgeschrieben oder besteht die Möglichkeit, dass auch auf diesem Gebiet die künstliche Intelligenz Einzug zu halten vermag? Die folgenden Zeilen sollen einen Versuch darstellen, den einen oder anderen Aspekt von Mediation mit oder durch künstliche Intelligenz zu fantasieren.

Junges Paar redet mit einer künstlichen Intelligenz
Was für einen Unterschied macht es, wenn eine KI mit all ihrem Wissen eine Mediation leitet?
Foto: Getty Images

HAL, der Computer in 2001: A Space Odyssey oder vielleicht noch besser Mr. Data, der den Fans des Star-Trek-Universums als Androide mit dem Wunsch nach Menschlichkeit bekannt ist, stellen wohl gute Verkörperungen der KI dar. Nehmen wir also Mr. Data als potentiellen Mediator in all seiner Wertneutralität und dem gleichzeitigen nahezu unstillbaren Hunger nach Wissen um das menschliche Sein. Dieser Mr. Data steht nun der Mediatorin aus Fleisch und Blut gegenüber: Welche Vorteile kann man aus der Komplexität seiner positronischen Schaltkreise ziehen, wie schwer wiegt der Vorteil der im besten Fall nahezu endlosen Datenbank, auf die der androidische Mediator zugreifen kann? Welchen Einfluss hat die Programmierung, welche dem "Wesen", der "Persönlichkeit" unseres künstlichen Freundes zugrunde liegt?

Melanie, Stephan, Esther oder Peter, sie alle sind Menschen. Und sie sind Mediatorinnen oder eben Mediatoren, wie auch Ihr Autor. Mit Erlebnissen, Erfahrungen und Emotionen, die wir im Rahmen unseres bisherigen Privat- aber auch Berufslebens gemacht haben. Wir haben unsere höchstpersönlichen Gefühle und Gedanken ins Gelingen der diversen Mediationen eingebracht und so hoffentlich im einen oder anderen Fall etwas bewirken können. Zwar basiert unsere Arbeitsweise zwar auf einer bestmöglichen Ausbildung, regelmäßiger Weiterbildung und dem kollegialen Austausch, ist aber dennoch vom höchstpersönlichen Zugang geprägt. Ist dies ein Vor- oder ein Nachteil?

Wer ist beteiligt?

Ja wir reden von einem Verfahren, welches je nach Literatur in diverse Phasen geteilt wird und diesen oder jenen Beginn oder Ausgang zu haben hat. Davon ist hier aber nicht die Rede. Vielmehr stellen die "Kollateralvorteile" der Mediation wichtige Benefits dar, welche es zu bedenken gilt. Der Wunsch nach Einlassung, die Form der wertschätzenden Kommunikation, das Bewusstwerden der eigenen Bedürfnisse sind hier nur einige Aspekte, die den Mediandinnen und Medianden auch nach der Mediation noch im Umgang mit persönlichen Fragestellungen helfen und so bis auf eine gesellschaftliche Ebene Wirkungen entfalten können. Es sind die Mediandinnen und Medianden selbst, die den Konflikt definieren. Sie sind es auch, die die Lösungsansätze bringen und schlussendlich mit der erarbeiteten Vereinbarung leben. Wir, die Mediatorinnen und Mediatoren (selbst die angenommenen Kollegen aus Carbon, Stahl, Bytes und Bytes) sind bei weitem nicht so wichtig wie unsere Klientel.

Frage der Objektivität

Mr. Data, so er aus den diversen Star Trek Episoden bekannt scheint, wertet nicht. Er saugt zwar Informationen auf seinem Weg in Richtung Menschlichkeit auf, doch ist ihm eine moralische Wertung fremd. Wenngleich die Werteneutralität ein wichtiger Punkt in der Mediation ist, so bleibt dennoch der menschliche Aspekt dahingehend, dass zumindest Ihr Autor (ich spreche nicht von den anderen Kolleginnen und Kollegen) doch auch schon Fälle abgelehnt hat, sobald die Fragestellung mit seinem Wertekonstrukt absolut unvereinbar war. Hier böte die KI sicherlich einen guten Ausweg, für den Fall, dass auch andere Mediatorinnen und Mediatoren diese Fälle nicht mediieren wollten. Der bereits angesprochene Zugang zu (im besten Fall allen verfügbaren) Datenbanken würde natürlich auch einen unschätzbaren Vorteil an methodischen Varianten, interdisziplinären Zugängen und öffnenden Fragestellungen ermöglichen.

Abgesehen davon, dass wir noch etwas von der rein technischen Reife einer solchen Mediations-KI entfernt scheinen und sämtliche bisherigen Lehrmodelle den menschlichen Aspekt der Empathie als einen der zentralen Aspekte erachten, so könnte darüber hinaus auch noch ein weiteres Problem schlagend werden. Der Anschein der Wertneutralität und damit verbundenen Objektivität trügt, zumal eine jene künstliche Intelligenz auf einer von Menschen gespeisten Datenbank basiert. Somit fließen menschlich-emotionale Erwartungshaltungen, Vorurteile und Haltungen zwar gefiltert durch diverse Algorithmen erst wieder in die Aussagen unseres künstlichen Mediators ein, haben aber diesmal den tarnenden Anstrich der Objektivität. Dieser der KI nahezu immanente Bias ist zu beachten, wenn die Objektivität einer künstlichen Intelligenz als Argument herangezogen wird.

Zwischenmenschliche Besonderheiten

Wir Menschen haben je nach Lebensalter und Lebenserfahrung mehr oder weniger "special effects", nennen wir sie vielleicht liebevoll Macken. Wenngleich wir lernen, damit umzugehen, so entfernen uns diese Macken von der scheinbar so angestrebten Perfektion eines Mr. Data. Doch gleichzeitig vereinen sie uns in vielen Hinsichten mit unseren Mediandinnen und Medianden. Oftmals sind auch die Konfliktparteien nicht frei von diversen Besonderheiten, mag sein, dass sich so manche gerade deswegen bei menschlichen, ja auch vielleicht sogar fehlerhaften Mediatorinnen oder Mediatoren gut aufgehoben und vor allem verstanden fühlen?

Die ehrliche Neugierde eines lern- und wissbegierigen Androiden in allen Ehren, aber bedeutet nicht das verständnisvolle Nicken verbunden mit dem kurzen Augenschließen eine besondere Verbindung der menschlich-emotionalen Ebene? Viele, ja wohl die meisten Mediationen leben von der zwischenmenschlichen Chemie, dem Zusammenspiel der Persönlichkeiten in all ihren Schattierungen. Dabei aber ist es nicht auszuschließen, dass gerade diese Schattierungen auch dem letztendlichen Erfolg der Mediation entgegenstehen. Dies abzuwiegen ist wesentlicher Bestandteil der Arbeit.

Die passende Form finden

So wie die Konflikte persönliche sind, so ist es auch die Beziehung zwischen den Konfliktparteien, genauso wie auch jene zwischen den Mediandinnen und Medianden und den Mediatorinnen und Mediatoren. Die Chemie muss stimmen. Während sich viele streitgeplagte Paare im korrekten Setting der anwaltsgleichen Kanzlei gut aufgehoben fühlen, so empfinden andere den eher lockeren Umgang bei einem mediativen Spaziergang im Wald als zweckdienlich für die lösungsfindende Kreativität. Jeder und jedem das Seine. Wieso sollte dann nicht auch unser kunsthäutiger Freund Mr. Data nicht schlicht ein neuer Zugang sein? Was, wenn beispielsweise eine Partei aus dem neurodiversen Spektrum (zum Beispiel Autismus) sich hier besser abgeholt fühlt, weil sie sich eben nicht mit den Emotionen der Mediatorinnen und Mediatoren abquälen muss, sondern sich rein auf die Lösung fokussieren kann? Who are we to judge, was passt?

Einer jener Sätze, die in einer Weiterbildung hängen blieben, war die "Dawos"- Regel. Nein, sie ist nicht nach dem Schweizer Nobelschiort benannt, der bekanntlich auch mit einem "V" geschrieben wird, vielmehr besagt jener Gedanke: " Mach's einfach, da wo's passt". Vielleicht bietet dereinst eine Form der künstlichen Mediationsintelligenz tatsächlich einen Zugang für Fälle und Klientinnen/Klienten, denen dieser Weg bisher verwehrt blieb?

Mediation wirkt und hilft

Als Mediator fällt es nicht schwer, von den Möglichkeiten der Mediation begeistert zu sein. Doch auch jene, die zuvor über 15 Jahre keinen Kontakt pflegten, jene die sich zwar durch gemeinsame Hausmauern zusammengesperrt fühlen, doch gleichzeitig nur den größtmöglichen Abstand suchten, Geschwister, die aufgrund von Erbschaftsstreitigkeiten die Gemeinsamkeiten der Kindheit vergaßen, auch sie wissen um die vielen Möglichkeiten der Mediation. Mag sein, dass durch den Gedanken der Öffnung der Mediation für die Tools der Künstlichen Intelligenz eine Büchse der Pandora geöffnet wird, doch reizvoll ist der Gedanke allemal. Vielleicht bietet diese auf den ersten Blick absurd anmutende Variante ja sogar noch einen weiteren Aspekt, nämlich einen weiteren Schritt der Vermenschlichung von Mr. Data? So dieser gewünscht ist. (Ulrich Wanderer, 29.6.2023)