Hohe Inflation und gestiegene Lebensmittelpreise, Mieten, Strom- und Gaskosten auf Rekordhoch: Die Lebenssituation für armutsgefährdete Menschen in Österreich spitzt sich zu. Laut Statistik Austria waren im Vorjahr 17,5 Prozent der Bevölkerung armuts- oder ausgrenzungsgefährdet, 2,3 Prozent - also etwa 200.000 Personen - von erheblicher materieller und sozialer Benachteiligung betroffen. Mit 47 Prozent handelte es sich bei fast der Hälfte davon um Frauen ab 18 Jahren.

Das Leben dieser Menschen ist geprägt von Zukunftsängsten und einem ständigen Kampf, den Alltag zu bewältigen und genug Essen für die Familie zu besorgen. Schwangere Frauen sind davon nicht ausgenommen. Mehrere Studien zeigen bereits einen Zusammenhang zwischen prekären Lebenssituationen und geburtshilflichen Risiken, wie einem zu geringen Geburtsgewicht, Frühgeburtlichkeit, Fehlgeburten, Kaiserschnitt, Präeklampsie oder auch postpartalen Blutungen.

Schwangere Frau
Ein gesunder Lebensstil ist für viele armutsgefährdete Menschen, darunter auch schwangere Frauen, oft unleistbar.
REUTERS/Mykhailo Markiv

Wirkung auf Ungeborenes

Wie sich Armut und materielle Deprivation auf Schwangerschaften und die Gesundheit von Neugeborenen in Österreich auswirkt, erforscht aktuell auch die FH Gesundheitsberufe Oberösterreich in einer quantitativen Studie. Mittels eines Fragebogens werden demografische Merkmale und der sozioökonomische Status schwangerer Frauen abgefragt, zudem Informationen zur Ernährung, zur vorgeburtlichen Versorgung von Mutter und Kind und zu aufgetretenen Komplikationen eingeholt.

"Das Gesundheitsverhalten der Mutter ist von großer Bedeutung für das Ungeborene, vom Essverhalten angefangen über Alkohol- und Nikotinkonsum und andere Suchtmittel", sagt Barbara Schildberger, Leiterin des Studiengangs Hebamme an der FH Gesundheitsberufe OÖ. "Wir wissen aber auch, dass sich Stress - vor allem der kontinuierliche Dauerstress - auf die Kinder und in weiterer Folge langfristig auf den Gesundheitszustand des Kindes beziehungsweise des späteren Erwachsenen auswirkt", erklärt die Studiengangsleiterin.

Vererbte Abwärtsspirale

Armut ist also eine Spirale, die von Eltern auf Kinder übertragen wird, auch gesundheitlich. Die sogenannte Barker-Hypothese besagt, dass ein geringes Geburtsgewicht das Risiko für Diabetes, Bluthochdruck, kardiovaskuläre Erkrankungen und Übergewicht erhöht. Bei der FH-Studie stellte zu Beginn die Definition von Armut eine Herausforderung dar. "Geld alleine ist mittlerweile ein schwieriger Indikator, um zu sagen, ich bin armutsgefährdet oder nicht", erklärt Schildberger. "Wir haben deshalb eigene Indikatoren in Anlehnung an den EU-SILC-Erhebungsbogen entwickelt", führt sie aus.

EU-SILC steht für European Union Statistics on Income and Living Conditions, meint also die europäischen Gemeinschaftsstatistiken zu Einkommen und Lebensbedingungen. Dabei wird materielle Deprivation als "unfreiwillige Unfähigkeit" definiert, für bestimmte Ausgaben aufzukommen.

Bei diesen Ausgaben kann es sich zum Beispiel um die Kosten für eine Fleisch-, Geflügel- oder Fischmahlzeit an jedem zweiten Tag ebenso handeln wie um die Kosten für eine angemessene Beheizung der Wohnung oder einen einwöchigen Jahresurlaub. Schwierig bis unmöglich kann auch die Bewerkstelligung unerwarteter Ausgaben werden oder auch die Tilgung bestehender Schulden. Wie dramatisch die Situation für Schwangere werden kann, weiß man auch in der Ambulanz AmberMed.

Sozialgeburt als Ausweg

In der Diakonie-Einrichtung werden Menschen ohne Versicherung medizinisch versorgt, vergangenes Jahr waren unter den Patienten auch rund 150 schwangere Frauen. In Kooperation mit dem Wiener Gesundheitsverbund (Wigev) werden ihnen kostenreduzierte Entbindungen, sogenannte Sozialgeburten, angeboten.

"Wir haben bei den Sozialgeburten strenge Kriterien und sind sehr dahinter, dass Frauen die regelmäßigen Untersuchungen machen, die im Mutter-Kind-Pass vorgeschrieben sind, weil es in der Schwangerschaft Komplikationen wie zum Beispiel hoher Blutdruck oder Blutzucker geben kann, die wir nur dann entdecken können", sagt Einrichtungsleiterin Mariella Jordanova-Hudetz.

Das Leben dieser Frauen sei geprägt von prekären Wohnverhältnissen auf engstem Raum, was mangelnde Privatsphäre und Ruhephasen bedeutet. Gesunde Ernährung trete für viele in den Hintergrund - gegessen wird, was leistbar ist. Auch Rauchen in der Schwangerschaft sei ein großes Thema. "Wir versuchen, mit unserer Aufklärungsarbeit und den Hebammengesprächen zu einem gesunden Lebensstil der Mütter beizutragen, sofern dieser möglich ist, damit sie auch gesunde Kinder zur Welt bringen", sagt Jordanova-Hudetz.

Brandaktuelles Thema

Dass der Fragebogen der FH Gesundheitsberufe Oberösterreich im Februar dieses Jahres online ging, ist unter anderem der erschwerten ökonomischen Situation in Österreich geschuldet. "An Aktualität hat das Thema gewonnen, als wir in der Pandemie erkannt haben, dass sich die Bedingungen für viele Menschen, denen es ohnehin nicht gut ging, verschärft haben", erklärt Studiengangsleiterin Schildberger dazu.

"Als wir zu Beginn des Jahres der starken Inflation entgegengesehen haben, wollten wir schnell starten, denn jetzt brennt das Thema wirklich." Mehr als 500 Frauen haben seither an der Studie teilgenommen. In den kommenden Wochen wird weiterhin in Online-Foren und bei niedergelassenen Ärzten nach Teilnehmerinnen gesucht. Bis Ende dieses Jahres sollen die Ergebnisse ausgewertet werden, mit einer Publikation derselben rechnet man frühestens im Herbst 2024. (Sarah Kleiner, 13.6.2023)