Es muss ein schlimmes Malaria-Sumpfloch gewesen sein, als Prinz Eugen, der edle Ritter, 1716 endlich die Türken auch aus dem Banat und damit dem gesamten einst ungarischen Territorium rausgeworfen hat und es in der fast menschenleeren, wüsten Region an den Aufbau geht.
Eugens Intimus Claudius Florimund Mercy holt als in der Festung Temeswar residierender Gouverneur Kolonisten von Lothringen und dem Elsass bis Tirol und Kärnten und noch weiter her ins Land, der Bega-Kanal ist der entscheidende Schritt zur Kultivierung, bald wird das Banat zur blühenden Kornkammer, wenngleich das bittere Generationenwort sich eingebrannt hat in die Seelen der Siedler: Den Ersten der Tod, den Zweiten die Not, den Dritten das Brot.
Andere Zeiten, andere Sitten: Heute wäre das schwer möglich, ein Sumpf-Biotop sollte tunlichst nicht angetastet werden. Aber das ist eine andere Geschichte. Die hier handelt vom Banat und von Temeswar, mit coronabedingter zweijähriger Verspätung Kulturhauptstadt Europas, ein Titel, mit dem sich heuer auch Weißbrünn (Veszprém) in Ungarn und Eleusis (Elefsina) in Hellas schmücken dürfen.
Das zum Einsatz kommende Reisemobil ist ein Seat Tarraco 1,5 TSI DSG, Ausstattungslinie Xperience, Kostenpunkt: 44.404 Euro, inklusive Extras 49.410. Mit der 150-PS-Maschine ist der 4,74-Meter-Fronttriebler wacker motorisiert, unten erstaunlich spritzig, oben nicht mehr ganz so sehr, und das 7-Gang-Doppelkupplungsgetriebe hilft auf der Langstrecke beim Entspannen.
Das Reisezeugs für vier Insassen ist verstaut, auch die Regenausrüstung wegen der Wetterprognose, der Tarraco lächelt milde, was denn, das ist alles? Abwarten, es wird schon mehr werden, ein paar Kartons mit Wein aus Wieland (Villány) nahe Fünfkirchen zum Beispiel kommen im Laufe der Reise hinzu. Der Spritverbrauch auf der Gesamtstrecke pendelt sich auf zwei Liter gradaus ein – je Person gerechnet, sprich: achte insgesamt. Bei den vielen Autobahnkilometern ein durchaus respektabler Wert.
Angelegt ist die kulturhistorische Tour in zwei Etappen: Zwischenstopp bei Hin- und Rückfahrt jeweils in Fünfkirchen (Kulturhauptstadt 2010), dazu einzelne Stationen auf dem Weg zum Zielort, wie Szegedin (grandios!), Arad (Prinz-Eugen-Festung!) und nahebei der Wallfahrtsort Maria Radna an der Marosch, ein ehemaliges Franziskanerkloster. Wir erinnern uns, historische Grenzen des Banats: Marosch im Norden, Theiß im Westen, Donau im Süden, Südkarpaten im Osten.
In der liebevoll restaurierten barocken Kirche werden Messen in sieben Sprachen gelesen. Zur Zeit unserer Visite kommt auf dem Parkplatz auch ein VW California aus Wiesbaden an. "Weit weg von daheim", spreche ich den jungen Fahrer und seine Frau an. "Ja – und nein: Die Großeltern wollen noch einmal ihre Heimat sehen. Beginnen möchten sie hier, an diesem Marienwallfahrtsort."
Damit jetzt aber runter nach Temeswar. Am Grenzübergang Ungarn-Rumänien hatten wir eh schon Zeit liegen lassen, in die Gegenrichtung dabei einen gigantischen Lkw-Stau beobachtet, 20, 25 Kilometer lang, und beziehen Quartier in der Stadt.
Wer mit dem Auto anreist wie wir – bisher und weiterhin zeigt sich der Tarraco auch dank seiner hochkomfortablen Sitze als ideales Reisegefährt –, sollte einkalkulieren: Zu den Stoßzeiten staut es gern und viel in der Stadt und auf den Einfallstraßen. Und: Der Fahrzeugbestand unterscheidet sich kaum von jenem in Österreich, bis auf den Umstand, dass man keine Elektrofahrzeuge sieht.
Dafür, erläutert Ramona Lambing nächsten Tages auf dem Weg ins Zentrum, gebe es eine andere Form alternativer Mobilität: Unten am Bega-Kanal liegen ein paar Schiffe. Um einen Bettel befördern die einen von Anlegestelle zu Anlegestelle, aber etwas Zeit sollte man mitbringen. Entschleunigen im Wasserbus ...
Die ebenso sympathische wie versierte Rumänienreisespezialistin bringt uns mit Walter Kindl zusammen, unter anderem Domkapellmeister, eine geist- und witzsprühende Koryphäe, ein Mann von stupendem Wissen, 80 Jahre jung. Davor geleitet sie uns noch von der orthodoxen Kathedrale die Promenade rüber zum Siegesplatz.
Das dortige Nationaltheater (einst Franz-Joseph-Theater, ein Helmer-Fellner-Bau) und Opernhaus, das neben dem Rumänischen auch das Deutsche und Ungarische Staatstheater beherbergt, war 1989 Ausgangspunkt der Rumänischen Revolution, die das kommunistische Ceausescu-Regime hinwegfegte. Zum Gedächtnis wurde der Mittelrisalit der Gebäudefront bombastisch umgestaltet.
1989 jedenfalls, "als die Redner auf der Tribüne verstummten, drehten sich die Menschen um 180 Grad in Richtung Kathedrale um, gingen in die Knie und sprachen das Vaterunser. Ich bekomme heute noch Gänsehaut bei der Erinnerung", schildert Lambing bewegt, drückt verstohlen eine Zähre aus dem Augenwinkel und stellt uns dem Herrn Professor vor.
Selten eine so profunde Führung erlebt. Der Stadtrundgang innerhalb der ehemaligen Festungsmauern endet auf dem Platz der Vereinigung, der "guten Stube" Temeswars, spätestens hier wird das Attribut "Klein-Wien" verständlich. Vieles ist schmuck restauriert und kann sich sehen lassen, aber noch mehr an historischer altösterreichischer Baulichkeit harrt dringend der Instandsetzung. An dem verwahrlosten, hoffentlich bald wieder zu altem Glanz erstehenden Palais Löffler aus der Gründerzeit, schräg gegenüber dem Nationaltheater, sind noch die Einschuss-Spuren der Revolution zu sehen.
Der aus Deutschland stammende Dominic Fritz, seit Ende 2020 Bürgermeister Temeswars, setzt auf Nachhaltigkeit bei der Restaurierungstätigkeit, auf sukzessiven Aufbau in der heute drittgrößten Stadt Rumäniens, das (Kulturhauptstadt-)Geld sollte nicht auf einmal "verbraten" werden. Löblicher Ansatz, man darf nur hoffen, dass die Rechnung aufgeht.
Es ist eine quirlig-lebendige Stadt, mit reichlich Cafés, Restaurants – gerne labten wir uns zum Beispiel in der Beraria (Kindl: „Causae sunt quinque bibendi!“) in einem der wenigen erhalten gebliebenen Teile der Festungsmauern – und Architektur von Barock bis Jugendstil und Art déco.
Ständig grüßen den Herrn Kindl einstige Studenten, wechseln ehrerbietig ein paar warme Worte mit ihm. Zu guter Letzt führt er uns noch in seine langjährige Wirkstätte, den barocken, von niemand Geringerem als Fischer von Erlach entworfenen Dom, und macht uns bekannt mit seinem Lebenswerk, der Domorgel.
Ist die Kulturhauptstadt einen Besuch wert? Unbedingt, auch wegen des grandiosen begleitenden Veranstaltungsprogramms. Und die ganze Region, das Banat. Leider schaffen wir das Bergland – geplant waren noch Steierdorf (1773 durch Ansiedler aus der Steiermark und dem Salzkammergut gegründet; rumänisch Anina) und Deutsch-Orawitz (Oravita) – sowie den zu Habsburgs Zeiten mondäne Kurort Herkulesbad (Baile Herculane) nicht mehr. Ein andermal dann.
Und übrigens: Mit Herta Müller und Stefan Hell hat Temeswar zwei Nobelpreisträger hervorgebracht, beide Schüler des Nikolaus-Lenau-Gymnasiums. Für den Besuch des Geburtshauses des Namensgebers in Lenauheim braucht man aber starke Nerven. So was von verwahrlost außen. Es gilt die letzte Strophe seines Gedichtes Einst und jetzt:
Und auch wir müssen fort. Leider. Der Tarraco, der bringt uns sicher und sanft zurück nach Hause. Jaja, schlaft ihr nur da hinten ... (Andreas Stockinger, 12.6.2023)