Spekuliert wurde in Edinburgh schon seit Wochen. Wenn die Kriminalpolizei in der unappetitlichen Finanzaffäre der schottischen Nationalistenpartei SNP deren Generalsekretär und Schatzmeister als Beschuldigte führt – warum dann nicht die langjährige Parteichefin?

Am Sonntag war es so weit: Ex-Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon musste sieben lange Stunden Polizeigewahrsam und Verhör über sich ergehen lassen, ehe sie wie ihre Mitstreiter ohne Anklage wieder auf freien Fuß gesetzt wurde. Die Unschuldsvermutung gilt für alle drei. Der Schaden für das SNP-Langziel der Unabhängigkeit aber ist schon heute immens.

Nicola Sturgeon
Muss sich auf ihre Verteidigung konzentrieren: Ex-Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon.
APA/AFP/POOL/JANE BARLOW

Der strafrechtliche Vorwurf könnte auf Unterschlagung oder Veruntreuung von Spendengeldern lauten. Den politischen Vorwurf allzu großer Selbstgewissheit müssen sich die SNP-Verantwortlichen auf jeden Fall machen lassen. Schottlands Transportwesen, das Gesundheitssystem, die Schulen – alle Politikbereiche bedürften einer konzentrierten, energischen Arbeit der Nationalistenregierung in Edinburgh.

Stattdessen verschwendete Sturgeon, verschwendet deren Nachfolger Humza Yousaf zu viel Energie auf Schwärmereien darüber, wie viel besser das Land ohne die Union mit England und Wales dastünde. Konkrete Antworten auf die Fragen, die schon 2014 zur Niederlage im Referendum führten, bleiben aber aus. Sturgeon muss sich auf ihre Verteidigung konzentrieren. Der Unabhängigkeitstraum ist in weite Ferne gerückt. (Sebastian Borger, 12.6.2023)