Als ich vor vielen Jahren zum ersten Mal in Wien war - nicht ahnend, dass ich einmal hier wohnen würde -, erstellten meine Freundin und ich eine Liste mit Kaffeehäusern, die wir dann gewissenhaft abarbeiteten. Wir aßen Sachertorte mit Blick auf die Oper, probierten die Buchteln im Hawelka, tranken Einspänner im Café Schwarzenberg und Maria Theresia im Central. Kaffeehäuser waren für uns der Inbegriff der hiesigen Lebenskultur, Sinnbild für Wien: eine Weltstadt (Zeitungen in sämtlichen Sprachen), in der man Traditionen hochhält (livrierte Ober), sich nicht stressen lässt (stundenlanges Verweilen) und das Leben zu genießen weiß (üppige Cremetorten).

Nur selten ist die Kaffeehauskultur als immaterielles Kulturerbe geschützt, wie das in Wien seit 2011 der Fall ist, getrunken aber wird Kaffee überall auf der Welt. Als Wien-Besucherin wäre ich nie auf die Idee gekommen, meinen Kaffee woanders als in einem Kaffeehaus zu konsumieren. Man geht ja im Italienurlaub auch nicht indisch essen. Nun, da ich hier lebe, bin ich offen für Neues - und habe mich durch die internationale Kaffeeszene der Stadt getrunken.

Kaffeemaschine Espresso Italien
Wie er in Italien sein muss: Kaffee, der wie Honig aus der Maschine fließt.
Foto: Stefan Fürtbauer

Kaffee mit Brot und Eis

ÄTHIOPIEN

Äthiopien gilt als Geburtsland des Kaffees und zählt zu den weltweit größten Kaffeeexporteuren. Ein Großteil der Bohnen aber bleibt vor Ort. "Wir sind verrückt nach Kaffee", sagt George Kenan, der mit seiner Frau das Café Lalibela im 18. Bezirk betreibt - benannt nach der heiligen Stadt in seinem Heimatland. "Kaffee wird dauernd getrunken. Selbst von Kindern." Mitarbeiterin Azeb schaut skeptisch. Fest steht: Das Kaffeetrinken wird in Äthiopien zelebriert. Es ist ein aufwendiges Ritual, bei dem sich Familie und Freunde im Kreis versammeln. Auf Vorbestellung kann man solch eine Kaffeezeremonie auch im Café Lalibela miterleben. Die Kaffeebohnen werden in einer Pfanne über dem offenen Feuer geröstet, gemahlen und in der traditionellen Jabana - einer bauchigen Kanne mit dünnem Hals - aufgekocht. Zum Kaffee gibt es Popcorn oder Ambasha, ein einfaches Hefebrot. Aufgegossen wird er dreimal, und auch die Zeremonie selbst findet oft mehrmals täglich statt. "Einmal bei mir, einmal bei der Nachbarin, einmal bei der Freundin", meint Azeb lachend.

Äthiopischer Kaffee beim Einschenken.
In Äthiopien wird zum Kaffee Popcorn serviert.
Foto: Stefan Fürtbauer

THAILAND

Bei Thailand denken viele an Tee. Erst seit den 1970er-Jahren wird dort Kaffee angebaut - auf Initiative der Regierung, die dadurch die Lebensbedingungen der Landbevölkerung verbessern wollte. Heute trinkt man Kaffee aus heimischen Bohnen, nach wie vor aber süß und eisgekühlt. So auch in der Oliang Bangkok Café Bar im 15. Bezirk. "Mein Liebling ist der Thai Ice Coffee", sagt Komsan Wanni, der aus der Gegend um Pattaya stammt und seit seinen Jugendjahren in Wien lebt. Morgens trinke man in Thailand auch warmen Kaffee, begleitet von Pa Thong Go, der "thailändischen Variante des Donuts". Nachmittags aber, wenn es "urheiß" wird, muss es meist ein Oliang sein, wie der Eiskaffee in der Landessprache heißt. Aufgebrüht werden die Bohnen in Tungdtom - Stofffiltern, die wie lange Stümpfe aussehen. Für den Ice Coffee kippt Wanni süße Kondensmilch in den abgekühlten Kaffee und gießt die Mischung in ein mit Eis gefülltes Glas. In Thailand isst man zum Kaffee oft Khanom Khrok, kleine Kokospfannkuchen.

Thailändischer Kaffee gefiltert.
Kein Strumpf, sondern der Kaffeefilter.
Foto: Stefan Fürtbauer
Thailändischer Eiskaffee
Wenn's heiß ist, muss es ein Eiskaffee sein.
Foto: Stefan Fürtbauer

TÜRKEI

"In der Türkei sagt man: Eine Frau, die Kaffee ohne Schaum kocht, ist nicht heiratsfähig." Sibel Hatapoğlu Kollinsky schüttelt lachend den Kopf. Wenn ein Mann seiner Auserwählten einen Antrag macht und sie ihm danach Kaffee mit Salz serviert, heißt das, dass sie ihn gut findet. "Er muss die Tasse dann als Liebesbeweis austrinken." Hatapoğlu Kollinsky, die in der Burggasse ein türkisches Lokal betreibt, serviert ihren Mokka ohne Salz, aber von schaumiger Haube gekrönt und von rosarotem Lokum begleitet. Ursprünglich wurde der türkische Kaffee in kleinen Kännchen gekocht, auf einem Bett aus heißem Sand. Seit 2013 gehört diese Art der Zubereitung zum immateriellen Weltkulturerbe. Frühmorgens trinke man meist Tee, gleich danach aber einen "kahve". Teil des Rituals: das Lesen im Kaffeesatz, der am Boden verbleibt. "Die Mama einer Freundin hat das immer mit uns gemacht", erinnert sich Hatapoğlu Kollinsky, die in Istanbul aufgewachsen ist. Heute gebe es dafür sogar Apps. Drei Fotos, schon erscheint die Weissagung auf dem Display - leider nur auf Türkisch. "Das sorgt gleich für Gesprächsstoff", meint sie lachend und liest vor: "Du stehst vor einem beruflichen Scheideweg …" 

Sibel Gastwirtin serviert Kaffee.
Sibel Hatapoğlu Kollinsky serviert Kaffee im nach ihr benannten "Sibel's".
Foto: Stefan Fürtbauer
Türkisches Baklava Kaffee.
Zum türkischen Kaffee wird Baklava gereicht.
Foto: Stefan Fürtbauer

Wecken und wärmen

FINNLAND

Die erste Frage, die Hanna Yrjölä gestellt bekommt, wenn sie in ihre finnische Heimat reist, lautet: "Trinken wir einen Kaffee?" Und zwar egal, ob es morgens, mittags oder abends ist, erzählt Hanna, die im zweiten Bezirk das Café Ihana betreibt. Immer wieder führt Finnland das Ranking der Länder mit dem weltweit höchsten Kaffeekonsum an. "Bei uns ist es das halbe Jahr dunkel. Da braucht man ein Getränk, das wärmt und aufweckt." Auf dem Land wurde früher Pfannenkaffee getrunken: Die Bohnen wurden über dem Feuer in einer Pfanne aufgekocht. Der Geschmack? Ähnlich dem türkischen Kaffee. "Und manchmal verbrannt", lacht Yrjölä. Heute trinke man meist Filterkaffee. Weil der hierzulande nicht den besten Ruf genießt, serviert sie (derzeit) nur Kaffee aus der Siebträgermaschine. Für extra finnisches Flair aber gibt es ihn auf Wunsch in einer der Mumin-Tassen, die aufgereiht über der Theke stehen. Dazu isst man Korvapuusti, süße Zimtschnecken.

Finnische Zimtschnecken Korvapuusti.
Süße Zimtschnecken, oder Korvapuusti, wie man in Finnland sagt.
Foto: Stefan Fürtbauer
Finnisches Café Ihana im zweiten Bezirk.
Das finnische Café Ihana im zweiten Bezirk.
Foto: Stefan Fürtbauer

ITALIEN

Wie Honig rinnt er in die Tasse. 25 bis 30 Sekunden, keinesfalls länger. "Am Anfang kommen die ätherischen Öle, dann der Körper, am Ende nur noch Flüssigkeit und Bitterstoffe." Luca Formisano könnte ewig über Espresso reden, besser gesagt: über "caffè", denn das Wort Espresso ist eine Erfindung des Auslands. Kein Land steht so sehr für Kaffee wie Italien: Der Norden, sagt Formisano, sei Meister in Sachen Cappuccino, der Süden beim "caffè". Allen voran: Neapel, die Heimatstadt der Brüder Luca und Dario Formisano, wo er teils nur 50 Cent kostet und "alle zehn Meter verkauft wird". Ehe die Mitarbeitenden ihrer Monte-Ofelio-Bars an die Maschine dürfen, werden sie einen Monat eingelernt: Mahlgradeinstellung (abhängig von Luftfeuchtigkeit und Temperatur), Menge (9-9,2 Gramm), Anpressdruck (gleichmäßig 20 Kilogramm).

Monte Ofelio Bar Wien Cafe Italien.
Nicht mehr als 30 Sekunden darf man den Kaffee herunterlassen, sagen die Brüder der Monte Ofelio Bar.
Foto: Stefan Fürtbauer

"Eine Top-Maschine reicht nicht. Kaffeemachen ist eine Kunst", sagt Formisano und stellt die Tasse auf den Tresen. Kaum halbvoll ist sie, obenauf dicke, ölige Crema. Die meisten Italiener trinken ihren Kaffee "al banco", stehend an der Bar ihres Stammcafés. Den ersten frühmorgens, begleitet von üppig gefüllten Cornetti, den letzten nach dem Essen am Abend. Ein "caffè", so Formisano, helfe bei der Verdauung. (Verena Carola Mayer, 17.6.2023)