Die stärkste Inflationswelle in Österreich seit einem halben Jahrhundert wird vermutlich bald abebben. Im Mai verringerte sich der allgemeine Preisauftrieb auf 9,0 Prozent nach 9,6 Prozent im Vormonat. Damit stiegen die Verbraucherpreise so langsam wie seit Juni 2022 nicht mehr. "Die Inflation hat sich auf hohem Niveau eingebremst", sagt Statistik-Austria-Generaldirektor Tobias Thomas. "Das liegt vor allem an den Treibstoffen, die deutlich billiger als vor einem Jahr sind. Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke sowie Gastronomie und Beherbergung verteuerten sich im Mai zwar etwas weniger stark als im Vormonat, die Teuerungsraten sind hier aber weiterhin zweistellig."

Eine Kellnerin serviert Speisen.
Auch wenn die Teuerungswelle insgesamt langsam abebbt: Der Preisauftrieb bei Dienstleistungen wie der Gastronomie wird weiterhin hoch bleiben.
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Wohl ist die Teuerung mit neun Prozent noch immer auf einem kaum zu ertragenden Niveau, allerdings zeigt sich im Detail, dass der Preisauftrieb im Mai deutlich langsamer geworden ist. Verglichen mit dem Vormonat April wurden Waren und Dienstleistungen um 0,3 Prozent teurer – das ist der tiefste Wert seit August 2022. Zur Verdeutlichung: Im April sind die Verbraucherpreise verglichen mit März noch um 0,8 Prozent gestiegen.

Ökonom Sebastian Koch vom Institut für Höhere Studien (IHS) erwartet zwar künftig eine weiter sinkende Inflationsrate in Österreich, allerdings bloß auf 4,5 bis fünf Prozent bis Jahresende. Im Jahresschnitt geht er von heuer 7,5 Prozent Preisauftrieb aus. Warum erweist sich die Inflation als so hartnäckig? Zwar würden Energiepreise tendenziell wieder nachgeben und der Preisdruck bei Lebensmitteln nachlassen, dafür dürften Dienstleistungen wie die Gastronomie sich weiterhin stark verteuern. Dazu kommt, dass bei der größten Position im Warenkorb des Verbraucherpreisindex, den Mieten, noch Verteuerungen anstehen. "Mieten kommen nur zeitverzögert in die Verbraucherpreise", erklärt Koch.  

Es gibt aber auch einen statistischen Effekt, der für einen nachlassenden Preisauftrieb spricht, nämlich den sogenannten Basiseffekt. Im Vorjahr sind die Verbraucherpreise stark gestiegen, was bedeutet, dass das aktuelle Preisniveau mit immer höheren Vorjahreswerten verglichen wird. Treibstoffe sind beispielsweise derzeit sogar billiger als vor zwölf Monaten, als sie wegen des Beginn des Ukrainekriegs nach oben geschnalzt waren. Damals war Sprit einer der Haupttreiber der Inflation, heute trägt er hingegen sogar negativ zur Teuerung bei. "Der Basiseffekt ist der wichtigste Grund, warum es hinuntergeht", erläutert Koch.

OeNB geht heuer von leichtem Wachstum aus

Die Oesterreichische Nationalbank (OeNB) erwartet heuer im zweiten Halbjahr ein leichtes Wirtschaftswachstum. Die Inflation wird laut der Prognose trotz Rückgangs immer noch 7,4 Prozent betragen. Die Realeinkommen in Österreich dürften leicht zunehmen, die Arbeitslosigkeit bleibe stabil. 2024 soll die Inflation laut Prognose auf 4,1 Prozent sinken, die Wirtschaft um 1,6 Prozent wachsen und die Realeinkommen mit 3,3 Prozent stark steigen. Seit dem zweiten Halbjahr 2022 sei die Wirtschaft in einer Stagflationsphase, also einem Nullwachstum bei hoher Inflation, so die OeNB. "Aber in der zweiten Jahreshälfte nimmt die Wirtschaft wieder Schwung auf, und die Inflation wird langsam sinken", sagt OeNB-Gouverneur Robert Holzmann.

Hohe Preissetzungsmacht

Bei Raiffeisen Research erwartet man, dass sich die Inflation als hartnäckig erweisen wird. "Die EZB wird wahrscheinlich bis 2025 ihr Inflationsziel verfehlen", sagte Chefanalyst Gunter Deuber diese Woche. Ein Problem: "Die Unternehmen haben die größte Preissetzungsmacht seit 20 Jahren." Dem zugrunde liegen hohe Inflationserwartungen der Wirtschaftsakteure – das heißt, wenn Anbieter von Waren oder Dienstleistungen glauben, die Teuerung bleibt hoch, heben sie ihre Preise öfter an. Solange die Nachfrage nicht zurückgeht und die Konsumierenden bereit sind, die höheren Preise zu zahlen, werden die Unternehmen diesen Spielraum weiter ausnützen.

Profite treiben die Inflation in Österreich stärker als in den meisten anderen Ländern der Eurozone, heißt es aus dem gewerkschaftsnahen Momentum-Institut. "Unternehmen haben ihre Preise stärker erhöht, als es nötig gewesen wäre, um ihre Kosten zu decken", sagt Ökonom Joel Tölgyes. Der Beitrag der Profite zur Teuerung sei hierzulande mit 67 Prozent deutlich höher als in der Eurozone, wo der Durchschnitt bei 55 Prozent liege. "Dafür bezahlen wir mit einer höheren Inflation als in den meisten anderen Ländern", erklärt Tölgyes.

Die Schuld für die hohe Inflation sieht Raiffeiesen-Chefanalyst Deuber aber nicht primär bei den Anbietern. "Eigentlich haben Notenbanken die Verantwortung für die Inflation und nicht die Unternehmen", sagt er. Die EZB hat zur Bekämpfung der Teuerung am Donnerstagnachmittag mit der achten Zinserhöhung in Folge den Leitzins von null auf vier Prozent geschraubt, möglicherweise werden weitere Zinsschritte folgen. Deuber erwartet, dass die Notenbank die Zinsen länger auf erhöhtem Niveau belassen wird, Zinssenkungen seien vor dem zweiten Halbjahr 2024 nicht zu erwarten. Das sind keine guten Nachrichten für Kreditnehmer mit variabler Verzinsung. Laut einer Umfrage des Vergleichsportals Durchblicker befürchten bereits hochgerechnet 200.000 Haushalte, ihre Kredite bald nicht mehr bedienen zu können. (Alexander Hahn, APA, 16.6.2023)