Festwochen The Confessions
Das spät errungene Eheglück von Alice (Eryn Jean Norvill, Brian Lipson, v. li.) birgt neue Herausforderungen für das Zusammensein.
Nurith Wagner-Strauss

Der britische Regisseur Alexander Zeldin spannt in The Confessions acht Jahrzehnte einer Biografie auf. Vom Schulball anno 1958 in einem Kaff in Australien weg startet seine Inszenierung, die am Mittwoch Weltpremiere bei den Wiener Festwochen im Volkstheater feierte und von hier aus weltweit touren wird, bis Australien. 2021 holte Festwochen-Intendant Christophe Slagmuylder den wegen seiner mikroskopischen Sozialstudien gefeierten Theatermacher erstmals nach Österreich. Dem Mikroskopischen bleibt Zeldin treu, hat sich aber jetzt einer weniger realistischen Ästhetik zugewandt – Orte und Zeiten wechseln kunstvoll.

Es geht um Alice, eine 1943 in einem Kaff in Australien geborene Frau, die alle Hände voll zu tun hat, ihr von patriarchalen Strukturen geprägtes Leben auf eigene Beine zu stellen. Lehrpersonen, Mutter, Vater, Ehemann – sie sorgen wie gewohnheitsmäßig dafür, dass die Schulabsolventin das herkömmliche Rollenbild einer bescheidenen, dienenden Hausfrau und Gattin erfüllt.

Bleibt die Inszenierung auch konventionell und 1:1-realistisch in der Abbildung von Figuren und Interaktionen, so vermag Zeldin, der das Stück auf Basis von Gesprächen mit seiner eigenen Mutter verfasst hat, doch eines: die Geschichte hervorragend zu erzählen. The Confessions ist ein klassisches Biopic, das aus Rückblenden in oft großen Zeitsprüngen gebaut ist. Aus Rückblenden einer wie ein Geist die Szenen begleitenden alten Frau. Als besonders erweist sich die Hinwendung zu Nebenschauplätzen, die Erhebung banaler, oftmals auch erschreckend kurzer Momente, die wie ein Gen aber alles enthalten über das "Werden" einer Person.

Plötzlich versteinert

So beginnt der Abend in der Stunde vor dem Schulabschlussball im Backstagebereich, wo sich die Schülerinnen in schönen, der Zeit entsprechenden Petticoat-Kleidern über ihre Nervosität austauschen, sich Gemeinheiten an den Kopf werfen und angesichts männlicher Autorität plötzlich versteinern.

Entscheidend ist auch die nachfolgende Szene am elterlichen Küchentisch, wo viel Orangensaft gegen die angespannte Atmosphäre aufgetischt wird, denn Alice hat die Aufnahmsprüfung an der Universität leider nicht geschafft. Vielleicht auch deshalb, weil sie zu oft "Dummerchen" genannt wurde und nicht wirklich zu einer entsprechenden Ausbildung ermutigt wurde ("die Messlatte nicht allzu hoch legen"). Sie gibt zu leicht auf.

Zeitsprünge

Das ändert sich aber, als ihre blutjung eingegangene Ehe mit einem Marineoffizier in Glücklosigkeit erstarrt und letztlich in die Brüche geht. In einem Augenblick, der andeutet, dass dieser Mann sie über die Brüstung des Hauses stoßen will, zieht Alice alle Register und macht sich frei für ein anderes Leben, das in einer WG neu startet und das sie später, nach absolviertem Studium, nach England führen wird, zu einem neuen Ehemann.

Eine Küchenzeile, Tisch, Stühle und Sofa sind die wenigen und in Varianten immer gleich bleibenden Requisiten dieses Lebens. Sie passen sich hinter jeweils neu heruntergelassenem Bühnenvorhang den Zeitsprüngen der Erzählung an. Essenziell für den Soundtrack dieser Biografie wird die großartige Musik von Yannis Philippakis, der sie von Anfang an zwischen den Szenen wie Elektroschläge austeilt und dem Abend bei allen auch positiven Wendungen einen gravitätischen Grundton verpasst.

Davor und Danach

Zeldin macht die neuralgischen Szenen im Uneigentlichen aus, d. h. im Davor oder Danach, selten im Geschehensmoment. Das verleiht der Inszenierung dauerhaft Spannung, sie bleibt überraschend bis zum Schluss. Es ist beispielsweise der Moment vor dem Ball, der Moment nach der misslungenen Prüfung, der Moment nach der Vergewaltigung. Oder auch der Moment vor der Beerdigung, als der Sohn seine vorbereitete Rede nicht zu halten imstande zu sein scheint, Alice ihn aber nachdrücklich ermutigt.

Diese fast filmisch gedachte Dramaturgie und Erzählweise trägt den Abend drei Stunden gut durch. Er löst das ein, was Alexander Zeldin vorab beteuert hat: The Confessions lässt es menscheln. Ein einfaches Privatleben, mit realer Vorlage, erklimmt hier erfolgreich den Thron einer Bühne und wird so Politik. (Margarete Affenzeller, 16.6.2023)