Im Gastblog analysiert Rechtsanwältin Michaela Krömer die Bedeutung der Klimaklage, die jüngst vor dem höchsten Gericht Österreichs eingebracht wurde.

Zwölf Kinder und Jugendliche haben im vergangenen Februar eine Klimaklage vor dem Verfassungsgerichtshof eingebracht, die in diesen Tagen von den Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichtern behandelt werden soll. Es ist nicht weiter verwunderlich, dass der sogenannte Individualantrag der Kinder sowohl national als auch international große mediale Aufmerksamkeit erfahren hat, zumal bereits der Umstand nachdenklich stimmen sollte, dass Kinder überhaupt den Rechtsweg beschreiten. Deutlicher kann der Gesellschaft nicht der Spiegel vor die Nase gehalten werden. Umso wichtiger ist es zu verstehen, was rechtlich hinter diesem Antrag steckt und was dabei alles auf dem Spiel steht.

Im Grunde ist der Individualantrag der Kinder eine Kumulation von österreichischen Besonderheiten. Die erste Besonderheit ist, dass Kindern in Österreich tatsächlich eigene Verfassungsrechte eingeräumt wurden. Ein Unikum, das sich in kaum einem anderen Land findet. Diese Rechte wurden eigens für Kinder – auf Basis der UN-Kinderrechtskonvention – ausgearbeitet und sehen einen besonderen Schutzanspruch für Kinder vor. Liest man Art 1 B-VG Kinderrechte, so stellt man sofort fest, dass es sich hier um Rechtsansprüche handelt, da Kinder unter anderem einen "Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge haben, die für ihr Wohlergehen notwendig sind". "Anspruch" kann dabei nichts anderes bedeuten, als dass Kindern in diesem Rahmen ein Leistungsanspruch gegenüber dem Staat zukommt.

Österreichische Besonderheiten

Dieser Rahmen wird noch um eine zusätzliche Dimension erweitert, indem diese Schutzpflicht unter dem "Gesichtspunkt der Generationengerechtigkeit" wahrzunehmen ist. Somit ist auch ein Schutz vor vorhersehbaren zukünftigen Gefahren (gegen die sich Kinder qua ihrer Rolle als Kinder nicht wehren, schützen oder diese sonst wie beeinflussen können) bereits heute zu gewähren. Einfach gesagt, das Morgen darf im Heute nicht vergessen werden.

Klara König (Fridays For Future Austria), Helmut Sax (Ludwig Boltzmann-Institut für Grund- und Menschenrechte; Netzwerk Kinderrechte Österreich), Michaela Krömer (Rechtsanwältin der KlimaklägerInnen; Verein CLAW) und Sebastian Öhner (Kinder- und Jugendanwaltschaft Wien) bei der Pressekonferenz zur Klimaklage.
Klara König (Fridays for Future Austria), Helmut Sax (Ludwig-Boltzmann-Institut für Grund- und Menschenrechte, Netzwerk Kinderrechte Österreich), Michaela Krömer (Rechtsanwältin der Klimaklägerinnen und Klimakläger, Verein Claw) und Sebastian Öhner (Kinder- und Jugendanwaltschaft Wien) bei der Pressekonferenz zur Klimaklage.
Foto: APA/EVA MANHART

Die zweite Besonderheit ist, dass es in Österreich ein Klimaschutzgesetz gibt, das seit mehr als zwei Jahren keine Treibhausgas-Reduktionsziele enthält. Ein Gesetz, dessen Zweck die Reduktion von Treibhausgasemissionen ist, sieht somit tatsächlich keinen Fahrplan vor, um welche Menge der Treibhausgasausstoß zu reduzieren ist. Das Gesetz enthält auch keine unmittelbaren Handlungspflichten des Staates, auch wenn es der Lösung der größten Bedrohung der österreichischen Gesellschaft dienen soll.

Die dritte Besonderheit – und die Gretchenfrage der gegenständlichen Klimaklage – ist die Tatsache, dass es aktuell völlig unklar ist, ob Kinder ihre inhaltlich stark ausformulierten Rechte tatsächlich effektiv einfordern können. Dass sich diese Frage überhaupt stellt, ist einer weiteren Eigentümlichkeit des österreichischen Rechtssystems geschuldet, weil es die Möglichkeit offenlässt, dass Verfassungsrechte inhaltlich faktisch nicht einforderbar sein können. Rechte, die nicht einforderbar sind, sind jedoch nicht mehr wert als das Stück Papier, auf dem sie stehen.

Wird diese Frage vom Verfassungsgerichtshof mit Nein beantwortet, hat dies zur Konsequenz, dass Rechte im höchsten Rang des Rechtsstaates zu inhaltsleeren Worthülsen degradiert werden. Diese Hürde betrifft die Zulässigkeit des Antrags, also die Frage, ob sich der Gerichtshof überhaupt inhaltlich mit den Rechtsverletzungen befassen muss.

Anspruch auf Aufhebung des Gesetzes?

Da Kindern weder im Klimaschutzgesetz noch durch ihre Verfassungsrechte konkrete Beschwerdemöglichkeiten eingeräumt wurden, verbleibt ihnen nur die Möglichkeit, etwaige Rechtsverletzungen im Wege von Gesetzesprüfungsanträgen an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen, also den Verfassungsgerichthof als negativen Gesetzgeber zu ersuchen, verfassungswidrige Gesetzesstellen aufzuheben. In der Mehrheit der Fälle hat der Verfassungsgerichtshof bislang so entschieden, dass nur Personen, die im Gesetz selbst als Adressatinnen und Adressaten desselben genannt werden, das Gesetz anfechten können sollen. Das Klimaschutzgesetz richtet sich allerdings nicht direkt an die Kinder, sondern an die zuständigen Bundesministerinnen und Bundesminister.

In Ausnahmefällen ist der Gerichtshof aber von dieser Interpretation abgewichen und hat festgehalten, dass auch Personen, die nach dem Inhalt und Zweck eines Gesetzes (indirekt) in ihren Rechten betroffen sind, einen Gesetzesprüfungsantrag stellen dürfen. Darauf stützen sich die Kinder, indem sie vorbringen, dass das Klimaschutzgesetz seinem Inhalt und Zweck nach einen Regelungsbereich betrifft, in dem der Staat sie aufgrund ihrer Verfassungsrechte aktiv vor Gefahren – in diesem Zusammenhang vor den Folgen der Klimakrise – schützen müsste. Im Unterschied zu anderen Grundrechten muss hier der Staat aufgrund seiner Schutzpflicht aktiv tätig werden, weshalb auch ein qualifiziertes Unterlassen in Rechte von Kindern eingreifen kann.

Inhaltlich wird es dann noch ein Stück weit diffiziler. Die Kinder beantragen nur die Aufhebung von Teilen des Klimaschutzgesetzes, weil sie ohne ein Klimaschutzgesetz nicht besser geschützt wären. Sie beantragen daher eine Teilaufhebung des Gesetzes, die bewirken soll, dass die Pflichten der Bundesministerinnen und Bundesminister nicht mehr aufgrund des Verweises auf bereits vergangene Zeiträume bis 2020 ins Leere laufen, sowie dass aus einer bloßen Verhandlungspflicht eine tatsächliche Umsetzungspflicht wird. So könnte das Gesetz zumindest ein Stück weit verbessert und die Rechte der Kinder zumindest geringfügig besser geschützt werden. Im Idealfall bewirkt eine positive Entscheidung allerdings, dass ausreichend Druck auf die Regierung ausgeübt wird, ein neues und tatsächlich effektives Klimaschutzgesetz zu verabschieden.

Gegebene Rechte einfordern

Wie bei allen Verfahren geht es um Details mit großer Folgewirkung. Entscheidend wird sein, welche Bedeutung der Verfassungsgerichtshof den Verfassungsrechten der Kinder und der klaren Intention des historischen Verfassungsgesetzgebers beimisst. Denn dieser beabsichtigte mit dem Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von Kindern, ebendiesen tatsächlich wirksame Ansprüche, also Rechte zu verleihen. Und dazu gehört es in einem funktionierenden Rechtsstaat nun einmal zwangsläufig, dass Rechte auch eingefordert werden können müssen. Alles andere wäre eine reine Farce. (Michaela Krömer, 19.6.2023)