Fast die Hälfte von 1.500 befragten Schülerinnen gibt in einer aktuellen Studie der FH Oberösterreich an, schon (sehr) oft gehört zu haben, dass Frauen Mint einfach nicht verstehen würden.
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Es ist allerhöchste Zeit, mit einem Vorurteil endgültig aufzuräumen: Frauen können aufgrund ihrer geistigen Kapazität schlechter rechnen oder haben ein schlechteres räumliches Vorstellungsvermögen – Aussagen wie diese sind schlichtweg falsch.

Was stimmt, ist, dass viele Mädchen und Frauen diese Fähigkeiten bei sich selbst als schlechter einschätzen und aufgrund dessen seltener technische oder naturwissenschaftliche Berufswege einschlagen. Und daran sind sie nicht selbst schuld: Denn diese geschlechtertypischen Vorurteile verfestigen sich schon sehr früh in der Selbstwahrnehmung vieler weiblicher Personen. Schon im Alter von fünf Jahren nennen Mädchen als Berufswunsch eher frauentypische Jobs, wie eine internationale Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) aus dem Jahr 2021 zeigt.

Weiters wird darin beschrieben, dass sich Mädchen im Alter von elf Jahren zwar noch ähnlich wie die Burschen für mathematische, technische oder naturwissenschaftliche Fächer interessieren. Ab 15 Jahren nimmt dieses Interesse aber stark ab, und die Jugendlichen wollen häufiger "Frauenberufe" annehmen (siehe Grafik). Doch woran liegt das?

Die Berufswahlprozesse junger Menschen werden nach wie vor von "traditionellen" Faktoren beeinflusst.
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Umfangreiche Betrachtung

Die Vorurteile gegenüber Mädchen werden oftmals – auch unbewusst – von den Eltern reproduziert. Sie bieten ihren Söhnen etwa mehr naturwissenschaftliche Tätigkeiten und Lerngelegenheiten an und trauen ihnen auch mehr zu als den Töchtern. Zu diesem Ergebnis kam zuletzt auch die Studie "Mint the Gap" des L&R Sozialforschungsinstituts, die von dem Österreichischen Frauenfonds LEA in Auftrag gegeben wurde.

Dafür wurden neun Fokusgruppenerhebungen bestehend aus technischen Lehrlingen, HTL-Schülerinnen und Mint-Studentinnen – kurz für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik – aus fünf Bundesländern durchgeführt. Sie zeichnen ein umfassendes Bild unterstützender und hinderlicher Faktoren für eine Ausbildungs- und Berufswahl sowie den Verbleib junger Frauen in Mint-Branchen. Zudem wurde Forschungsliteratur in Form von 200 Studien und Erhebungen aus dem deutschsprachigen Raum in die Untersuchung miteinbezogen.

Weibliche Personen bekommen demnach weniger Unterstützung in naturwissenschaftlichen Fächern, und ihnen wird weniger zugetraut – auch von Pädagoginnen und Pädagogen. In welche weiterführende Schule die Kinder gehen, machen die Mädchen oft von ihren Schulnoten abhängig. Interessant ist dabei, dass sprachliche Fächer konträr zu den naturwissenschaftlichen gesehen werden. Zahlreiche Studien zeigen jedoch auch, dass selbst bei gleichen Schulnoten Mädchen eher an sich zweifelten und sie sich weniger Erfolgschancen ausrechneten als Burschen.

Viele Vorurteile

Das führt dazu, dass sich rund die Hälfte der Schülerinnen eine Ausbildung im Mint-Bereich kaum oder gar nicht vorstellen kann. Das belegt eine neue Studie der Fachhochschule Oberösterreich (FH OÖ), für die rund 1.500 Schülerinnen zwischen 14 und 18 Jahren befragt sowie zusätzlich Gruppeninterviews mit 30 Teilnehmerinnen ausgewertet wurden. Die am häufigsten genannten Gründe, die gegen eine Mint-Ausbildung sprechen, sind einerseits Desinteresse und andererseits Respekt vor technischen Fächern.

Gerade einmal ein Viertel (bei den 14- und 15-Jährigen) beziehungsweise ein Drittel (bei den 16- und 17-Jährigen) der Befragten kann sich eine Ausbildung in diesem Bereich (sehr) gut vorstellen. Für jede Vierte beziehungsweise Fünfte ist das zumindest teilweise denkbar. In der Gruppe der Unentschlossenen liegt der Studie zufolge noch das größte Potenzial für mehr weibliche Fachkräfte. Die größte Motivation für jene, die sich eine Mint-Ausbildung nicht oder nur teilweise vorstellen können, sei die Aussicht auf einen sicheren, gut bezahlten Job mit flexiblen Arbeitsmöglichkeiten. Auch ein inklusiveres Image – kritische Masse wären laut Studie 20 Prozent Frauenanteil – und die Verbindung mit Themen wie Kreativität und gesellschaftlicher Relevanz würden Mint-Berufe aus Sicht der Jungen ansprechender machen. Unter jenen Befragten, die sich eine Mint-Ausbildung gut vorstellen können, wird die Hälfte vor allem durch Ermutigung, ihren Interessen zu folgen, und durch Anerkennung ihrer fachlichen Leistungen motiviert.

Besonders viel zu tun bleibt laut der Studie noch bei Vorurteilen: Fast die Hälfte der Schülerinnen gibt an, schon (sehr) oft gehört zu haben, dass Frauen Mint einfach nicht verstehen würden. Auch das Bild, dass Technikerinnen unweiblich seien oder Frauen lieber etwas anderes machen sollten, ist laut einem Drittel weit verbreitet. Das deckt sich mit den Ergebnissen der "Mint the Gap"-Studie, wonach sich das Image der Technikbranche nach wie vor aus männlichen Klischees speist: Hier würden nur Männer arbeiten, die Nerds oder teils frauenfeindlich oder Ähnliches seien. Gerade junge Frauen fühlen sich dadurch nicht angesprochen oder wollen hier nicht unbedingt dazugehören.

Persönliche Interessen fördern

Eine Teilnehmerin der Studie erzählt im Interview: "Wenn ein Bub in eine HTL geht, ist es halt so. Aber wenn ein Mädchen in eine HTL geht, dann heißt es: ‚Wirklich? Bist du dir sicher?‘" In HTLs mit ausschließlich technischen Ausbildungen waren im Schuljahr 2020/2021 laut Statistik Austria nur 17 Prozent der Schülerinnen und Schüler weiblich.

In den technischen Lehrberufen zeigt sich ein ähnliches Bild: Nur knapp elf Prozent der Lehrlinge in Österreich sind Frauen (2021). Auf den Universitäten liegt der Frauenanteil in Mint-Studiengängen bei rund 20 Prozent, in der IT und im Maschinenbau ist er noch geringer. Aber auch, wenn Frauen solche Fächer studieren, spüren einige einen gewissen Leistungsdruck: "Ich muss jetzt mindestens durchschnittlich sein, damit es nicht so scheint, als wenn alle Frauen ‚schlecht‘ wären", sagt eine Studienteilnehmerin.

Derzeit kann gerade einmal jede sechste Schülerin etwas mit dem Begriff "Mint" anfangen. Das zeigt laut den Studienautorinnen der FH OÖ, wie wenig dieses Thema vor allem in der Mädchenförderung bislang angekommen ist. Da persönliches Interesse ein wesentlicher Entscheidungsfaktor ist, plädieren sie dafür, früher als bisher anzusetzen.

Um mehr Mädchen für eine Mint-Ausbildung zu begeistern, empfehlen die Studienautorinnen zudem eine stärkere Bewusstseinsbildung für die Bedeutung von Mint, indem die Vielfalt von Mint-Berufen und deren Rolle bei der Gestaltung der (digitalen) Welt hervorgehoben werden. Außerdem könne man bei der Informationsvermittlung auf Influencer oder den Einsatz spielerischer Elemente setzen.

Vor allem brauche es aber "mutmachende Feedbacksysteme". Damit sollte etwa durch praxisnahe Workshops und Exkursionen möglichst früh begonnen werden, denn der "confidence gap" – also das geringere Selbstbewusstsein von Frauen in Bezug auf ihre Fähigkeiten – werde mit dem Alter größer. Für Lehrkräfte werden deshalb gezielte Gender- und Diversitätstrainings, Anti-Bias-Schulungen und Coachings vorgeschlagen.

Öffnen, motivieren

Auch die "Mint the Gap"-Studie macht deutlich, dass Berufswahlprozesse junger Menschen nach wie vor von "traditionellen" Faktoren beeinflusst werden. "Vor allem der Bildungsbereich und Betriebe müssten sich aktiv einbringen, damit sich alle Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht dem Mint-Bereich zugehörig fühlen können", kommentiert Nadja Bergmann, Studienleiterin bei L&R Sozialforschung.

Eine gute Nachricht gibt es allerdings: Selbst wenn Mädchen nicht als ersten Bildungsweg eine Mint-Ausbildung wählen, steigen viele während der Ausbildung in diese Fächer um. Wenn Frauen in Mint-Berufen sind, haben sie oft Vorbilder wie Freundinnen oder deren Väter, die in diesen Bereichen arbeiten.

Deshalb wären authentische Vorbilder ein Hebel, ebenso wie eine breite Aufklärungskampagne zu Geschlechterstereotypen, um mehr Frauen für Mint-Berufe zu begeistern. Bereits im Kindergartenalter mehr Berührungspunkte und Erfahrungen in diesem Bereich zu organisieren ist also überaus effektiv. (Anika Dang, Natascha Ickert, 19.6.2023)