Als Omar Haijawi-Pirchner, Chef der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN), am Sonntag vor die Medien trat, um anzukünden, dass ein möglicher Anschlag auf die Regenbogenparade vereitelt worden sei, nutzte er die Gunst der Stunde, um eine alte, umstrittene Forderung neu aufzukochen: Er will mehr Möglichkeiten, um Verdächtige technisch zu überwachen. Die DSN möchte auf verschlüsselte Kommunikation wie Whatsapp oder Signal zugreifen können, sie will Mikrofone abhören und Standortdaten ablesen.

Die ÖVP unterstützt diese Forderung. Kein Wunder: Die Volkspartei versucht bereits seit über einem Jahrzehnt und über verschiedenste Regierungskonstellationen hinweg, einen sogenannten Bundestrojaner einzuführen. Unter Türkis-Blau gelang ihr das fast – doch dem machte der Verfassungsgerichtshof (VfGH) 2019 wegen Datenschutzbedenken einen Strich durch die Rechnung.

Will mehr Möglichkeiten, um Verdächtige zu überwachen: Omar Haijawi-Pirchner, Leiter der Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst, bei der Pressekonferenz zum geplanten Anschlag auf die Vienna Pride (mit dem Wiener Landespolizeipräsidenten Gerhard Pürstl).
APA/TOBIAS STEINMAURER

Die Grünen zeigen sich irritiert über den Vorstoß der DSN, die im von der ÖVP geführten Innenministerium ressortiert. Bisher hat der kleine Koalitionspartner – die selbsternannte Menschenrechtspartei – versucht, das Thema so klein wie möglich zu halten. Aber vom Tisch war es nie: Im Regierungsprogramm ist die Rede von einer "verfassungskonformen Regelung zur Überwachung unter anderem für verschlüsselte Nachrichten im Internet".

An den damaligen Bedenken des VfGH hat sich seither wenig geändert. Ein Bundestrojaner ist ein massiver Eingriff in den Datenschutz.

Das Smartphone ist in einer digitalisierten Welt der wohl wichtigste Begleiter im Alltag. Nun soll es zum allgegenwärtigen Spion umfunktioniert werden: Ein staatlicher Zugriff würde nicht nur einer Totalüberwachung von Verdächtigen gleichkommen, sondern auch all ihre Gesprächspartner betreffen, da ihre private Kommunikation ebenso ohne ihr Wissen ausgelesen wird.

Hinzu kommen IT-Sicherheitsbedenken: Mittlerweile hat sich ein Markt für sogenannte Spyware gebildet. Hersteller nutzen Sicherheitslücken aus, um in das Smartphone einzudringen und Daten auszulesen. Das ist teure Software, die den Staat zum Hacker macht. Doch durch das Offenlassen von Hintertüren haben nicht nur die Behörden, sondern auch alle anderen, etwa Kriminelle oder andere Staaten, Zugriff auf Nachrichten.

Anstatt den Datenschutz der Bevölkerung zu sichern, wird er bewusst kompromittiert. Das ist ein heikles Feld, auf dem sich die ÖVP bewegt – eines, bei dem die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen gewährleistet sein muss. Das scheint derzeit nicht gegeben: Die aktuelle Bedrohung konnte offensichtlich abgewehrt werden. Das letzte Mal, als das nicht gelang, war beim Terroranschlag in Wien 2020. Das lag aber nicht an fehlender Überwachung, sondern schlicht am Versagen des Sicherheitsapparats: Die Behörden wurden im Vorfeld gewarnt – gingen dem aber nicht nach.

Überwachungsmaßnahmen erfordern großes Vertrauen in die Politik. Dieses steht auf einem Tiefpunkt – aufgrund von Korruptionsermittlungen, die bis in die Spitze der ÖVP reichen, aufgrund von Vorwürfen des Amtsmissbrauchs und aufgrund eines Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, das als Spielball der Politik so beschädigt war, dass es neu strukturiert werden musste. Das aktuelle Ansehen des Staates und seiner Institutionen lässt einen Bundestrojaner einfach nicht zu. (Muzayen Al-Youssef, 19.6.2023)