Zuletzt wurde es ruhig um die Neos und ihre Parteichefin Beate Meinl-Reisinger. Während die SPÖ einen neuen Vorsitzenden suchte, war von der pinken Oppositionspartei wenig zu hören. Gerüchte machten die Runde, nach den Verlusten bei der Salzburg-Wahl sei Meinl-Reisinger angezählt. Alles Blödsinn, sagt sie im STANDARD-Interview im frisch ausgemalten Neos-Büro. Die Parteichefin wirkt entspannt. Noch.

STANDARD: Angeblich werden die meisten Menschen mit der Zeit konservativer. Sie scheinen in Ihren Jahren in der Spitzenpolitik toleranter geworden zu sein. Sind Sie nach links gerückt?

Meinl-Reisinger: Nein.

STANDARD: In Ihrer eigenen Partei sagen manche: Ein Problem der Neos ist, dass Sie der wirtschaftspolitisch liberalen Wählerschaft in gesellschaftlichen Fragen zu links sind, aber den Linken zu neoliberal.

Meinl-Reisinger: Wir sind weder neoliberal noch gesellschaftspolitisch links. Wir sind Liberale. Gerade bricht die Mitte zusammen – aufgrund kultureller, aber auch knallharter ökonomischer Fragen. Drei Viertel der Menschen in Österreich sagen, dass sie sich durch ihre eigene Leistung nichts aufbauen können. Das ist dramatisch. Gleichzeitig sind wir ein Hochsteuerland, aber durch den Reformstau bröckelt alles – vom Gesundheitssystem bis zum Schulwesen. Es braucht jetzt wieder Politik, die das anpackt.

STANDARD: Sie finden nicht, dass Sie sich verändert haben in Ihren Jahren als Parteichefin?

Meinl-Reisinger: Nein.

Beate Meinl-Reisinger
Offen für alle – außer für die FPÖ. Beate Meinl-Reisinger will nach der nächsten Wahl regieren und dann auch "heilige Kühe" schlachten.
Heribert Corn

STANDARD: Sie und viele andere aus Ihrer Partei haben dieses Jahr wieder öffentlichkeitswirksam an der Pride teilgenommen. Ist "Wokeness" für Sie etwas Positives oder ein Schimpfwort?

Meinl-ReisingerAn der Pride habe ich schon teilgenommen, da gab es den Begriff "Wokeness" in dieser Form noch gar nicht. Das sind ja urliberale Werte, um die es hier geht. In manchen Fällen sehe ich aber eine Übersteigerung, die intolerant wird. Das nutzt vor allem auch die extreme Rechte für sich. Es ist ja kein Zufall, dass Rechtsextreme jetzt No-Woke-Zonen machen. Ich fürchte, die Identitätspolitik führt uns in eine Sackgasse, eine Art immer kleineres Schubladendenken.

STANDARD: Sind Ihnen Teile der Grünen und der SPÖ zu woke?

Meinl-Reisinger: Teilweise schon.

STANDARD: Es haben sich zuletzt namhafte Mitstreiter der Neos zurückgezogen – insbesondere Sepp Schellhorn. Gemunkelt wird, auch deshalb, weil Sie zu wenig auf Wirtschaftspolitik und zu stark auf Gesellschaftspolitik setzen.

Meinl-Reisinger: Das ist völlig konstruiert. Der Sepp hat klar gesagt, warum er damals nicht mehr konnte: wegen der Arbeit und des Personalmangels in seinen Betrieben. Er hat allerdings gerade an unserem Standortindex mitgearbeitet und klar gesagt: Er will zurück.

STANDARD: Wieso kommen die Neos bei Wahlen nicht vom Fleck?

Meinl-Reisinger: Tun wir doch.

STANDARD: Gerade haben Sie in Salzburg deutlich verloren.

Meinl-Reisinger: Salzburg war bitter.

STANDARD: In Kärnten sind die Neos nicht in den Landtag eingezogen.

Meinl-Reisinger: Auch da haben wir aber dazugewonnen. Wir haben bei jeder Wahl dazugewonnen – außer in Salzburg. Dort haben wir gelernt: Nur gut regieren allein, das reicht nicht aus. Aber Sie können mir nicht sagen, dass wir nicht erfolgreich sind.

STANDARD: Die KPÖ hat mit einem jungen Softkommunisten in der konservativen Stadt Salzburg mehr als 20 Prozent gemacht, die Neos grundeln dahin.

Meinl-Reisinger: Zehn Prozent ist grundeln? Aber es ist immer der Anspruch, besser zu werden. Zum Softkommunismus: Ich warne davor, hier die Weichspülung zu machen. Wenn hinter dem Kommunisten kein Kommunismus steht, dann sollen sie sich auch nicht so nennen. Kommunismus war und ist ein hochproblematisches System, das mörderischste überhaupt.

Beate Meinl-Reisinger.
"Österreich sandelt ab", sagt Beate Meinl-Reisinger.
Heribert Corn

STANDARD: Wie wollen Sie die Neos für die nächste Wahl aufstellen, um eine breite Mitte anzusprechen?

Meinl-Reisinger: Wir wollen ein Angebot für alle sein, die im Leben vorankommen wollen. Wir wollen echte steuerliche Entlastung, Chancengerechtigkeit und einen über Generationen verlässlichen Sozialstaat. Schon länger wird immer nur an kleinen Schräubchen gedreht. Große Themen wie Föderalismus oder ein nachhaltiges Pensionssystem – an diese heiligen Kühe traut sich keiner heran. Wir wollen das angehen. Ich kann es nicht mehr hören, dass wir gut durch die Krise gekommen wären. Das sind wir nicht. Wir werden ärmer. Wenn man sich die Standortpolitik anschaut, die Gesundheit, Bildung, Staatsschulden, die Wettbewerbsfähigkeit – da kann man nur zum dem Schluss kommen: Österreich sandelt ab.

STANDARD: Andreas Babler bezeichnet die SPÖ als Partei der Häuslbauer. Sie wollen den Eigentumserwerb fördern. Babler wie auch Sie fordern einen Ausbau der Kinderbetreuung und ein warmes, gesundes Mittagessen für jedes Kind. Warum ist Ihnen Babler eigentlich so suspekt?

Meinl-Reisinger: Ich habe nie gesagt, dass er mir suspekt ist. Aber es ist für mich schon relevant, ob er jetzt Marxist ist oder nicht. Es ist wirtschaftspolitisch relevant, es ist aber auch gesellschaftspolitisch relevant. Ich sage ja gar nicht, dass Marx nicht einiges richtig beschrieben hat. Aber ihn zum politischen Leitstern zu machen, das halte ich für sehr problematisch. Da hätte ich gerne eine klare Aussage von Babler – genauso wie zur EU und den Waffenlieferungen an die Ukraine.

STANDARD: Im STANDARD hat sich Babler für Waffenlieferungen durch die EU ausgesprochen. Man könne mit ihm sogar über eine EU-Armee sprechen.

Meinl-Reisinger: Wir diskutieren, was der SPÖ-Chef vielleicht gemeint haben könnte. Allein das ist seltsam. Bei uns wissen alle, was sie bekommen: niedrigere Steuern, eine Vision von den Vereinigten Staaten von Europa samt EU-Armee und die klare Unterstützung der Ukraine. Wir wollen keinen neofaschistischen Imperialisten Putin, der glaubt, er könne Krieg gegen den gesamten Westen führen. Wir sind so klar in unseren Positionen, die SPÖ ist es nicht. Die durchschnittliche Abgabenquote auf Löhne und Einkommen beträgt 47 Prozent. Wir wollen keine zusätzlichen Steuern. Punkt.

STANDARD: Was spricht gegen eine Steuer auf Vermögen ab einer Million? Die Aufgaben für die öffentliche Hand werden immer mehr – woher soll das Geld dafür kommen?

Meinl-Reisinger: Die Einnahmen sprudeln! 222 Milliarden Euro waren es im Jahr 2022. Aber der Staat ist ineffizient, und die Leistungen für das viele Geld passen nicht. Die Menschen zahlen zu viel Steuern auf Arbeit, da sind wir mit der SPÖ einer Meinung.

STANDARD: Babler schließt FPÖ und ÖVP als Koalitionspartner aus, strebt also eine Ampelkoalition mit Ihnen an. Auch, um einen Gegenpol zu einer möglichen schwarz-blauen oder blau-schwarzen Regierung zu bilden. Warum wollen Sie sich nicht festlegen?

Meinl-Reisinger: Es ist auch mein Ziel, dass wir eine Neuauflage von Blau-Schwarz verhindern. Denn die ÖVP würde da sofort mitmachen. Das ist hochproblematisch. Es geht ja nicht nur um Herbert Kickl. Die FPÖ will eine Festung Österreich, eine illiberale Demokratie, die Aushöhlung der offenen Gesellschaft. Wir bieten das Gegenmodell.

Beate Meinl-Reisinger.
"Ich fürchte, die Identitätspolitik führt uns in eine Sackgasse, ein immer kleineres Schubladen-denken", sagt Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger.
Heribert Corn

STANDARD: Soll früher gewählt werden?

Meinl-Reisinger: Wir sind bereit. Ich sehe, wie ÖVP und Grüne einander blockieren, etwa beim Informationsfreiheitsgesetz oder beim Klimaschutzgesetz. Ich habe immer Sorge, wenn Parteien mit dem Rücken zur Wand stehen, dass dann der Populismus fröhliche Urständ feiert. Und das wird vor allem eines: sehr, sehr teuer.

STANDARD: Im Frühjahr 2024 findet die EU-Wahl statt. Es heißt, Sie verhandeln mit dem ÖVP-Mann Othmar Karas. Wird er Ihr Spitzenkandidat?

Meinl-Reisinger: Das entscheidet bei uns nicht der Parteivorstand hinter verschlossenen Türen, sondern die breite Öffentlichkeit. Wir sind die einzige Partei, die eine öffentliche Vorwahl abhält. Othmar Karas wird sich die Frage stellen müssen, wie er weitertut mit dieser ÖVP, die viele proeuropäische Positionen verlassen hat. Aber diese Frage stellt er sich jetzt auch schon zwei Jahrzehnte lang.

STANDARD: Sind Sie die Spitzenkandidatin für die Nationalratswahl?

Meinl-Reisinger: Ich werde mich bewerben.

STANDARD: Sollten die Neos nicht zulegen können bei der Wahl, würden Sie sich zurückziehen aus der Politik?

Meinl-Reisinger: Unser Ziel ist es jetzt, allen etablierten Parteien auf die Nerven zu gehen und stärker zu werden bei der nächsten Wahl. Dafür kämpfe ich heute mehr als je zuvor. (Katharina Mittelstaedt, Petra Stuiber, 22.6.2023)