Wien 
Ein Drittel aller in Wien lebenden Menschen hat keine Staatsbürgerschaft.
Christian Fischer

In diesen Tagen jährt sich wieder einmal der Zeitpunkt, an dem die Autorin dieser Zeilen als kleines Mädchen, mit der Familie aus der Tschechoslowakei vertrieben, nach mühseligem wochenlangem Fußmarsch zum ersten Mal österreichischen Boden betrat. Eine wildfremde Dame öffnete die Tür, sah vor sich eine erschöpfte, verwilderte Bettlerfamilie und sagte: Kommen Sie herein, Sie sind willkommen. Bald darauf bekamen wir die österreichische Staatsbürgerschaft, Vater und Brüder durften sofort arbeiten. Wir waren angekommen.

Die Erinnerung an diese Erfahrung drängt sich auf, sowohl angesichts der jüngsten Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer als auch des angeblich "historischen" Asylkompromisses der Europäischen Union. Wirklich zufrieden damit ist niemand. Hilfsorganisationen beklagen, dass Asylsuchende künftig in oft gefängnisähnliche Zentren außerhalb der Union abgeschoben werden sollen, und Hardliner erwarten nicht, dass der Ansturm auf Europa dadurch gebremst wird.

Die bittere Wahrheit scheint zu sein: Die meisten europäischen Staaten wollen nicht noch mehr Migranten. Und für zahllose Menschen außerhalb Europas ist das Leben in ihren Ländern so unerträglich geworden, dass sie sich trotz aller Schwierigkeiten dennoch auf den Weg machen.

In Österreich hat sich die Diskussion mittlerweile an der Frage nach Grenzschutz und "irregulärer" versus "regulärer" Migration festgebissen. Weniger beschäftigt man sich dagegen mit der Tatsache, dass derzeit ein Fünftel aller in Österreich und ein Drittel aller in Wien lebenden Menschen Migranten ohne Staatsbürgerschaft und damit von der Teilnahme am demokratischen Leben ausgeschlossen sind.

Hürden

Die Devise vieler Verantwortlicher scheint zu sein: wenn wir alle diese Leute schon nicht loswerden können, dann wollen wir sie wenigstens ordentlich schikanieren. Nur eine der zahllosen Hürden auf dem Weg zur Staatsbürgerschaft: die Vorlage einer Wohnsitzbestätigung für die letzten zehn Jahre. Diese aus vielen Herkunftsländern zu beschaffen ist praktisch unmöglich.

Sie haben leicht reden, hört man oft auf derartige Vorhaltungen. Deutschsprachige Flüchtlinge mit Bildungshintergrund zu integrieren war seinerzeit leicht. Aber heute haben wir es vielfach mit bildungsfernen Menschen aus fremden Kulturen zu tun. Das stimmt. Aber nach zwölfjähriger Erfahrung als Deutschlehrerin für Migranten, Erwachsenen wie Jugendlichen, kann ich sagen: Es gibt ein riesiges Reservoir von begabten, fleißigen, brauchbaren und vielfach auch gut qualifizierten Menschen, die in irgendwelchen Unterkünften herumhängen und, statt dort zu arbeiten, wo sie dringend gebraucht würden, um wenig Geld auf dem Schwarzmarkt schuften.

Sind sie, was viele ÖVP-Politiker bezweifeln, "integrationswillig"? Ja, viele von ihnen sind praktizierende Muslime, sie lieben nach wie vor ihre ursprüngliche Heimat und ihre Muttersprache und wollen ihre Wurzeln nicht gänzlich abschneiden. Aber die Erfahrung zeigt, dass man nicht nur eine Heimat haben kann, sondern deren mehrere. Wir können die weltweite Migrationskrise nicht restlos lösen. Aber wir könnten diejenigen Hindernisse aus dem Weg räumen, die vor unseren Nasen liegen und die wir selbst geschaffen haben. (Barbara Coudenhove-Kalergi, 21.6.2023)