Geburtstag Weltstar Brandauer
Strippenzieher: Klaus Maria Brandauer als Zirkusartist im bundesdeutschen TV-Spiel "Darf ich mitspielen" (1977).
IMAGO/United Archives

Ausdruck Der Kern aller Ausdrucksbemühungen Klaus Maria Brandauers ist in seiner Stimme zu suchen. KMB – so das inoffizielle Kürzel des Weltstars – verkörpert allein schon durch die Art seiner Stimmmodulation das Vernunftprinzip. Dabei ist sein Auftritt der eines Verführers. Er provoziert augenzwinkernd die Zustimmung des Publikums, indem er es auffordert, mit ihm ein Einsehen zu haben. So kommt es, dass bei KMB, dem sadistisch grinsenden Bond-Bösewicht und Film-Mephisto, beides in eins fällt. Ausgebuffte Berechnung verschmilzt mit entwaffnender Naivität. Der aus einfachen Verhältnissen in Altaussee stammende Brandauer gehört bis heute zu den betörenden Sprechsangeskünstlern im Sprachraum. Allenfalls Jens Harzer gebietet über einen ähnlich einschmeichelnden "Sound".

Aussee KMB wurde, dem Namen des Vaters entsprechend, als Klaus Georg Steng geboren. Die Kindheit verbrachte der spätere Star in der Obhut der Großeltern: Bergarbeiter, die ihren Stolz aus der Salzgewinnung schöpften. Die Karriere Jung Brandauers lockerte das Band zur heimischen Seen- und Alpinlandschaft nicht im Geringsten. Noch in der Filmrolle des Oberst Redl (1985), sein filmschauspielerisches Meisterwerk, erhellt Brandauer das Verdruckste derer, die glauben, sich der Geringfügigkeit ihrer Herkunft schämen zu müssen. Prompt entwickeln sie, so wie der k. u. k. Agent Redl, ein Sozialverhalten, in dem Befähigung zur Hingabe ihre Anpassungsfähigkeit unterstreicht. Der "reale" KMB, wiewohl Österreicher durch und durch, überstrahlt die eigentümliche Gebrochenheit, die das Wesen vieler seiner "besten" Figuren ausmacht.

Bösewicht In der Rolle des Maximilian Largo in dem James-Bond-Film Never Say Never Again (1983) verlieh KMB dem Bösewichtprinzip eine kaum für möglich gehaltene Sexyness. Hollywood bescherte dem gelernten Bühnenkünstler eine ganze Reihe von spektakulären Anschlussjobs, etwa die Rolle des skrupellosen Bror Blixen in Jenseits von Afrika (1985) an der Seite von Meryl Streep und Robert Redford. Brandauer-Bösewichte sind gloriose Antipathieträger: Unbezähmbare, die sich der Verwerflichkeit des von ihnen verfolgten Eigennutzes nicht zu schämen brauchen.

Kortner Als bis heute unübertroffener Bühnenlehrmeister Brandauers hat der deutsche Regisseur Fritz Kortner (1892–1970) zu gelten. Von ihm, dem jüdischen Emigranten, übernahm er die Verpflichtung zur "Werktreue". Von ihm erlernte er in einer Wiener Emilia Galotti die Kunst, die Vorspiegelung von Natürlichkeit als Waffe zu gebrauchen, als Argument gegen nervtötende Verhältnisse. Kortner hat KMB, den Burg-Star und Festspiel-Jedermann, für jede Theatermode gründlich "verdorben". Die Fama vom "schwierigen" Brandauer, der schon einmal die Probenarbeit abbricht, wenn ihm das zugrundeliegende Konzept stinkt, hat in der Verpflichtung zur Kortner’schen Exzellenz ihren Ursprung. Brandauers vor Vitalität platzendes Sterben als "Reicher Mann" auf dem Salzburger Domplatz wusste der Jedermann – er verkörperte die Rolle 1983 bis 1989 – realistisch einzuschätzen. Hofmannsthals bußfertiger Knittelverssprecher sei auch niemand Besseres als ein Faschingsprinz.

Minetti Zu Brandauers 80. Geburtstag am Donnerstag hat sich das Wiener Burgtheater eine besonders beziehungsreiche Hommage für seinen Star ausgedacht. KMB wird in einer Festvorstellung Thomas Bernhards Theaterstück Minetti lesen – ursprünglich eine Huldigung Bernhards an den greisen, die Wörter wie Leckereien zerkauenden Meistermimen Bernard Minetti. Die Figur gleichen Namens reist nach Ostende, um dort ein Engagement an der Bühne in Flensburg zu besprechen. Seine Spezialität ist die Rolle König Lears: Brandauer spielte sie vor zehn Jahren am Burgtheater. Der wahnsinnige Greis auf der sturmgepeitschten Heide bildet bis heute sein letztes Bühnenhauptwerk. In Bernhards Drama sitzt Minetti alias Lear (alias Brandauer) mutterseelenallein auf einer Parkbank, vor dem Gesicht trägt er eine Maske des Malers James Ensor. Seit Jahren machen Gerüchte die Runde, Brandauer solle den Zirkusdirektor Caribaldi (Die Macht der Gewohnheit) spielen – oder einen andere wortseligen Thomas-Bernhard-Exzentriker.

Brandauer Burgtheater Weltstar Geburtstag
Begibt sich aus Anlass seines 80. Wiegenfestes auf die Spuren Minettis: der Schauspieler Klaus Maria Brandauer im Burgtheater in Wien.
Helena Lea Manhartsberger

Regietheater Im überraschenden Ausfall liegt Brandauers Geheimnis, ein tänzelndes Haschen und Antäuschen, das mit der Verblüffung des Gegenübers wie der des Zuschauers rechnet. Manchmal hat es den Anschein, er würde vermittels wohllautender Stimme die Sprödigkeit von den Gegenständen weghobeln. Von selbstherrlichen Regisseuren lässt sich KMB kaum etwas sagen. Brandauer: "Das richtige Betonen hat mich Kortner gelehrt." Als seine zweite Lehrmeisterin bezeichnet er die famose Schauspielerin Elisabeth Bergner (1897–1986).

Stein In einer atemlosen Abfolge von Produktionen bescherte der strenge Regiemeister Peter Stein seinem Schauspieler aus Altaussee ein vielgestaltiges Hauptwerk: Ernte einer Reifezeit. Brandauers Triumph war die Titelrolle in Friedrich Schillers Wallenstein-Trilogie. Zu bewundern gab es den schlanken Zehnstünder anno 2007, in einem Fabrikgebäude im Berliner Stadtteil Neukölln. Seine Besichtigungstour durch den Gipfeltext der Hochklassik organisierte Stein als doppelten Feldzug. Zum einen galt dieser dem Feldherrn des Dreißigjährigen Krieges: ein Zauderer, der sich durch das mörderische Ringen zu lavieren hofft. Zum anderen war Peter Steins Unternehmen ein Meisterstück generalstabsmäßiger Planung. Theater mit quietschenden Stiefeln, am Reißbrett entworfen. KMB bildete das gut durchblutete Herz des Marathons. Bis sich KMB mit Stein während der Lear-Proben endgültig zerkrachte, rasten die beiden einträchtig durch die Weltliteratur. Brandauer brillierte unter Steins Anleitung als blinder Ödipus. Er mampfte Bananen als Krapp (Das letzte Band) und fiel als Dorfrichter Adam (Der zerbrochne Krug) aus allen Wolken. Es gehört zu den Makeln von Brandauers Weltkarriere, dass sich für Stein nach dessen Rückzug niemand anderer finden ließ, zu dem dieser Riese der Schauspielkunst Zutrauen fassen konnte.

Zitat Brandauer: "Es ist schwer, gegen sich selbst immun zu bleiben. Ich wünsche mir das und bilde mir ein, es gelegentlich zu sein." (Ronald Pohl, 22.6.2023)