Es herrscht trügerische Stille in der FPÖ. Herbert Kickl hat viele Kritiker, auch in seinen eigenen Reihen, aber die sind verstummt. Nichts eint eine Partei so rasch und nachhaltig wie starke Umfragen und gute Aussichten. Und seit Ende des vergangenen Jahres führt die FPÖ die Wahlumfragen an – mit deutlichem Abstand, ohne Knick. Kickl und seine FPÖ werden die kommende Wahl gewinnen, davon sind nicht nur viele Freiheitliche fest überzeugt. Aber selbst, wenn es so kommen sollte: Was dann?

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) will das Kanzleramt gegen FPÖ-Chef Herbert Kickl verteidigen. Den beiden Spitzenpolitikern wird nicht das beste Verhältnis nachgesagt.
APA/Roland Schlager

1. Was die FPÖ hofft

In der FPÖ werden zwei Szenarien für besonders wahrscheinlich gehalten. Beide gelten als historische Chancen. Entweder die FPÖ gewinnt die Wahl und Kickl wird "Volkskanzler", wie er das nennt. Das wäre zweifelsfrei historisch – egal, wie man zu Kickl steht. Oder die FPÖ gewinnt die Wahl, und Kickl wird als Kanzler von Bundespräsident Alexander Van der Bellen verhindert – und damit zum "Märtyrer in der Opposition", wie es ein Blauer formuliert. Manche in der FPÖ können sich gar nicht entscheiden, welche die bessere Variante wäre.

Eine Zeitlang ging das Gerücht um, die FPÖ denke darüber nach, einen "Managertypen" als blauen Kanzlerkandidaten neben dem freiheitlichen Spitzenkandidaten Kickl aufzustellen. Aus der FPÖ ist aber zu hören: Eine Regierungsbeteiligung der FPÖ gibt es "nur mit Herbert". Niemand in der Partei geht davon aus, dass sich der mächtige FPÖ-Chef zur Seite drängen lässt. "Keiner will das Modell Haider wiederholen", sagt ein freiheitlicher Stratege. Jörg Haider hatte – obwohl er 1999 als Spitzenkandidat der FPÖ in die Wahl gegangen war – danach seine Vertraute Susanne Riess-Passer zur Vizekanzlerin gemacht.

"Wir lassen uns von keiner Partei diktieren, wen wir ins Kanzleramt schicken – schon gar nicht von der ÖVP", sagt ein hochrangiger Freiheitlicher zum STANDARD. Man muss dazusagen: SPÖ, Grüne wie auch Neos schließen die FPÖ als Koalitionspartner aus. Für die Freiheitlichen ist die ÖVP im Grunde die einzige Option für ein künftiges Bündnis. In der Volkspartei wiederum lautet die recht einhellige Meinung: Mit der FPÖ gibt es eine große inhaltliche Schnittmenge, aber mit Kickl ist kein Staat zu machen.

2. Was die ÖVP will

Ist ein Kanzler Kickl also doch de facto kaum denkbar? In der FPÖ wird jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass es nach der kommenden Wahl zu einer Art All-Parteien-Allianz gegen die siegreichen Freiheitlichen kommen könnte: Womöglich werde ein "Notwehr-Bündnis aus ÖVP, SPÖ, Grünen und Neos" gebildet, mutmaßt ein Freiheitlicher, der eine zentrale Funktion in der türkis-blauen Regierung innehatte.

Für die ÖVP wäre die FPÖ in der Theorie trotz allem der attraktivste Koalitionspartner. Nicht ohne Grund hat auf Länderebene inzwischen die dritte schwarz-blaue Regierung zusammengefunden. Gerade der Mitte-rechts-Flügel der Volkspartei trauert bis heute Schwarz-Blau unter Kanzler Sebastian Kurz nach. Aber selbst unter den türkisen Rechtsauslegern findet sich kaum jemand, der eine Koalition mit Kickl für eine gute Idee hält.

3. Wahlkampf-Vorbereitung

Aktuell rücken laufend hochrangige Politikerinnen und Politiker der ÖVP aus, um zumindest für sich selbst auszuschließen, unter einem Kanzler Kickl für ein Ministeramt oder dergleichen zur Verfügung zu stehen: Außenminister Alexander Schallenberg wolle in dem Fall kein Amt bekleiden, auch Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka schließt sein Mitwirken aus, ebenso stellte Verfassungsminister Karoline Edtstadler klar, kein Interesse an einer Regierung mit Kickl zu haben.

In der ÖVP ist derzeit die Sorge groß, dass die Partei in einer Wahlauseinandersetzung zwischen dem linken und dem rechten Rand "untergehen" könnte. Es gehe nun darum, im großen Stil die Mitte zu gewinnen, sagt ein türkiser Stratege. "Wir müssen vernünftiges Handeln möglichst populär verkaufen." Mit Kickl, das sei klar, sei eine inhaltliche Auseinandersetzung kaum möglich. "Kickl müssen wir in erster Linie auf der Ebene seiner Rhetorik und seines Stils bekämpfen."

Kickl selbst will die Zeit bis zur Wahl nutzen, um die Partei auf Macht zu trimmen. Vorbereitungen für den Wahlkampf laufen. Es geht das Gerücht um, eine eigens eingerichtete blaue Kommission bereite derzeit eine Regierungsbeteiligung vor. In Taskforces würden programmatische inhaltliche Fragen ausgearbeitet. Fragt man bei Blauen nach, die es wissen müssten, heißt es, dass wenig davon wahr sei. Das Einzige, worauf man sich "laufend vorbereite", sei auf einen Wahlkampf, sagt Generalsekretär Michael Schnedlitz zum STANDARD.

Immer wieder fällt im Zusammenhang mit einer blauen Regierungsbildung der Name Arnold Schiefer. Der scheidende ÖBB-Finanzvorstand war Kabinettsmitarbeiter mehrere FPÖ-Minister, er fungierte 2017 als Verhandler im Rahmen der türkis-blauen Koalitionsgespräche und saß auch bei den Verhandlungen zwischen ÖVP und FPÖ in Niederösterreich mit am Tisch. Schiefer soll bereits zehn bis 15 Personen in der FPÖ kontaktiert haben, mit dem Ziel, gemeinsam eine Regierungsbeteiligung vorzubereiten - das lässt den STANDARD jemand aus der FPÖ wissen, der selbst von Schiefer angefragt worden war. Zu einem Treffen sei es allerdings noch nicht gekommen, der Prozess würde erst ganz am Anfang stehen. Das Profil berichtete zuletzt, dass auch FPÖ-Klubdirektor Norbert Nemeth und der Wiener Nationalratsabgeordnete Harald Stefan mithelfen würden, die Weichen Richtung Kanzleramt zu stellen. Auch Nemeth war als Verhandler in Niederösterreich tätig.

4. EU-Wahl

Noch vor der Nationalratswahl, die im Herbst 2024 stattfinden soll, wird im Juni die EU-Wahl abgehalten. In der ÖVP werden derzeit viele Gespräche geführt, wie – und vor allem: mit wem – sich die Partei für die Wahl aufstellen soll. Der derzeitige ÖVP-Spitzenmann in Straßburg heißt Othmar Karas. Der soll jedoch damit liebäugeln, mit einer eigenen Liste oder gar für die Neos anzutreten. Es sei bereits Edtstadler gefragt worden, ob sie als EU-Spitzenkandidatin zur Verfügung stehe – die wolle aber nicht, heißt es. Edtstadler hofft, danach als EU-Kommissarin nach Brüssel entsandt zu werden.

In der FPÖ tut man sich im Hinblick auf die EU-Wahl einfacher. Harald Vilimsky, der freiheitliche Delegationsleiter, will es ein drittes Mal wissen und stünde noch einmal als Spitzenkandidat zur Verfügung, wie er dem STANDARD bestätigt. Nicht nur er, auch seine beiden Mitstreiter Georg Mayer und Roman Haider wollen nochmals antreten.

Kickl dürfte sich nicht querlegen. Zwar sollen Vilimsky und Kickl kein gutes Verhältnis pflegen, EU-Jobs gelten in der FPÖ jedoch ohnehin als mäßig attraktiv. (Katharina Mittelstaedt, Sandra Schieder, 25.6.2023)