Vor etwas mehr als zwei Jahren hat es begonnen: Am 12. Mai 2021 wurde publik, dass die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) Ermittlungen gegen Sebastian Kurz eingeleitet hat. Jetzt hat sie einen rund hundertseitigen Strafantrag in der Sache eingebracht, der frühere Bundeskanzler und ÖVP-Obmann wird sich also vor Gericht verantworten müssen. Ihm drohen bis zu drei Jahre Haft. Auch sein früherer Kabinettschef Bernhard Bonelli und seine einstige Stellvertreterin als ÖVP-Chefin, die frühere Casinos-Managerin Bettina Glatz-Kremsner, werden wegen des Vorwurfs der Falschaussage angeklagt. Bonelli soll auch im U-Ausschuss, Glatz-Kremsner zudem auch bei einer Einvernahme als Zeugin falsch ausgesagt haben.

Video: Sebastian Kurz wegen Falschaussage angeklagt.
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Offiziell bestätigt wurde das kurz vor Freitagmittag durch eine Presseaussendung der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA). Kurz selbst hatte am Freitag via X, vormals Twitter, mitgeteilt, von Journalisten über einen bevorstehenden Strafantrag informiert worden zu sein. Er betonte, die Vorwürfe seien falsch, er und sein Team freuten sich, "wenn nun endlich die Wahrheit ans Licht kommt und sich die Anschuldigungen auch vor Gericht als haltlos herausstellen".

Der 18., 20. und 23. Oktober wurden vom Straflandesgericht Wien vorerst als Termine für die Hauptverhandlung festgelegt. Der zuständige Richter hat in den vergangenen Tagen den Strafantrag geprüft, der umfangreiche Akt umfasst laut Gericht "mehrere Kisten". Die Liste der geladenen Zeuginnen und Zeugen ist prominent: Aussagen sollen vor Gericht unter anderem der frühere Öbag-Chef Thomas Schmid, der Kronzeuge werden will; außerdem die Ex-Finanzminister Hartwig Löger und Gernot Blümel (beide ÖVP), der frühere FPÖ-Chef und Vizekanzler Heinz-Christian Strache sowie der Manager Siegfried Wolf.

Die WKStA wirft Kurz vor, falsch ausgesagt zu haben – und zwar am 24. Juni 2020, als er als Auskunftsperson im parlamentarischen Ibiza-U-Ausschuss befragt wurde. Die Abgeordneten wollten damals unter vielem anderen wissen, ob und gegebenenfalls wie sich der damalige Kanzler in die Bestellung von Thomas Schmid zum Chef der Staatsholding Öbag eingebracht habe.

Der Fall Öbag

Der damalige Generalsekretär im Finanzministerium soll das intern recht offen und offensiv als seinen Traumjobwunsch deponiert haben, und er soll ja auch am entsprechenden Gesetz für die neue Staatsholding mitgearbeitet haben – und am Ausschreibungsverfahren sowie an der Auswahl der Aufsichtsratsmitglieder. Deren Aufgabe ist ja die Vorstandsbestellung.

Sebastian Kurz
Der ehemalige Kanzler Sebastian Kurz muss sich demnächst vor Gericht verantworten.
STANDARD/Cremer

Ein republiksrelevanter und hochpolitischer Vorgang, der viel Kritik ausgelöst hat und ausführlich in den beiden jüngsten U-Ausschüssen behandelt wurde – und über den Sebastian Kurz das Parlament nicht wahrheitsgemäß und vollständig informiert haben soll.

So sah die WKStA Widersprüchlichkeiten zwischen Kurz' Aussagen und Chatnachrichten von und an Thomas Schmid. Die Ermittler werfen Kurz Falschaussagen zu drei Sachverhalten vor:

"Wort im Mund umgedreht"

Kurz bestreitet die Vorwürfe. Man habe ihm im U-Ausschuss "das Wort im Mund umgedreht" und Suggestivfragen gestellt, sagte er nach Bekanntwerden der Ermittlungen. Auch vor einem Haft- und Rechtsschutzrichter, der ihn im Ermittlungsverfahren befragte, blieb Kurz dabei, nicht falsch ausgesagt zu haben.

Zuletzt ist der Ex-Kanzler in der Sache im November 2022 von Staatsanwälten der WKStA einvernommen worden, danach haben sie ihre Ermittlungen abgeschlossen. Warum es so lange gedauert hat, bis der Strafantrag gestellt wurde: Entscheidungen über die Erledigung von Ermittlungsverfahren (Anklage oder Einstellung oder weitere Ermittlungen) gegen Personen öffentlichen Interesses müssen bis zum Weisungsrat gehen. Über den Vorhabensbericht der WKStA in der Causa Kurz mussten daher zunächst die Oberstaatsanwaltschaft (OStA) Wien, dann die Fachexperten im Justizministerium und schließlich der Weisungsrat entscheiden. Der hatte bezüglich des Vorhabens zu Kurz keine Einwände, aber Anregungen rund um andere Ermittlungen in diesem Kontext. Daher verzögerte sich der Strafantrag weiter.

Als Nächstes war das Straflandesgericht Wien am Zug. In anderer Sache wird gegen Kurz freilich weiterermittelt: Ihm wird in der Causa Inserate ja auch vorgeworfen, an mutmaßlichen Deals mit den Tageszeitungen "Krone", "Heute" und "Österreich" mitgewirkt zu haben. Kurz bestreitet auch diese Vorwürfe, und in beiden Causen gilt für ihn die Unschuldsvermutung.

Bei Bettina Glatz-Kremsner geht es wiederum um die Vorgänge rund um die Neubestellung des Vorstands der Casinos Austria (AG); sie wurde im März 2019 dort zur Vorstandsvorsitzenden. Über Prozesse im Hintergrund hat sie laut WKStA sowohl den U-Ausschuss als auch Ermittler falsch informiert, und zwar als sie noch als Zeugin einvernommen worden war. "Die Entscheidung der WKStA den nunmehr vorliegenden Strafantrag zu erheben, ist zur Kenntnis zu nehmen. Meine Mandantin ist jedoch sehr zuversichtlich, dass sie ihren Standpunkt gegenüber dem Gericht umfassend darlegen wird können, und geht von einem positiven Verfahrensausgang aus", sagt Glatz-Kremsners Verteidiger Lukas Kollmann dazu. (Renate Graber, Fabian Schmid, 18.8.2023)