Als Paradebeispiel für Valie Exports spannende Konzeptfotografie gilt die Serie der
Als Paradebeispiel für Valie Exports spannende Konzeptfotografie gilt die Serie der "Körperkonfigurationen".
VALIE EXPORT, Bildrecht, Wien 2023 / Hermann Hendrich

Achtung, Achtung! Hier wird Aktionshose getragen. Kein treffenderes Werk hätte wohl die große Retrospektive von Valie Export in der Albertina eröffnen können – fächert die Fotografie Aktionshose: Genitalpanik von 1969 doch multiple Facetten der Performance- und Medienkünstlerin auf und konfrontiert zugleich mit Wucht.

Fährt das Publikum also mit der Rolltreppe in das Untergeschoß des Museums, rollt es der Künstlerin förmlich entgegen: Diese trägt Lederjacke und hält ein Maschinengewehr. Ihre Haare sind zur wilden Mähne auftoupiert, ihre Beine gespreizt und die Aussparung in der Hose legt ihren nackten Schambereich frei. Der herausfordernde Blick scheint zu sagen: "Na, schau ruhig!"

Export nahm männlich konnotierte Posen ein – heute würde man die raumeinnehmende Sitzhaltung als "Manspreading" bezeichnen –, ergänzte sie mit tougher Ausstattung und stellte so weibliche Stereotype infrage. Was darf, soll, kann eine Frau sein?

Valie Export
Für Ihre "Aktionshose: Genitalpanik" nahm Export männlich konnotierte Posen ein, ergänzte sie mit tougher Ausstattung und stellte so weibliche Stereotype infrage.
Peter Hassmann, Bildrecht, Wien 2023

Schmerz mit Kanarienvogel

Ursprünglich fand diese provokante Aktion im geschlossenen Raum eines Münchner Kinosaals statt. Später wurde sie von der Künstlerin durch vervielfältigte Aufnahmen als Poster an öffentlichen Plätzen verteilt.

Immer wieder fügt Export der offensichtlich feministischen und aktionistischen Ebene eine derartig medienreflexive Geste hinzu, indem sie Performance und Fotografie (oder Kino) strukturell miteinander verschränkt. Ein wichtiger Aspekt, dem sich die von Walter Moser kuratierte Ausstellung unter anderem widmet.

Wegen des mehr als fünfzig Jahre umfassenden Œuvres der 1940 in Linz geborenen Künstlerin musste die Retrospektive auf eine bestimmte Zeitspanne eingeschränkt werden. Immer noch arbeitet die 83-Jährige ja, erst im Frühjahr zeigte das Kunsthaus Bregenz eine neue Installation. In der Albertina stehen nun die fotografischen Arbeiten von 1966 bis 1998 im Fokus.

Insgesamt sind in der Albertina 163 Arbeiten zu sehen: Etwa ein Drittel stammt aus den eigenen Sammlungen, der Rest aus dem Studio Valie Export, das von der Galerie Ropac verwaltet wird. Es handelt sich um die erste Soloausstellung der Künstlerin in der Albertina.

Kein Sexualobjekt, sondern feministisches Statement: Der weibliche Körper steht bei Valie Export als Bedeutungsträger im Mittelpunkt. Für ihre radikale Aktion
Kein Sexualobjekt, sondern feministisches Statement: Der weibliche Körper steht bei Valie Export als Bedeutungsträger im Mittelpunkt. Für ihre radikale Aktion "Body Sign Action" ließ sie sich 1970 einen Strumpfbandhalter tätowieren.
Gertraud Wolfschwenger, Bildrecht, Wien 2023

Pfeiler einer Pionierin

Darin steht der weibliche Körper im Zentrum, den Valie Export in vielen ihrer Werke als Leinwand, Repräsentationsfläche und künstlerisches Mittel nutzte. Sie schrieb ihn in den öffentlichen Raum ein, lieferte ihn fremdem Publikum aus und fügte ihm bewusst Schmerzen zu.

In ihrem Film Remote Remote reißt sich Export mit einem Messer die Nagelhaut auf und taucht ihre blutigen Finger anschließend in ein Milchbad. Bei der Performance Asemie – die Unfähigkeit sich durch Mienenspiel ausdrücken zu können überzog Export 1973 zuerst einen Kanarienvogel mit heißem Wachs und anschließend ihre eigenen Hände und Füße. Mit einem Messer im Mund konnte sie sich aus dem festgewordenen Material befreien. Weil aber der Ausgang für den kleinen Piepmatz nicht gänzlich geklärt werden konnte, gab es damals seitens Tierschützern scharfe Kritik. Wer liegt der Gesellschaft mehr am Herzen?

Heute ist es kaum mehr vorstellbar, wie sehr Export mit ihren bahnbrechenden Aktionen schockierte und als junge Künstlerin gegen die geltenden Konventionen kämpfen musste. Sie wurde belächelt, beschimpft, bedroht.

Als Zeitgenossin des Männerklubs der Wiener Aktionisten machte sie ihr eigenes Ding und schlug als Pionierin ihre Pfeiler ein. Mit 27 Jahren gab sie sich den Künstlernamen Valie Export, den sie sogar rechtlich schützen ließ, und kreierte eine Marke. Heute zählt sie zu den wichtigsten Personen der österreichischen Kunstgeschichte.

Valie Export
Bei der Performance "Asemie – die Unfähigkeit sich durch Mienenspiel ausdrücken zu können" überzog Export 1973 zuerst einen Kanarienvogel mit heißem Wachs und anschließend ihre eigenen Hände und Füße. Mit einem Messer im Mund konnte sie sich aus dem festgewordenen Material befreien.
VALIE EXPORT, Bildrecht, Wien 2023 / Alfred Damm

Bisher Unbekanntes

Gerade deshalb und auch aufgrund ihrer international präsenten Videos und Fotografien, die zu feministischen Ikonen avanciert sind, scheint man ihr Werk gut zu kennen. Was soll es denn noch Neues aus den 70er-Jahren geben?

Wie die Schau beweist: noch so einiges. Denn zum einen konnte Kurator Moser noch nie ausgestellte Serien sowie Collagen zusammentragen, auf denen Export beispielsweise Frauenfiguren wie Maria oder Venus in klassischen Gemälden reinszenierte und visuell überlieferte Geschlechterrollen offenlegte.

Zum anderen wird ein Konzept aus dem Jahr 1970, das bisher nur als Idee existierte, erstmals realisiert. Der Fotoraum stellt eine installative Illusion dar, die durch Fotografien vom Außenraum – in diesem Fall der Albertina – erzeugt wird. Draußen wird nach innen gestülpt, die Wände niedergerissen.

Tapp und Tastkino / Valie Export
Das 1968 in Wien und München aufgeführte "Tapp und Tastkino" zählt zu Valie Exports bekanntesten Aktionen.
VALIE EXPORT, Bildrecht, Wien / Werner Schulz

Kamera und Konzept

Und keine Sorge, die bekannten und publikumswirksamen Aktionen wie das Tapp und Tastkino oder Aus der Mappe der Hundigkeit sowie Rauminstallationen und Videos fehlen natürlich nicht. Als großformatige Originalabzüge locken sie in die strategisch ausgeklügelte und ästhetisch gelungene Ausstellung mit Stellwänden in rauer Beton-Optik.

Stück für Stück kristallisiert sich darin Exports wandelnder Einsatz der Fotografie heraus: So dokumentierte sie nicht nur ihre ephemeren Performances mit der Kamera, sondern inszenierte bewusst für das Foto. Zugrunde lag stets ein Konzept, das immer deutlicher wird.

Als Paradebeispiel für ihre spannende Konzeptfotografie gilt die Serie der Körperkonfigurationen, bei der Export ihren Körper an Architekturen der Macht im Wiener Stadtraum wie dem Parlament oder dem Heldenplatz anfügte und somit fixer Teil dessen wurde. (Katharina Rustler, 23.6.2023)