Wer seinen Gartenzaun streichen muss, braucht dafür ein ganzes langes Wochenende und muss eine Runde aussetzen. Sind die Kinder ausgezogen, und man sitzt allein im riesigen Haus: Ein Spielstein wandert zurück ins Starthaus! Und wer zentral wohnt und seine täglichen Wege mit den Öffis erreichen kann: Glückwunsch! Der darf gleich noch einmal würfeln.

Zersiedelung Österreich
Österreich ist zersiedelt, das hat auch mit unserem Mobilitätsverhalten zutun. Doch die Zusammenhänge sind vielen nicht klar.
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Wäre die Art, wie wir wohnen, ein Spiel, würde es wohl so ablaufen wie es bei Kein schöner Land zugeht. Das Brettspiel, das von der Pädagogin und Architektin Christine Aldrian-Schneebacher konzipiert und vom Architektur-Spiel-Raum Kärnten gemeinsam mit dem Architektur Haus Kärnten herausgegeben wurde, erklärt Baukultur auf spielerische Weise, also wie sich die Gebäude und der Freiraum um uns herum auf unser aller Lebensqualität auswirken.

Denn entgegen dem, was viele sich vorstellen, meint Baukultur nicht nur Architektur, sondern auch Mobilität, Klimaschutz und unser tägliches Verhalten, sagt Aldrian-Scheebacher. Das Spiel zeigt eindrücklich, dass Zersiedelung, verbaute Landschaften und Bodenversiegelung die Folge schlechter Baukultur sind. Und das hat auch mit jeder und jedem zu tun, der in einem Haus oder in einer Wohnung lebt, heißt es in der Einleitung zum Spiel.

Alltagstaugliche Sprache

Bereits seit einigen Jahren zeigt Kärnten sich als Vorzeigebundesland, was Bewusstseinsschaffung für Baukultur anbelangt. 2020 hat es als erstes Bundesland baukulturelle Leitlinien auf Landesebene umgesetzt. Das steigende Bewusstsein sei einzelnen engagierten Personen und Institutionen zu verdanken, die an einem Strang zögen, sagt Aldrian-Schneebacher und weiß aber auch, wo es bislang noch hakt. Im Architekturbereich fehle oft die Fähigkeit, das Thema Baukultur in alltagstauglicher Sprache zu vermitteln: "Aus der Arbeit mit Kindern weiß ich, dass man so etwas herunterbrechen muss und nicht nur Fachsprache verwenden kann." Spreche man etwa von einem Grundriss, müsse man erklären: "Das ist wie, wenn man von oben draufschaut oder wenn ein Vogel drüberfliegt."

Brettspiel Kein Schöner Land Baukultur
Ziel des Spiels ist, dass alle Spielerinnen und Spieler ins Zentrum gelangen um dort den Ortskern zu retten.
Helga Rader

Und so hätten selbst viele Erwachsene nie einen selbstbestimmten und souveränen Umgang mit Themen wie Miete, Eigenheimbau, Energie und Mobilität gelernt oder gar begriffen, wie all das zusammenhängt – obwohl viele Menschen den Großteil ihres Einkommens für Wohnen ausgeben. Die meisten würden beim Hausbau schlichtweg nie daran denken, dass sie irgendwann alt sein werden und den Garten nicht mehr pflegen und nicht mehr mit dem Auto überall hinfahren können. Gerade das Häuschen im Grünen, der große Traum vieler Österreicherinnen und Österreicher, habe viele einschneidende Folgen, vor allem auch für Frauen, sagt Aldrian-Schneebacher: "Sie müssen oft lebenslang Mamataxi spielen, und die meisten Familien brauchen dann zwei oder sogar drei Autos."

Das Spiel vermittelt, wie diese Lebensentscheidungen, die Art, wie wir wohnen, mit unserer Umwelt zutun haben, sagt Aldrian-Schneebacher. Es ist gemacht für Kinder ab zehn Jahren, Jugendliche und Erwachsene.

Gemeinsam mit dem Brettspiel sind zudem ein Wohnformenquartett und ein Aktivitätenbuch erschienen. Letzteres erklärt die Bedeutung von Siedlungsformen und des Ortsbildes oder wie Straßenräume aufgebaut sind. Dazu gibt es Aufgaben, etwa sich zu überlegen, was im eigenen Wohnort beim Bauen gut und was schlecht gelungen ist, wie der eigene Arbeits- oder Schulweg aussieht, oder ein Quiz, mit dem sich herausfinden lässt, für welche Wohnform man selbst am ehesten gemacht ist. Die Materialien werden bei Workshops in Schulen eingesetzt und an Lehrerinnen und Lehrer verteilt, um junge Menschen schon früh für das Thema Baukultur zu sensibilisieren.

Spiel Kein schöner Land
Gemeinsam mit dem Brettspiel ist ein Aktivitätsbuch und ein Wohnformen-Quartett erschienen.
Helga Rader

Für alle, bei denen es dafür schon zu spät ist, die aber dennoch wesentliche baukulturelle Entscheidungen treffen müssen, gibt es in Kärnten, wie der STANDARD bereits berichtet hat, Baukulturlehrgänge für Bürgermeisterinnen und Verwaltungsmitarbeiter. Auch dort wird Kein schöner Land immer wieder präsentiert. Mit Erfolg, sagt Aldrian-Schneebacher: Unlängst habe ein Amtsleiter 50 Aktivitätsbücher und einige Brettspiele bestellt und ihr erzählt, er wolle einen Spieleabend mit den Gemeinderäten veranstalten, um das Thema Baukultur den Verantwortlichen seiner Gemeinde näherzubringen.

Den Ortskern retten

Ziel des Spiels ist übrigens, dass alle Spielerinnen und Spieler sich im Ortskern treffen, damit dieser nicht ausstirbt. Während des Spiels müssen Wissensfragen aus den Bereichen Baukultur, Nachhaltigkeit, Mobilität, Boden- und Raumplanung sowie Wohnformen beantwortet werden. Dabei kommt auch der Humor nicht zu kurz. So lautet eine Frage etwa: "Wie heißt die oberste Linie eines Satteldaches? First, Second, Third oder Fourth?"

Was ein wenig an die Fragen bei der Millionenshow erinnert, hat einen wesentlichen Bildungsauftrag, und auch den nimmt das Spiel ernst. So wird auf den Ereigniskarten etwa erklärt, welche Auswirkungen eine bestimmte Lebensform auf einen selbst und das Umfeld hat. Als Beispiel: Die Apotheke wird vom Ortskern in das neu errichtete Fachmarktzentrum am Ortsrand übersiedelt, heißt es auf einer Karte. Als Konsequenz müssen alle Spielerinnen und Spieler einen Spielstein ins Ortshaus zurücksetzen. Denn, so die Erklärung auf der Karte: "Durch Fehlentscheidungen des Gemeinderats gelingt es nicht, ein attraktives Dorfleben zu gewährleisten. Nachteil für alle!" (Bernadette Redl, 24.6.2023)