Wie kann der ORF unabhängig organisiert werden? Diskussion über ORF-Gremien im Presseclub Concordia.
Wie kann der ORF unabhängig organisiert werden? Diskussion über ORF-Gremien im Presseclub Concordia.
Foto: APA, Schlager

Wie kann man den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und seine Gremien tatsächlich unabhängig organisieren? Den "Idealzustand" solcher Unabhängigkeit – für den ORF per Verfassungsgesetz vorgegeben – suchte der Presseclub Concordia am Freitag mit Expertinnen und Experten. Die Vorgabe der Weisungsfreiheit für Stiftungsräte werde jedenfalls "nicht sehr genau eingehalten", berichtete Anwalt Wilfried Embacher aus seinen sieben Jahren im obersten ORF-Gremium.

Warum braucht es Strukturen, die Unabhängigkeit absichern? Thomas Maurer, Kabarettist und Autor, erklärte das bei der Veranstaltung als "Stimme der Allgemeinheit": Es brauche eine "starke Struktur, die nicht einfach zu knacken ist", auch wenn Österreich auf eine "autoritäre Phase" zusteuere. Die derzeit in Umfragen führende FPÖ habe "die Schwächung des ORF praktisch zum Parteiprogramm gemacht", sagte Maurer. Ihr gehe es viel grundsätzlicher "darum, die Institution einer überprüfbaren Faktenlage generell infrage zu stellen".

Höchstgericht prüft

Der Verfassungsgerichtshof lässt sich noch Zeit mit der Klärung, ob die ORF-Gremien verfassungskonform ausreichend unabhängig besetzt werden. Erwartet wird sie nun frühestens nach dem Sommer. Das Land Burgenland hat einen Prüfantrag an das Höchstgericht gerichtet, ob es auf die Besetzung von Stiftungsrat und Publikumsrat zu viel Politikeinfluss gibt.

Derzeit bestimmen Bundesregierung und Bundesländer je neun Mandate im Stiftungsrat, Parteien sechs, der ORF-Betriebsrat fünf und der ORF-Publikumsrat sechs. Die Mehrheit im Publikumsrat bestimmen Bundeskanzler oder Medienministerin.

Menschenrechtsanwalt Embacher war von 2010 bis 2017 von den Grünen entsandtes Mitglied des Stiftungsrats. Er bedauerte, dass mit der anstehenden Gesetzesnovelle zwar die ORF-Finanzierung über einen Beitrag für alle neu geregelt werde, nicht aber die Frage der Unabhängigkeit etwa von Gremien. Die ÖVP hat derzeit die entscheidende Mehrheit im ORF-Stiftungsrat. Embacher: "Es wird also dem Verfassungsgerichtshof obliegen, hier Bewegung in die Sache zu bringen." Das Höchstgericht hat schon die GIS-Finanzierung wegen Ausnahmen für Streaming als verfassungswidrig aufgehoben – das war der Anstoß an die Medienpolitik für die aktuelle Novelle.

Klarere Regeln gefordert

Für Interessenkonflikte von Mitgliedern des Stiftungsrats etwa brauche es klarere Regelungen, "wenn wir von mehr Unabhängigkeit sprechen", sagte Embacher. Sinnvoll wäre auch eine angemessene Abgeltung der Tätigkeit von Stiftungsräten – in seiner Zeit im Stiftungsrat waren das 50 Euro pro Monat beziehungsweise Sitzung. Embacher beobachtete: "Es war immer wieder ersichtlich, dass das Problem auf Umwegen gelöst wurde, die zu Interessenkonflikten führen."

Rundfunkgremien seien "sehr, sehr viel Arbeit", sagte Politikwissenschafter Christoph Bieber (Uni Duisburg), selbst früher Mitglied des WDR-Rundfunkrats. Dort erhielten Mitglieder zur Abgeltung 1.000 Euro pro Monat sowie 200 Euro Sitzungsgeld. 

Embacher hinterfragt zudem die Möglichkeit neu zusammengesetzter Bundes- oder Landesregierungen, sofort die vom Gremium entsandten Mitglieder des Stiftungsrats auszutauschen. Laut Gesetz sind Stiftungsräte ähnlich Aufsichtsräten dem Unternehmen ORF und seinen Interessen verpflichtet und in ihrer Tätigkeit unabhängig von den Entsendern. Der Austausch sei also "sachlich nicht zu begründen".

"Wie der Auftrag gelebt wird, ist sehr abhängig von den Personen und ihrem Verständnis von Unabhängigkeit", referierte Embacher aus seinen Erfahrungen im ORF und im Stiftungsrat.

"Unabhängigkeit sollte so strukturell garantiert werden, dass die gelebte Unabhängigkeit nicht auf Heldentum angelegt ist", erklärte der Richter und Autor Oliver Scheiber bei der Veranstaltung. Er referierte die Organisation von Unabhängigkeit der Justiz und suchte Parallelen für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. "Die Struktur muss so angelegt sein, dass sie unabhängiges Arbeiten erlaubt, ohne Heldenmut zu verlangen."

Scheiber verwies auf Unabsetzbarkeit und Unversetzbarkeit von Richtern, von Richtern bestimmte Personalsenate für Besetzungen, auf lange Amtszeiten, die zur Unabhängigkeit beitragen könnten. Wesentliche Bedingung von Unabhängigkeit sei aber auch die finanzielle Basis, verwies Scheiber auf das "Aushungern" der Justiz in den 2010er-Jahren.

Auswahl von Mitgliedern

Walter Strobl, Leiter des Concordia-Rechtsdiensts, stellte bei der Veranstaltung mögliche Maßnahmen für höhere Unabhängigkeit zur Diskussion – etwa die Auswahl von Mitgliedern durch Losentscheid aus Vorschlägen von Organisationen. Derzeit sucht die Medienministerin alleine aus Vorschlägen gesellschaftlicher Organisationen Publikumsräte aus und bestimmt damit dort die Mehrheit.

Die Concordia hat gegen den Auswahlmodus des Publikumsrats eine Beschwerde erhoben, die Medienbehörde fühlte sich nicht zuständig, derzeit liegt sie beim Bundesverwaltungsgericht.

Die Concordia bereitet zudem ein Papier mit Vorschlägen zur Absicherung der Unabhängigkeit vor, kündigte Generalsekretärin Daniela Kraus bei der Veranstaltung an. (fid 23.6.2023)

Die Konferenz zum Nachsehen

Die Unabhängigkeit des ORF - Konferenz des Rechtsdienst Journalismus
Der Verfassungsgerichtshof prüft derzeit die strukturelle Unabhängigkeit von Publikums- und Stiftungsrat des ORF – eine Weichenstellung für die demokratische Infrastruktur und die Rahmenbedingungen hunderter Journalist:innen. Es ist also auch höchste Zeit für
Presseclub Concordia