"Es ist sinnvoll, sich auch mit Ungleichheit auseinanderzusetzen. Da hat Marx als Denker einen Beitrag geleistet." Philip Kucher
Foto: Regine Hendrich

Übermäßig bekannt war Philip Kucher bisher nicht. Zumindest nicht außerhalb seiner Partei – und außerhalb des Parlamentsgebäudes, wo der als leutselig bekannte Kärntner auch gute Kontakte zu den anderen Fraktionen pflegt. Seit vergangener Woche hat er aber plötzlich viele Medientermine. Denn da machte der neue SPÖ-Chef Andreas Babler den roten Gesundheitssprecher zum neuen Klubobmann. Zumindest zum geschäftsführenden. Denn formal gibt Babler selbst den Klubchef.

STANDARD: Herr Kucher, sind Sie eigentlich neidisch auf Ihren Parteichef?

Kucher: Ich habe viel Respekt vor ihm. Er bringt extreme Stärken mit, viel Feuer und Leidenschaft. Das sind auch ganz neue Qualitäten in der Politik. Neid und Eifersucht sind nicht die Kategorien, in denen ich denke.

STANDARD: Ich frage, weil Sie sich mit ihm den Titel "SPÖ-Klubchef" teilen müssen. Was für ihn nur ein Prestigetitel ohne Kompetenzen ist, während Sie im Nationalrat die ganze Arbeit haben.

Kucher: Ich sehe das anders. Weil ich glücklich darüber bin, dass wir ein so starkes Team formiert haben und so breit aufgestellt sind.

STANDARD: Als Klubobmann müssen Sie für Geschlossenheit in den eigenen Reihen sorgen. Was werden Sie den roten Abgeordneten sagen, wenn wieder einmal eine Rede des ukrainischen Präsidenten im Parlament ansteht?

Kucher: Ich glaube, wir werden das in Zukunft vorher besprechen und uns damit hintennach jede Menge Diskussionen ersparen.

STANDARD: Fanden Sie das Bild, das der schütter besetzte SPÖ-Klub damals abgegeben hat, selbst auch so peinlich wie praktisch alle politischen Beobachter?

Kucher: Ja, weil der unglückliche Eindruck entstanden ist, dass wir nicht vollste Solidarität mit den Opfern in der Ukraine hätten. Wir haben das dann sehr intensiv nachbesprochen. Es war ein Fehler, der in dieser Form nicht mehr vorkommen wird.

STANDARD: Was ist Ihre Position zu Russlands Krieg gegen die Ukraine?

Kucher: Ich sehe stark die menschliche Perspektive. Wenn du blutüberströmte ältere Damen siehst, die ihre Häuser verlieren – für die Bevölkerung gilt: Es ist ein sinnloser Krieg auf beiden Seiten. Die Aggression ist klar von Putin ausgegangen. Jetzt sterben tausende Menschen für ein unsinniges Blutvergießen.

STANDARD: Warum betonen manche in Ihrem Klub so gerne, dass Sie zwischen der Bevölkerung und der Regierung der Ukraine unterscheiden? Die ukrainische Regierung verteidigt ja die Bevölkerung, die von Putin angegriffen wird.

Kucher: Ich habe diese Unterscheidung so nie getroffen. Aber uns alle eint: Wir wollen, dass dieser brutale Angriffskrieg so schnell wie möglich endet. In ganz Österreich wird debattiert, wie man diesen Konflikt lösen kann. Und dafür gibt es verschiedene Wege. Diese Debatten werden auch in Parteien geführt. Aber für mich ist klar, aufseiten der Ukraine, vor allem aufseiten der Opfer zu stehen.

STANDARD: Soll sich Österreich an der Entminung in der Ukraine beteiligen?

Kucher: Österreich muss alles tun, was wir aus humanitärer Sicht beitragen können. Soldaten in ein Kriegsgebiet zu entsenden ist aber mit der Neutralität nicht vereinbar.

STANDARD: Es geht aber nicht um militärische, sondern um humanitäre Entminung. Die wäre laut Fachleuten mit der Neutralität vereinbar.

Kucher: Es bleibt dennoch ein Kriegsgebiet. Und Österreich hat viele Möglichkeiten, abseits vom Heer einen Beitrag zu leisten.

STANDARD: Was halten Sie von Karl Marx?

Kucher: Er war Teil meiner Maturafrage. Später Inhalt einer Prüfung in Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Uni. Ich glaube, es ist sinnvoll, sich auch mit der Geschichte der Arbeiterbewegung und gesellschaftlicher Ungleichheit auseinanderzusetzen. Da hat er als Denker einen Beitrag geleistet.

STANDARD: Sie sind also nicht so ein Marx-Fan wie Ihr Parteichef?

Kucher: Ich weiß nicht, ob er ein Fan ist. Jedenfalls hat er sich sehr intensiv mit Marx beschäftigt. Und sich mit kritischen Geistern auseinanderzusetzen ist ja nicht das Schlechteste für einen Politiker.

STANDARD: Babler hatte zumindest noch 2020 eine Marx- und auch eine Lenin-Büste in seinem Bücherregal zu Hause. Sie offensichtlich nicht?

Kucher: Nein. Und auch mein Büro ist noch sehr leer. Haufenweise Akten, Unterlagen und ein paar Bücher, die ich schon übersiedelt habe. Sonst alles noch sehr spartanisch.

STANDARD: Also auch keine Hayek-Büste.

Kucher: Das kann ich ausschließen.

STANDARD: Sie wollen eine "Erbschaftsteuer für Millionenerbschaften" mit einer Freigrenze von einer Million Euro, darüber 25 Prozent, ab zehn Millionen 35 Prozent. Damit wird die Mittelschicht zwar nicht getroffen, um Arbeitseinkommen ernsthaft zu entlasten, werden die Einnahmen aber auch nicht reichen.

Kucher: Vermögensteuern sind eine Koalitionsbedingung. Denn in den nächsten 30 Jahren werden in Österreich 700 Milliarden Euro vererbt. Es sind nur wenige Erbschaften, bei denen hunderte Millionen oder gar Milliarden zusammenkommen. Für mich ist es einfach eine Frage des sozialen Zusammenhalts, diejenigen, die durch ihre Arbeit zu unserem Wohlstand beitragen, zu entlasten. Wer leistungslos etwas erbt, soll einen Beitrag leisten.

STANDARD: Agnes erbt ein Haus, das eine Million wert ist. Dafür zahlt sie laut SPÖ-Modell nichts. Gerti erbt eines um 1,4 Millionen. Dafür zahlt sie 100.000 Euro Erbschaftsteuer. Hat Gerti ein Durchschnittseinkommen und keine 100.000 Euro auf der Kante, wird sie ihr Elternhaus vielleicht verkaufen müssen – während Agnes in ihrem gratis wohnen kann. Ist das gerecht?

Kucher: Wir haben mit der Grunderwerbsteuer ja längst eine Erbschaftsteuer für alle Häuslbauer. Und wer ein Haus um eine Million erbt, muss dafür schon heute über 25.000 Grunderwerbsteuer zahlen.

STANDARD: Laut SPÖ-Vorschlag nicht mehr. Gut für Agnes, die dann statt 25.000 Euro nichts zahlt. Schlecht für Gerti, die statt 40.000 Euro 100.000 zahlt.

Kucher: Die Gerti hat aber ein Vermögen von deutlich über einer Million geerbt und damit geht es ihr wahrscheinlich deutlich besser als dem Peter, der außer Schulden gar nichts hat.

STANDARD: Wären nicht mehr Zwischenstufen sinnvoll, statt von null Abgaben gleich auf ein Viertel Abgaben zu springen?

Kucher: Es ist immer eine Frage der Ausgestaltung. Aber auch für Arbeitseinkommen gibt es nur wenige Stufen bei der Steuerprogression. Irgendwo muss eine Grenze gezogen werden. Und diese eine Million halten die einen schon für sehr hoch. Die anderen werden sagen, warum zahlt man nicht erst ab 100 Millionen? Es ist meistens die persönliche Betroffenheit, die hier den Standpunkt bestimmt.

STANDARD: Sind Sie für das Kiffen oder gegen das Kiffen?

Kucher: Ich bin ja auch Gesundheitssprecher der SPÖ. Und das ist eine Frage, über die ich lange nachgedacht habe. Es gibt Gründe, die für eine Legalisierung sprechen, aber auch Befürchtungen, die dagegensprechen. Wir werden beobachten, wie sich die Legalisierung in Deutschland entwickelt, wo der Prozess auch wissenschaftlich begleitet wird.

STANDARD: Babler tritt für eine Cannabis-Legalisierung ein. Als Gesundheitssprecher haben Sie sich hingegen gegen eine völlige Liberalisierung ausgesprochen. Werden Sie versuchen, Ihrem Chef seine Ideen wieder auszureden?

Kucher: Wir führen die Debatte in Österreich und auch in der SPÖ seit vielen Jahren. Auch ich habe meine persönliche Meinungsbildung dazu noch nicht abgeschlossen. Als Gesundheitssprecher nehme ich aber eher eine vorsichtige Position ein. Entscheidend ist, dass man einem jungen Menschen, der einmal einen Joint geraucht hat, nicht die Zukunft verbaut. Diesen Weg der Entkriminalisierung hat die SPÖ in der Regierung begonnen. Den müssen wir jedenfalls weitergehen.

STANDARD: Sie waren bis Montag auch Stadtparteichef von Klagenfurt. Menschen, die Sie kennen, sagen Ihnen langfristig Ambitionen auf den dortigen Bürgermeistersessel nach. Ist SPÖ-Klubchef nur eine Zwischenstation?

Kucher: Ich habe eine spannende Aufgabe übernommen, die mich wirklich ausfüllt. Dass ich immer wieder einmal ins Spiel gebracht werde, vielleicht irgendwann in die Kärntner Landesregierung oder die Stadt Klagenfurt zu wechseln, sehe ich positiv. Es freut mich ja, dass die Leute nicht sagen: Es ist besser, wenn der Kucher in Wien bleibt. (Martin Tschiderer, 23.6.2023)