Ist es jetzt an der Zeit, den Kuchen neu aufzuteilen?
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Wissen Sie, wie viel Ihre Kolleginnen und Kollegen oder Ihre Vorgesetzten verdienen? Würden Sie es gerne wissen? Doch überlegen Sie es sich gut, denn mit der Offenlegung starten Sie eine Debatte darüber, welche Arbeit wie viel wert ist, wie Wissen, Erfahrung und Leistung vergütet werden und ob noch weitere Kriterien einberechnet werden. Über diese Themen diskutierten vier Expertinnen, Nadine Nobile (New Pay Collective), Aldina Salihodžić (Team 23 Steuerberatung), Doris Berger-Grabner (FH Krems) und Stefan Waschmann (Fair Grading) – am 15. Juni in Wien bei der Veranstaltung "New Pay – Fair Pay? Wie wir verdienen, was wir verdienen". Es war der Auftaktevent der Eventreihe Campfire Sessions des Onlineportals NewWorkStories und wurde von Content- und PR-Beraterin Nicole Thurn moderiert und organisiert.

Besonders drei aktuelle Trends befeuern die Gehaltsdebatte: New Work, der Fachkräftemangel und das EU-Lohntransparenzgesetz. Ersteres ist gerade in aller Munde: flache Hierarchien, Homeoffice, Viertagewoche und neue Aufgaben- und Verantwortungsverteilung. Wenn die Aufgaben jedoch neu verteilt werden und sich die Rollen im Unternehmen verschieben, wäre es da nicht auch angebracht, über neue Gehaltsstrukturen nachzudenken? Immer dringender werden Menschen in Lehr- und sozialen Berufen gesucht. Oft fallen die Gehälter für diese Berufe gering aus.

EU-Lohntransparenzgesetz

Deswegen fordern viele, die Bezahlung für Berufe mit großem Personalmangel anzuheben und so mehr neue Mitarbeitende anzuziehen. Das EU-Lohntransparenzgesetz muss ab 2026 auch in Österreich umgesetzt werden. Vorrangig soll damit der Gender-Pay-Gap, also die Lohnschere zwischen Frauen und Männern, geschlossen werden. Je nach Anzahl der Mitarbeitenden müssen Firmen in regelmäßigen Abständen das geschlechtsspezifische Lohngefälle offenlegen. Auch haben Arbeitssuchende das Recht, die Gehaltsspanne für die jeweilige Position zu erfahren.

Dieses Tabuthema anzusprechen und die derzeitige Ordnung infrage zu stellen sind große Schritte. Vielleicht haben deswegen bisher nur wenige Firmen neue Gehaltsstrukturen diskutiert. Angenommen, man geht diese Herkulesaufgabe an: Nach welchen Kriterien will man Arbeit neu bewerten? Stefan Waschmann, selbstständiger Berater und Datenanalyst, stellte sein sogenanntes Fair Grading System vor.

Wie Kollektivverträge um neue Kriterien ergänzt werden könnten

Genauer betrachtet er dabei die Kollektivverträge und wie diese um neue Kriterien ergänzt werden könnten. Grundlage dafür wäre ein Punktesystem. So könnten psychische oder soziale Belastungen in das System gerechnet werden. Ein Beispiel: Eine Person arbeitet bei einer Helpline und wird durchgehend von Anrufenden beschimpft. "Das ist alles andere als alltäglich und sollte deshalb entlohnt werden", meint Waschmann.

Auch Kontrolle gehöre zu den extra zu entlohnenden Faktoren: "Eine Stewardess steht ständig unter Beobachtung. Das stresst Menschen und sollte deshalb anders entlohnt werden", sagt Waschmann. Welche Auswirkung das Unternehmen oder die Arbeit hat und welches Risiko mit der Arbeitsausübung einhergeht, sollte seiner Meinung nach ebenfalls in die Gehaltsstruktur mit einfließen. Das sind nur einige der zahlreichen Vorschläge, die die Wissenschaft macht.

Kollektivverträge zu ändern ist jedoch ein sehr komplexes Unterfangen. Diese Überlegungen sind deshalb hauptsächlich Zukunftsmusik oder basieren auf Freiwilligkeit. So profitieren wieder nur gut organisierte Angestellte davon, und die breite Masse kann nur davon träumen – wie das auch bei New-Work-Themen zu beobachten ist. In derzeitigen Arbeitsverträgen werden hauptsächlich die harten Fakten abgebildet und entlohnt, wie Ausbildung und Arbeitserfahrung.

Was "New Pay" heißt

Der Wert, den ein Mensch im Unternehmen hat, kann jedoch darüber hinausgehen. Manche Menschen halten beispielsweise durch ihre Verhaltensweise die Motivation im Team hoch, unterstützen andere stets oder sind besonders gute Teamplayer. Das ist allerdings quantitativ kaum feststellbar. Für Nadine Nobile, Co-Gründerin der New-Pay-Beratung CO:X, gehören sieben Dimensionen zum Trend des neuen Gehaltskonzepts, den sie New Pay nennt:

Neue Gehaltsschemata sollten gemeinsam im Team erarbeitet werden, sie sollten nachvollziehbar sein, die Teamleistung sollte mehr zählen als die Einzelleistung, ein hoher Grad an Selbstverantwortung müsse herrschen, das Schema sollte flexibel und immer wieder neu anpassbar sein, und es sollte von allen als fair wahrgenommen werden, also zumindest die Kriterien und das Verfahren sollten als gerecht empfunden werden.

"Es gibt keine 'One size fits all'-Lösung", sagt Nobile. In jeder Firma verläuft der Prozess anders, und das Endergebnis der Gehaltsverhandlungen falle ganz unterschiedlich aus. Am wichtigsten ist, dass das Team zusammen entscheidet. Zwei Beispiele zeigen, wie Organisationen versuchen, die Gehaltsstrukturen zu verändern. (Natascha Ickert, 29.6.2023)

Bei der Veranstaltung "New Pay – Fair Pay? Wie wir verdienen, was wir verdienen" diskutierten vier Expertinnen und Experten über neue Gehaltsmodelle.
Farangis Firozian
Auch kleine Veränderungen können viel bewirken, wie zum Beispiel Gehaltszuschüsse in bestimmten Lebensphasen.
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