Ein Junge mit einem Gipsbein.
Jungen Menschen mit komplizierten Knochenbrüchen könnte künftig eine zweite Operation erspart bleiben.
IMAGO/Westend61

Komplizierte Knochenbrüche sind für die Betroffenen eine langwierige Angelegenheit. Oft werden Schrauben verwendet, um die Knochen zu stabilisieren, doch zur Entfernung der Metallteile ist eine weitere Operation nötig. Diese könnte nun aber der Vergangenheit angehören. Die Kinder- und Jugendchirurgie des Uniklinikums Graz setzt seit diesem Jahr Schrauben aus Knochenmaterial ein, die nicht mehr entfernt werden müssen. Der Körper baut sie nach und nach zu eigenem Knochengewebe um. Die Innovation stammt aus Österreich und wurde in 19 Fällen bereits erfolgreich angewandt.

Manche Implantate im Körper wie künstliche Gelenke sollen möglichst lange halten, bei anderen wäre es wiederum besser, wenn sie sich von selbst auflösen: nach Knochenbrüchen zum Beispiel, die mit Schrauben fixiert werden. Bestehen diese aus einem Material, das der Körper abbauen kann, entfällt dann eine weitere Operation, um die Implantate zu entfernen.

An der Grazer Kinder- und Jugendchirurgie werden jährlich mehr als 3.200 Implantate eingesetzt, um unterschiedlichste Knochenbrüche zu fixieren. Wenn sie ihren Zweck erfüllt haben, müssen sie wieder entfernt werden, denn der Körper wächst weiter, aber das eingesetzte Metall nicht.

Bei Kindern und Jugendlichen

Seit Jahresbeginn geht man in Graz daher einen neuen Weg – mit einer österreichischen Erfindung, die von einer Linzer Firma und den Instituten für Biomechanik und jenem für Elektronenmikroskopie und Feinstrukturforschung der TU Graz entwickelt wurde. Es handelt sich um Schrauben, die aus Spenderknochen gefertigt sind. Damit sei man weltweit die einzige Kinder- und Jugendchirurgie, die diese Implantate in ihrer Traumaversorgung verwendet, wurde betont.

Der Grazer Chirurg Thomas Petnehazy erklärt die Funktionalität der Knochenschrauben: "Durch einen biointelligenten Prozess, der bereits in den ersten 24 Stunden nach der Implantation einsetzt, wird das Implantat in körpereigenes Knochengewebe umgebaut." Die Schraube werde von Zellen besiedelt, und eigenes Knochengewebe wird auf- und sie selbst dabei abgebaut. "Gefäße siedeln sich an, das Material revitalisiert sich, wird lebendig und schließlich als körpereigen anerkannt", erläutert er. "Deshalb wird es auch nicht abgestoßen, es kommt zu keinen lokalen Reizzuständen oder einer Lockerung, die wir aber bei Metallschrauben oder jenen Transplantaten, die auf Milchsäure-, Zucker- oder Magnesiumbasis hergestellt sind, durchaus sehen", ergänzt sein Kollege und Traumateamleiter Ferdinand Füsi.

Am Grazer Uniklinikum wurden die Knochenschrauben bisher 19-mal bei elf Patientinnen und Patienten erfolgreich in minimalinvasiver Operation eingesetzt. Der Eingriff dauert rund 45 Minuten. Die Betroffenen bleiben danach für einige Tage im Spital.

100 Eingriffe jährlich möglich

Das neue Material habe sich bei Gelenks- und Trümmerbrüchen bewährt, schilderte Holger Till, Vorstand der Uni-Klinik für Kinder- und Jugendchirurgie. "Aufgrund der guten Erfahrungen wird die Indikationsliste für den Einsatz ständig erweitert", sagte der Vorstand. Er hält vorerst bis zu 100 derartige Eingriffe jährlich in Graz für realistisch. "Was bedeutet, dass 100 Folge-OPs entfallen können und uns diese Ressourcen für andere Patienten zur Verfügung stehen", so Till.

Hergestellt werden die Implantate mithilfe einer eigens dafür entwickelten Technik aus biogenem Material, im konkreten Fall aus menschlichen Oberschenkelknochen. Durch einen Sterilisationsprozess seien höchste Sicherheit und der Erhalt der natürlichen Knochenstrukturen und Mikroarchitektur gewährleistet.

Entwickelt wurde das Material eigentlich zur Behandlung von altersbedingter Arthrose. Dort ist es seit längerem bei erwachsenen Personen im Einsatz. An der Uniklinik für Traumatologie und Orthopädie des Uniklinikums Graz kam es bei Kahnbeinfrakturen, die nicht heilen, zum Einsatz. Doch auch in der Fußchirurgie beim Fehlen von körpereigenem Knochenmaterial wurde das Verfahren bereits angewandt. (red, APA, 28.6.2023)