Frau sitzt vor Computer
Statt spätabends noch vor dem Bildschirm zu sitzen, machen Quiet Quitter pünktlich Feierabend. Auf die mentale Gesundheit wirke sich das positiv aus, sagt der Arbeitspsychologe.
imago images/Josep Suria

Unzählige Überstunden und wenig Wertschätzung: Dagegen regte sich im Vorjahr unter dem Schlagwort "Quiet Quitting" Widerstand – in den sozialen Medien und in der echten Berufswelt. Drei von zehn Beschäftigten in Österreich bezeichnen sich bereits als Quiet Quitter – haben ihren Job "still und leise" gekündigt und machen nur noch Dienst nach Vorschrift. Zu diesem Ergebnis kommt der "Workmonitor 2023" des Personaldienstleisters Randstad, für den neben Arbeitenden aus 34 Ländern auch 1.000 Österreicherinnen und Österreicher befragt wurden.

Gerhard Klicka, Arbeitspsychologe und CEO des Beratungsunternehmens Innovatives Betriebliches Gesundheitsmanagement (IBG), hält den Trend für eine neue Ausdrucksform der Diskussion um die Work Life-Balance: Das Arbeitsleben beherrscht nicht mehr länger die gesamte Lebensführung der Menschen. Das belegte – neben zahlreichen Studien – zuletzt auch die Randstad-Umfrage: Fast zwei Drittel der Erwerbstätigen ordnen Arbeit in ihrem Leben zwar als "wichtig oder sehr wichtig" ein. Allerdings stimmt auch jede und jeder Dritte der Aussage "Ich wäre lieber arbeitslos als unglücklich im Beruf" zu. Ein noch größerer Anteil (45 Prozent) würde kündigen, wenn der Job sie daran hindern würde, ihr Leben zu genießen.

Vor allem die jungen Generationen seien laut Klicka nicht mehr bereit, das Arbeitsleben dem Privatleben so unterzuordnen, wie dies in der Boomer-Generation noch selbstverständlich war. "Wir taumeln heute von einer großen Krise in die andere. Das Leben im Hier und Jetzt hat mehr an Bedeutung gewonnen. Und deswegen haben Werte wie Karriere und Erfolg nicht mehr den Stellenwert früherer Jahre", sagt er. Junge Menschen wollen ihr Leben genießen. Quiet Quitting sei ein Indiz dafür.

Abgrenzung im Job

Und wie beurteilt der Arbeitspsychologe diese Tendenz? "Jemand, der Quiet Quitting praktiziert, wird kaum ausbrennen. Die Person kann sich gut abgrenzen – gegenüber dem Arbeitgeber, gegenüber dem Job und auch gegenüber dem Kunden. Vom Standpunkt der Psychohygiene ist dies sicher gesundheitserhaltend."

Der Trend zum leisen Rückzug aus dem Job folgt dem US-Phänomen der massenhaften Kündigungen, das als "Great Resignation" bekannt geworden ist. Als Ausgangspunkt galt auch dafür die Pandemie, in deren Folge eine wachsende Zahl an überlasteten und meist schlecht entlohnten Beschäftigten ihrem Arbeitsplatz den Rücken kehrte. Auch die Quiet Quitter fühlen sich im Job unglücklich, gestresst und ausgelaugt. Der Unterschied: Viele von ihnen mögen ihre Arbeit eigentlich und wollen ihre Stelle nicht kündigen – den überzogenen Anforderungen, die seitens der Unternehmen an sie gestellt werden, wollen sie aber dennoch nicht mehr nachgeben.

Arbeitspsychologe Klicka sieht im Dienst nach Vorschrift vor allem im europäischen Arbeitsethos "nichts Verwerfliches". Niemand solle aus einem Arbeits- oder Dienstvertrag mehr erwarten als drinsteht und wofür bezahlt wird. Aber es müsse auch klar sein: Bei unbestimmten Arbeitsbeziehungen sei die Notwendigkeit stärker, sich als Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer abzugrenzen, als in einem arbeitsrechtlich gut strukturierten Umfeld.

Perspektivenwechsel notwendig

Wenn es gelingt, den Beschäftigten einen Arbeitsplatz zu bieten, wo sie Verantwortung übernehmen können und Wertschätzung erfahren, dann kommen sie auch gerne in die Arbeit, ist der Arbeitspsychologe überzeugt. "Klar ist aber auch, dass man ordentliche Löhne zahlen muss. Aber ich glaube nicht mehr, dass ein paar Euro Motivationsprobleme lösen. Das ist ein Prozess, der schon vor zehn, fünfzehn Jahren begonnen hat", sagt er.

Das Beratungsunternehmen IBG habe laut dem Arbeitspsychologen und Geschäftsführer in Großunternehmen bereits einige Arbeitszeitprojekte umgesetzt, in denen die Mitarbeitenden auf Gehalt verzichtet hätten, um mehr Freizeit zu erhalten. "Ich halte die alte Redensart für gesichert, dass Geld allein nicht glücklich macht. Dies gilt schon gar nicht für die Generation der 20- bis 40-Jährigen, die sich jetzt mit Quiet Quitting beschäftigt", sagt Klicka. 

Was rät der Arbeitspsychologe den Unternehmen im Umgang mit Quiet Quitting? "Firmen müssen signalisieren, dass das Phänomen des selbstbestimmten Lebens und der Work Life-Balance nichts Negatives ist. Die junge Generation kann heute in vielen Branchen – nicht überall – Forderungen stellen, die vor 20 Jahren absurd geklungen hätten. Wenn jemand sagt: 'Es ist jetzt fünf, jetzt gehe ich heim', dann ist dies nichts Despektierliches. Die Reaktion des Unternehmens sollte sein: Super, dass du auf dich achtest, und genieße deine Freizeit", sagt Klicka. Ein Arbeitsverständnis, in dem nur jemand Reputation aufbaut, wenn sie oder er täglich bis 22 Uhr im Büro sitzt, habe hingegen endgültig ausgedient. (dang, 29.6.2023)