Wie sich Quantenphysik und künstliche Intelligenz gegenseitig befruchten, dazu forscht der Quantenphysiker Hans Briegel. Vergangene Woche wurde er dafür vom Wissenschaftsfonds FWF und dem Wissenschaftsministerium mit dem höchsten Wissenschaftspreis des Landes ausgezeichnet: Für seine "bahnbrechenden Beiträge zur Quanteninformatik" hat Briegel den mit 1,5 Millionen Euro dotierten Wittgensteinpreis erhalten.

Quantencomputer
Quantencomputern mit künstlicher Intelligenz zusammenzuspannen, könnte für beide Seiten fruchtbar sein: Die Quantenforschung könnte von künstlicher Intelligenz profitieren, andererseits könnten Quantencomputer schnellere Lernverfahren bei KI ermöglichen.
Getty Images/iStockphoto

STANDARD: Die Forschung zu Quantencomputern hat in den vergangenen Jahren einen Boom erlebt. Andererseits gibt es immer noch keinen Quantencomputer, der klassischen Rechnern in der Praxis überlegen ist. Wie sehen Sie heute den Stand dieses Felds?

Briegel: Es gibt eine gewisse Goldgräberstimmung, und das ist sehr erfreulich. Sehr viele Firmen sind daran interessiert und investieren viel, weil es große Versprechen gibt und man diesen Zug nicht verpassen will. Natürlich ist auch ein Risiko damit verbunden. Nachdem ich in der Grundlagenforschung arbeite, bin ich diesbezüglich ziemlich entspannt. Es ist für mich persönlich nicht die wichtigste Frage, ob der Quantencomputer nun in fünf oder zehn Jahren steht. Mich interessiert am meisten, was man aus dem Konzept eines Quantencomputers lernen kann. Es ist schon überraschend, dass man die Quantenphysik dafür heranziehen kann, Rechenprozesse zu beschleunigen und eine neue Art von Computern zu bauen. Da fragt man sich, welche Überraschungen die Quantenphysik sonst noch für uns bereithält.

Der Quantenphysiker Hans Briegel wurde für seine Beiträge zur Quanteninformatik mit dem diesjährigen Wittgensteinpreis ausgezeichnet.
FWF/Dominik Pfeifer

STANDARD: Wann könnte es denn so weit sein, dass es Quantencomputer gibt, die tatsächlich nützlich sind?

Briegel: Jetzt ist erst einmal wichtig, Geduld zu haben. Es wäre zu kurz gedacht, wenn man annimmt, dass es in fünf Jahren einen Quantencomputer geben muss, denn sonst wird es gar nicht funktionieren. Wie viel man jetzt genau investiert, das muss jeder für sich entscheiden. Aber ich bin zuversichtlich, dass es langfristig neue Quantentechnologien geben wird, die unser Leben mitbestimmen werden.

STANDARD: Aus der Theorie ist bekannt, dass Quantencomputer bei bestimmten Problemen klassischen Rechnern überlegen sind, indem sie Quanteneffekte wie Superposition und Verschränkung für Rechenprozesse nutzen. Für welche Bereiche könnten Quantencomputer vorteilhaft sein?

Briegel: Ein bekanntes Beispiel ist der Shor-Algorithmus, der das Problem der schnellen Faktorisierung großer Zahlen löst (klassische Computer benötigen dafür eine lange Rechenzeit, was sich die aktuell gängigen Verschlüsselungsmethoden zunutze machen, weswegen verschlüsselte Daten durch den Shor-Algorithmus rasch ausgelesen werden können, Anm.). Das gilt als ein Leuchtturm einer Anwendung von Quantencomputern, was natürlich ungeheuer interessant wäre. Neuerdings werden Anwendungen beim maschinellen Lernen diskutiert, etwa wie die Quantenphysik genutzt werden kann, um bestimmte Lernverfahren zu beschleunigen.

Professor an der Tafel
Hans Briegel ist seit 2003 Professor für theoretische Physik an der Universität Innsbruck.
APA/EXPA/JOHANN GRODER

STANDARD: Neben Quanteninformatik beschäftigen Sie sich auch mit künstlicher Intelligenz. Wie passen diese beiden Felder zusammen?

Briegel: Es ist interessant zu beobachten, wo sich Quanteninformatik und künstliche Intelligenz berühren und möglicherweise gegenseitig ergänzen. Beides sind Schlüsseltechnologien, von denen man sagen kann, dass sie unser Leben im 21. Jahrhundert mitbestimmen werden. Es ist daher sehr spannend, dieses Zusammenspiel zwischen Quantenphysik und KI zu erforschen. Genau das machen wir, und diese Forschung geht in beide Richtungen: Wir schauen uns an, wie künstliche Intelligenz durch die Quantenphysik beschleunigt und effizienter gemacht werden kann. Andererseits interessiert uns auch, wie man Methoden der künstlichen Intelligenz für die Erforschung der Quantenphysik einsetzen kann, etwa durch autonome, lernfähige Systeme, die uns dabei helfen, Quantenexperimente zu machen oder Daten zu analysieren. Das sind sehr spannende Entwicklungen.

STANDARD: Zu künstlicher Intelligenz gibt es politische Diskussionen und ethische Debatten. Bei Quantentechnologien gibt es das noch kaum. Muss die Ethik von Quantentechnologien und künstlicher Intelligenz stärker diskutiert werden?

Briegel: Das Zusammenspiel von Quanteninformatik und künstlicher Intelligenz bietet mögliche neue Anwendungen und wirft natürlich auch Fragen auf. Bei KI gibt es die Diskussion, ob wir uns damit begnügen können, sie einfach wie eine Blackbox zu nutzen, die wir gar nicht verstehen, oder ob wir wissen wollen, wie genau die KI zu einer Lösung kommt und welche gesellschaftlichen Konsequenzen KI haben könnte. Ich bin der Meinung, dass es wirklich notwendig ist, eine erklärbare künstliche Intelligenz zu entwickeln. Und da könnte die Quantenphysik eine Rolle spielen. Gerade wenn wir KI für die Grundlagenforschung einsetzen, wird es ganz neue Herausforderungen geben, und die Suche nach Erklärbarkeit ist in der Grundlagenforschung und der Wissenschaft essenziell. Diese Frage ist dort aber auch gut aufgehoben. In einem neuen Forschungsprojekt schauen wir uns die Frage der Erklärbarkeit von Modellen von lernfähigen Systemen an, die auch quantisierbar sind.

STANDARD: Welche Herausforderungen ergeben sich, wenn künstliche Intelligenz in der Wissenschaft eingesetzt wird?

Briegel: Ich glaube, dass die Wissenschaft generell transparente Systeme braucht, bei denen wir sehen können, wie die Lösungen zustande kommen. Viele Methoden, die jetzt schon eingesetzt werden, sind sehr interessant, etwa die KI-Methoden zur Berechnung von Proteinstrukturen. Das hat ein riesiges Anwendungspotenzial und wird auch die Wissenschaft weiterbringen. Aber wir können in der Grundlagenforschung nicht bei allen Fragestellungen damit zufrieden sein, dass wir nur ein Ergebnis genannt bekommen, sondern wir wollen verstehen, wie das System dort hingekommen ist. Insgesamt ist in der Wissenschaft oft der Lösungsweg interessanter als die Antwort selbst.

STANDARD: In Ihrer Forschung beschäftigen Sie sich auch mit philosophischen Fragen. Welche Bedeutung hat die Philosophie für die Physik?

Briegel: Die Quantenphysik hat sich historisch von Anfang an mit philosophischen Diskussionen auseinandergesetzt, etwa mit Fragen zur Rolle des Beobachters. Wenn man sich mit Quantenphysik beschäftigt, kommt man automatisch zur Fragestellung, was eigentlich unser Platz in der Welt ist. Indem wir jetzt dabei sind, Technologien zu entwickeln, die eine bestimmte Autonomie bekommen und zum Teil selbst Experimente durchführen können, stellt sich die Frage erneut, was ein Beobachter im Sinne der Quantenmechanik ist. Der Zusammenhang zwischen der Quantenphysik und der Philosophie hat mich immer angetrieben. Die künstliche Intelligenz bereichert diese Fragestellung erneut und macht uns deutlich, dass wir nicht immer nur von uns reden können: Auch Artefakte könnten Experimente machen.

STANDARD: Sie haben sich auch mit der Frage des freien Willens beschäftigt. Wie verträgt sich der freie Wille mit den Naturgesetzen?

Briegel: Ich habe zu dieser Frage intensive Kollaborationen, insbesondere mit Thomas Müller von der Universität Konstanz. Es ist eine sehr wichtige Frage, wie weit wir die Möglichkeit von freiem Willen mit den Naturgesetzen vereinen können. Das ist eine philosophische Frage, aber ich glaube, dass die Physik dazu auch etwas sagen kann. Indeterminismus und Zufallsprozesse spielen eine wichtige Rolle dabei. Sie bringen nicht automatisch freien Willen hervor, aber sie sind eine Ressource, die wir verwenden können oder die Modelle von lernfähigen Agenten verwenden können, um einen gewissen Spielraum zu haben. Natürlich ist menschliche Freiheit noch viel mehr als dieser Spielraum. Auch bei der Frage vom freien Willen zeigt sich, dass sie durch die neuen technischen Möglichkeiten eine weitere Dimension bekommen hat. (Tanja Traxler, 3.7.2023)