Der Porsche 911 GT2 RS Clubsport.
Der Porsche 911 GT2 RS Clubsport.
Jörg Mitter/Red Bull Ring

Spielberg - Da sitze ich also nun im Porsche 911 GT2 RS Clubsport auf dem Beifahrersitz. Der Motor läuft bereits. In Kürze geht’s auf die Strecke, den Red-Bull-Ring in Spielberg. "Irgendein letzter Tipp?", frage ich meinen Fahrer. "Genieß es", antwortet mir Mark Webber, der frühere Formel-1-Pilot. Dann steigt der Australier aufs Gas. Und schnell denk ich mir: Na bumm.

Unser Bolide hat 700 PS und kann in 2,8 Sekunden von 0 auf 100 beschleunigen. Das ist für einen Rennwagen praktisch - aber für jemanden wie mich, der noch nie in einem solchen gesessen ist, gewöhnungsbedürftig. Man könnte fast sagen: Ich bin in den ersten Kurven überrascht, dass ein Rennwagen schnell ist.

Taxi Drive

Vielleicht lag das am harmlos anmutenden Namen der Aktion: "Taxi Drive". Dazu lud der Betreiber des Red-Bull-Rings, die Projekt Spielberg GmbH & Co KG. Solche Fahrerlebnisse können Laien unter dem Jahr buchen. Wer die Originalstrecke der Formel 1 mit dem eigenen Fahrzeug 20 Minuten erkunden will, zahlt 54 Euro. Ein Training in Boliden der Formel-4 und Formel-Renault 3.5. kostet Minimum 6.426 Euro. In meinem Fall sind’s drei Runden am Freitagabend. Mehrere Boliden nehmen teil - einen davon steuert mit David Coulthard ein weiterer ehemaliger F1-Fahrer -, Rennen ist es aber keines. Alle fahren brav hintereinander.

Ein Shuttle chauffiert einen Journalistenkollegen und mich vom Medienzentrum in eines der Heiligtümer der Rennstrecke, das Infield. So nennt man die Bereiche, die der Rundkurs umschließt. Hier sind etwa Feuerwehrleute stationiert, um gegebenenfalls schnell eingreifen zu können. Hier wird mitgeholfen, die reibungslose Organisation eines solchen Großevents sicherzustellen. Das merkt man. Zig Leute tummeln sich herum, aber jede Person scheint zu wissen, wann sie wo sein darf oder muss.

Ich muss ins Driving Center. Dort unterschreibe ich, dass mir die Gefahren im Motorsport bewusst sind, dass dieser im Extremfall Verletzungen oder den Tod herbeiführen kann.

Sicherheitsausrüstung

Die Sicherheitsanforderungen sind dementsprechend hoch. Zunächst: Ein dunkelblauer Rennanzug. Er soll durchaus eng anliegen, heißt es. Ich habe kurz Angst, dass ich mir beim Reinschlüpfen in die Ärmel die Schulter ausrenke.

Das Material ist dick. Mir wird heiß. Das hat aber freilich einen Sinn: Der feuerfeste Stoff soll Rennfahrer bei Unfällen schützen. Dazu dient auch eine Sturmhaube, die man unter dem Helm trägt.

Die Reisegruppe nimmt in einem verlängerten Golf Cart Platz. Dann: Pause. Rund um uns herum findet noch das um 18:30 Uhr gestartete Training des Porsche Super Cup statt. Prompt kommt ein Moped angefahren, das einen im rosa Overall gekleideten Piloten des Teams Lechner Racing wohl von der Rennstrecke ins Infield transportiert hat. Vermutlich nach einer Technikpanne. 

Legende Webber

Kurz darauf stehen wir vor der auserkorenen Fahrzeugflotte. Solche Raketen kennt man sonst nur aus "Fast and Furious". Der Puls steigt.

Aber bald steht der einzig nervenschonende Grund vor mir: Mark Webber. Der 46-Jährige hat eine erfolgreiche Motorsportkarriere hinter sich. Von 2002 bis 2013 absolvierte er 215 Rennen in der Formel 1, für Minardi, Jaguar, Williams und Red Bull Racing. Der österreichische Rennstall verbindet ihn mit der Steiermark. Webber hat neun Grands Prix gewonnen und wurde drei Mal Weltmeisterschaftsdritter. Kurzum: Der Mann beherrscht das Autofahren wie wenig andere.

Ich beherrsche nicht einmal das Einsteigen. Das ist bei einem Rennwagen, zu meiner Ehrenrettung, auch etwas anders als beim normalen Straßenauto. Die Einstiegsöffnung ist schmaler. Dafür sorgt allein schon der Überrollkäfig. Dessen Stangen sind rund um die Sitzplätze angebracht, um die Insassen bei Überschlägen zu schützen. Und dann wäre da noch Hans.

Nein, für einen dritten Mitfahrer wäre kein Platz mehr gewesen. Hans ist der Head-And-Neck-Support. Er soll verhindern, dass die Wirbelsäule bei einem Frontalcrash überdehnt wird. Das Schulterkorsett ist direkt am Helm montiert und sitzt schramm wie ein Schraubstock. Ein Mann assistiert beim Einstieg. Er hievt mich mit einer Art Rautekgriff nach oben, sodass ich meine Füße vorne reinsinken lassen kann. Danach folgt noch Oberkörperakrobatik. Irgendwie reinquetschen. Geschafft. Bei Profis sieht das sicher geschmeidiger aus.

Kurzes Kennenlernen mit Mark Webber (rechts) vor Fahrtantritt.
Kurzes Kennenlernen mit Mark Webber (rechts) vor Fahrtantritt.
Jörg Mitter / Red Bull Ring

4,3 Kilometer ist der Red-Bull-Ring lang und beinhaltet zehn Kurven und drei lange Geraden. Eine teuflische Mischung: Denn auf den Geraden nimmt man jeweils Geschwindigkeit auf – in der Formel 1 teils mehr als 300 km/h. Dementsprechend hart muss man die folgenden Kurven anbremsen. Etwas, wovor ich in Gedankenspielen vor dem Taxi Ride den allerhöchsten Respekt hatte. Webber versichert mir: "Wir werden uns erst langsam steigern". 

Harte Anbremsung

Das merke ich, als wir das erste Mal die Start-Ziel-Gerade entlangflitzen. 626 Meter ist diese lang. Der Tacho zeigt 180 an. Auch vor der nach Niki Lauda benannten Kurve eins geht Webber bei weitem nicht ans Limit. Er bremst relativ früh. Wir biegen auf die nächste Gerade ein und ich erlebe eine weitere Besonderheit des Rundkurses: Er ist hügelig.

60 Höhenmeter trennen den tiefsten vom höchsten Punkt der Strecke. Auf diesen bewegen wir uns zu. Die herannahende Kurve drei, die langsamste der Strecke, sehe ich kaum. Ich spüre sie. Webber drückt das Bremspedal durch. Mich drückt es komplett nach vorne. Kurzer Schock. Dann bedanke ich mich innerlich beim Erfinder des Sicherheitsgurtes. 

Eine idyllische Grünlandschaft umhüllt den Red-Bull-Ring. Die Fahrer wissen dieses besondere Flair zu schätzen. Wälder und Wiesen sind eine Abwechslung zu Häfen (Monaco) und Wüsten (Bahrain). Was ich davon wahrnehme? Absolut nichts. Mein Sichtfeld fokussiert sich praktisch ausschließlich auf den Asphalt vor mir. Damit sind meine Sinne schon voll ausgelastet. Hätte ich mit Webber eine Runde "Ich sehe was, was du nicht siehst" gespielt, hätte ich haushoch verloren.

G-Kräfte

An was ich mich dafür gut erinnern kann: Die Kurven sechs und sieben. Der Betreiber nennt dies "den technisch anspruchsvollsten Abschnitt". Die Strecke fällt hier ab. Die Piloten sehen den Kurvenscheitelpunkt erst sehr spät und müssen quasi blind einlenken. Für mich ist es eher ein Blind Date: Ich lerne die G-Kräfte so richtig kennen. So werden Belastungen genannt, die wegen starker Änderung von Größe und/oder Richtung der Geschwindigkeit auf den menschlichen Körper einwirken, verrät mir Wikipedia.

Kurve sechs und sieben sind zwei Linkskurven. Für mich wirkt es eher wie eine Weggabelung. Das Auto entscheidet sich für die linke Abzweigung. Mein Oberkörper und Kopf tendieren aber äußerst stark zur rechten. Das passt irgendwie nicht gut zusammen, merke ich schnell. Im Rennen müssen F1-Fahrer teilweise - je nach Strecke - Kräfte von rund 5G aushalten. Als der Franzose Romain Grosjean beim Grand Prix von Bahrain 2020 nach einer Kollision die Leitplanke durchschlug, überstand er 53G beim Aufprall.

Das Streckenprofil in Spielberg.

Ich schiele indes kurz nach oben. Nein, da ist leider nirgends ein Haltegriff angebracht.

Die Kerbs

Kurve sieben geht nahtlos in Kurve acht über, eine Rechtskurve. Wir brettern über die Kerbs. Die rot-weiß gestreiften Randsteine markieren die Streckenbegrenzung. Hier drüberzufahren erinnert mich daran, wie ich einst im Urlaub meinen Koffer mit Rädern über Kopfsteinpflaster gezogen habe. Diesmal bin ich der Koffer.

Nach drei Runden ist das Spektakel zu Ende. Kurz darauf biegt Webber in einen Seitenarm ins Infield ein. Nach dem Rauskraxeln ziehe ich Helm und Sturmhaube runter. Die frische Luft: Ein Segen. Mein Poloshirt unter dem Rennanzug ist komplett durchgeschwitzt. Webber kommt lächelnd zu mir. Für ihn war das Ganze eine Spazierfahrt. "Du bist ein guter Beifahrer", sagt er. Vermutlich meint er damit, weil ich mich nicht übergeben oder wie am Spieß geschrien habe.

Unsere Rundenzeiten betrugen etwa 1:30 Minuten. Zum Vergleich: Der Streckenrekord in der Formel eins steht bei 1:05,619 Minuten. Der Spanier Carlos Sainz stellte ihn 2020 auf. Ich frage Webber, was unsere Höchstgeschwindigkeit war. "Circa 250", sagt er. "Aber darauf kommt es nicht an. Die G-Kräfte sind entscheidend."

Körperliche Nachwehen

Da hat er Recht. Ich hatte mir fest vorgenommen, hin und wieder auf den Tacho zu schauen. Dazu kam ich aber nicht. Meine Augen waren mit zig anderen Eindrücken beschäftigt. Und letztlich hätte ich Webber auch 210 geglaubt. Auf einer Geraden zwischen sehr, sehr, sehr schnell und sehr, sehr, sehr, sehr schnell zu unterscheiden war für mich kaum wahrnehmbar. Die körperlichen Belastungen beim scharfen Anbremsen und bei G-Kräften in der Kurve haben indes bleibenden Eindruck hinterlassen.

Auch über die Fahrt hinaus. An der frischen Luft merke ich zwar zunächst nichts, aber je mehr das Adrenalin nachlässt, desto mehr spüre ich dann doch eine gewisse Mattigkeit. Mein Hirn dürfte noch in den G-Kräften gefangen sein, muss sich erst wieder entwöhnen. Ein seltsames Gefühl, das ich zuletzt nach einem wilden Fahrgeschäft im Wiener Prater hatte und mich diesmal in abgemilderter Form noch ein, zwei Stunden begleiten sollte.

Autos vom Porsche Mobil 1 Supercup.
Für die Grünlandschaft abseits der Rennstrecke reichte der Blick nicht. Das Bild stammt vom Porsche Mobil 1 Supercup.
IMAGO/HOCH ZWEI

Hochleistungssport

Und dazu muss man betonen: Ich bin freilich weit weg von der Form eines Leistungssportlers und bekam nur einen sehr, sehr kleinen Vorgeschmack davon, welche Belastungen echte Rennfahrer aushalten müssen. Jene der Formel 1 werden am Sonntag 71 Runden auf dem Red-Bull-Ring abspulen, nicht nur drei. Bei höherer Geschwindigkeit und höheren G-Kräften. Wer vor dem Fernseher sitzt und denkt, "die fahren ja nur im Kreis", irrt gewaltig. Das sind körperliche Höchstleistungen. Nackentraining inklusive, um die G-Kräfte auszuhalten. 

Vorm Fernseher kann man die Geschwindigkeit nur erahnen. Auf der Tribüne sieht man sie. Im Auto spürt man sie. Als ich wieder im Medienzentrum bin, begrüßt mich dort ein Journalistenkollege mit den Worten: "Du siehst ziemlich fertig aus". Kein Widerspruch. (Andreas Gstaltmeyr aus Spielberg, 2.7.2023)