Es gehört zur österreichischen Folklore, dass die Neutralität von den jeweils Regierenden stets so ausgelegt wird, wie es gerade passt. Fühlen wir uns bedroht, pochen wir stets auf die Schutzfunktion, die große westliche Nachbarn wie Deutschland und große westliche Bündnisse wie die Nato für uns kleine Neutrale haben. Fordern diese dann aber auch einmal eine Gegenleistung, geben wir uns gerne empört: Bitte, wir sind doch neutral, wir dürfen gar nicht, leider leider!

neutralität
Bundesregierung am Nationalfeiertag: Eine offene Debatte muss geführt werden – nicht nur über die Neutralität.
Imago / Isabelle Ouvrard

Das ist Neutralitätsverständnis über die Maschekseite – immer sind wir hintenrum mit dabei. Nun scheint es, als entsorge die jetzige Regierung eben diese so verstandene Neutralität wiederum über die Maschekseite. Man erinnert sich noch: Gleich zu Beginn des Ukrainekriegs erteilte Bundeskanzler Karl Nehammer jedweder Diskussion über die Neutralität eine Absage. Und jetzt? Klar machen wir mit bei internationalen Schutzbündnissen wie dem Sky Shields, das hat mit dem Anschluss an ein Militärbündnis aber rein gar nichts zu tun! Wir sind unschuldig in allem, was wir tun, wieder einmal. Wenigstens bewegen wir uns jetzt dabei ein Stückchen mehr in Richtung sicherheitspolitischer Wahrhaftigkeit – immerhin.

Die Wahrheit ist zumutbar

Bundeskanzler und Verteidigungsministerin haben in einem Punkt vollkommen recht: Österreich muss sich um seine eigenen Angelegenheiten, um den Schutz seiner kritischen Infrastruktur selbst kümmern. Wir können nicht bis in alle Ewigkeit darauf bauen, dass uns Nachbarn und Nato helfen – das ist gefährlich und fahrlässig, denn die haben möglicherweise genug zu tun um sich selbst zu schützen. Das bedeutet aber auch, Österreichs Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern klar zu sagen, dass dies ziemlich teuer wird – und dass wir noch nicht wissen, wie teuer. Allemal ist zu argumentieren, dass es das wert ist – mit Blick auf den Ukrainekrieg und auf das Chaos in Russlands Machtsystem.

Die offene Debatte, die etwa die Neos immer wieder zur Neutralität und zur Frage eines etwaigen Nato-Beitritts fordern, muss um die Frage erweitert werden: Sind wir alle davon überzeugt, zur westlichen Gemeinschaft zu gehören – nicht nur, was unsere Werte betrifft, sondern auch unsere politische, ökonomische und sicherheitsstrategische Ausrichtung? Wie halten wir es mit Putins Russland, wenn’s für uns persönlich unbequem wird?

Die FPÖ ist zwar für die Errichtung einer bombensicheren Festung gegenüber Migrantinnen und Migranten – aber strikt gegen einen Schutzschild gegen mögliche reale Bomben auf österreichische Ziele. Nun wäre dieser offene, fast schon absurd anmutende Widerspruch nicht weiter beunruhigend, führte die FPÖ nicht haushoch in allen Umfragen und wäre Herbert Kickl nicht bereit für den Sprung ins Kanzleramt.

Auch die SPÖ hat ihre liebe Not: Ist die EU nun das "aggressivste militärische Bündnis", wie Andreas Babler noch vor drei Jahren vermeinte, oder doch nicht? Führt Russland aus SPÖ-Sicht einen Aggressionskrieg gegen die Ukraine oder muss das noch intern ausdiskutiert werden?

Schließlich hat auch die Regierung einiges zu tun: Wie sieht es, abseits aller Bekenntnisse, mit dem endgültigen Ausstieg aus russischem Gas aus? Die Frage, die dieses Land vordringlich beantworten muss, lautet: Ist Österreich überhaupt politisch reif für eine Teilnahme am Sky Shield? Derzeit muss das bezweifelt werden. (Petra Stuiber, 3.7.2023)