Klimawandel, Gehirngröße, Temperatur
Zwischen dem Klimawandel und dem menschlichen Gehirn gibt es offenbar auf mehreren Ebenen Zusammenhänge.
Foto: Daniel Gómez

Das Gehirn eines durchschnittlichen modernen Menschen ist etwa dreimal so groß wie das Gehirn unserer Vorfahren vor rund einer Million Jahren. Das mag auch an der Körpergröße der Menschen liegen, die damals deutlich geringer war als heute. Doch die Gehirngröße dürfte in jüngerer Zeit auch mit klimatischen Bedingungen in Verbindung stehen – ein Umstand, der angesichts der aktuellen Klimaerwärmung künftig durchaus noch bedeutsam werden könnte.

Eine aktuelle Studie konnte nun frühere Arbeiten zu diesem Zusammenhang erneut untermauern: Klimaveränderungen in Richtung höhere Temperaturen haben demnach in der Vergangenheit zu einem Rückgang der menschlichen Gehirngröße geführt. Das Team um Jeff Morgan Stibel vom Naturhistorischen Museum in Kalifornien, das darüber nun im Fachjournal "Brain, Behavior and Evolution" berichtet, sieht darin eine Anpassungsreaktion.

Trends bei der Gehirnentwicklung

"Wir wissen zwar, dass das Gehirn in den letzten paar Millionen Jahren bei allen Menschenarten gewachsen ist, über andere makroevolutionäre Trends haben wird dagegen nur geringe Kenntnisse", sagte Stibel. "In Anbetracht der jüngsten globalen Erwärmungstendenzen ist es von entscheidender Bedeutung, die Auswirkungen des Klimawandels auf die Größe des menschlichen Gehirns und letztlich auf das menschliche Verhalten zu verstehen."

Der Kognitionswissenschafter und seine Kolleginnen und Kollegen haben daher in ihrer Arbeit untersucht, wie sich die Gehirngröße von 298 Exemplaren der Gattung Homo in den vergangenen 50.000 Jahren verändert hat – und diese Messungen mit den verfügbaren Informationen zu globalen Temperaturen, Luftfeuchtigkeit und Niederschlägen in Beziehung gesetzt. Die Daten zur Schädelgröße bezog Stibel aus zehn verschiedenen Studien, und sie basieren auf insgesamt 373 Messungen.

Signifikante Korrelationsmuster

Die Fossilien wurden nach ihrem Alter in Gruppen eingeteilt und diese wiederum mit den jeweiligen Klimaumständen verglichen. Als besonders ergiebig erwiesen sich dabei Temperaturdaten aus Eisbohrkernen des EPICA-Projektes Dome C (European Project for Ice Coring in Antarctica). Dieses lieferte ziemlich genaue Messungen der Oberflächentemperatur – mehr als 800.000 Jahre zurück in die Vergangenheit.

Die Analysen des Auf und Ab globaler Durchschnittstemperaturen zeigten ein signifikantes Korrelationsmuster: Die durchschnittliche Gehirngröße des Menschen nahm nach dem eiszeitlichen Maximum während der gesamten Wärmeperiode des Holozäns beträchtlich ab, konkret um etwas mehr als 10,7 Prozent. "Die Veränderungen der Gehirngröße scheinen Tausende von Jahren nach den Klimaveränderungen stattzufinden", erklärte Stibel. "Dieser Trend ist nach dem letzten glazialen Maximum vor etwa 17.000 Jahren besonders ausgeprägt."

Klimawandel, Gehirngröße, Schädel
Im Verlauf der vergangenen 50.000 Jahre hat sich die Gehirngröße des Menschen deutlich verändert. Die globale Durchschnittstemperatur dürfte dabei auch eine Rolle gespielt haben.
Foto: APA/AFP/MARTIN BERNETTI

Anpassung über viele Generationen hinweg

Die Studie ergab, dass auch die Luftfeuchtigkeit und die Niederschlagsmenge einen Einfluss auf das Gehirnwachstum haben, wenn auch einen geringeren. Eine schwache Korrelation wurde etwa zwischen Trockenheit und einem etwas größeren Gehirnvolumen festgestellt.

Das Team schloss aus seinem Vergleich, dass sich die Akklimatisierung innerhalb einer einzigen Generation vollzogen hat und die natürliche Auslese in nur wenigen aufeinanderfolgenden Generationen stattfinden kann. Die Anpassung auf Artniveau dagegen dauerte oft viele Generationen. Dieses Evolutionsmuster zeigte sich innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums von 5.000 bis 17.000 Jahren.

Folgen für die menschliche Kognition?

Die festgestellten Trends lassen sich laut Stibel durchaus auf aktuelle Entwicklungen umlegen. Der Forscher befürchtet, dass die fortschreitende globale Erwärmung langfristig auch schädliche Auswirkungen auf die menschliche Kognition haben könnte: "Selbst eine geringfügige Verringerung der Gehirngröße beim Menschen könnte unsere Physiologie in einer Weise beeinflussen, die noch nicht vollständig verstanden ist."

Was genau die Schwankungen in der Gehirngröße unserer Vorfahren verursacht, bleibt vorerst rätselhaft, zumal das Klima nicht für die gesamte evolutionäre Variation verantwortlich zu sein scheint. Laut Stibel könnten Ökosystemfaktoren wie Raubtiere, indirekte Klimaeffekte wie die Vegetation und die Nettoprimärproduktion oder nicht klimabedingte Einflussgrößen wie Kultur und Technologie zu den Veränderungen der Gehirngröße beitragen. "Insgesamt aber deuten die Ergebnisse darauf hin, dass der Klimawandel die Gehirngröße von Homo sapiens beeinflusst und dass bestimmte evolutionäre Veränderungen des Gehirns eine Reaktion auf Umweltstress sein könnten", so Stibel. (Thomas Bergmayr, 5.7.2023)