Leonore Gewessler mit Blumentöpfen
Gewessler rüttelt am Image von Österreich als Klimamusterland. Gleichzeitig ist fraglich, inwieweit es die neuen Gesetze schaffen, den CO2-Ausstoß zu senken.
Foto: Heribert Corn, Collage: der Standard

Leonore Gewessler schafft etwas, das nur wenigen anderen im Regierungsteam gelingt: Bei den meisten Menschen, die ihre Arbeit verfolgen, löst sie Emotionen aus. Die grüne Klimaschutzministerin und Managerin des Superressorts wird entweder geschätzt oder verachtet. Hü oder hott.

In der Umweltschutzszene hat Gewessler zahlreiche Fans, bei den Grünen ist sie unumstritten – in der ÖVP und Teilen der Wirtschaft gilt sie hingegen als Galionsfigur des falschen Dampfers. Gewessler polarisiert. Das liegt vor allem auch an ihrem Thema: der Klimakrise. Gewessler steht inmitten einer ideologischen Kampfzone.

Dabei lassen sich viele Probleme wie auch Lösungen aus ihrem Bereich sachlich beschreiben und beurteilen. Wie steht es um den CO2-Ausstoß Österreichs? Wie weit sind wir davon entfernt, die Klimaziele zu erreichen? Was ist die Bilanz der Klimaministerin, etwas mehr als ein Jahr vor der Wahl? DER STANDARD hat Gewesslers Ansprüche und die Wirklichkeit unter die Lupe genommen. Halten ihre Ankündigungen – oder ist vieles bloß Show?

Kapitel 1: Die Ausgangslage

Fast alle Parteien in Österreich sagen, sie halten Klimaschutz für richtig und wichtig. Doch sobald es konkret wird, könnten die Zugänge unterschiedlicher kaum sein. Kanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer beschwört den Erhalt des Verbrenners im "Autoland Österreich" mithilfe von E-Fuels. Die Grünen versprechen in ihrer Frühjahrskampagne sauberes "Klimaglück" und ringen um schärfere Gesetze. Dabei hat die Regierung gemeinsame Ziele schwarz auf weiß festgeschrieben.

In den Pariser Klimazielen ist fixiert, dass die Erderwärmung auf maximal zwei Grad begrenzt werden muss. Österreichs Parlament hat das Abkommen ratifiziert, also verbindlich zugesagt, seinen Teil dazu beizutragen. Die EU will bis 2050 klimaneutral sein, also nur noch so viel CO2 ausstoßen, wie die Natur wieder aufnehmen kann. Im Regierungsprogramm hat sich die türkis-grüne Koalition sogar auf noch mehr verständigt: Österreich will bereits 2040 klimaneutral sein – und eine Vorreiterrolle einnehmen.

An verpflichtenden europäischen Vorgaben und den selbstgesteckten Zielen muss sich die heimische Politik messen lassen – insbesondere die zuständige Klimaministerin.

"Sie ist neben Justizministerin Alma Zadić bestimmt eine der unbeliebtesten Grünen bei uns", sagt eine ÖVP-Politikerin. "In weiten Teilen der Partei ist sie extrem verschrien und sorgt mit ihren Ideen nur noch für Kopfschütteln." Gemeint ist: Gewesslers Liebäugeln mit Tempolimits, ihre Absage an den Lobautunnel, ihr Nein zu Fracking. "Sie ist eine große Belastung für uns", sagt die Türkise. Ähnliche Töne schlagen Teile der Wirtschaft an. Für so manchen Unternehmer ist die Politikerin zum Feindbild mutiert. Wirtschaftskammerfunktionäre werfen ihr Gesprächsverweigerung vor. In den Ländern wird gemault, Gewessler binde sie zu wenig ein.

Ein gängiger Vorwurf ihrer Gegner lautet: Mit ihren Ideen mache sie Österreich "arm". Mit überbordenden Vorgaben zerstöre die Grünen-Politikerin Österreichs Wohlstand – zum Beispiel, indem sie Elektromobilität fördere und auf Wasserstoff basierenden Antriebstechnologien kaum Beachtung schenke. In diesen Erzählungen schwingt auch Angst mit – etwa bei Zulieferern für die Automobilindustrie, die wissen, dass die ökologische Transformation schwierig wird. Gewessler erinnert sie daran.

In ihrem eigenen Haus fällt die Beurteilung nicht ganz so streng aus. "Sie ist schon eine knallharte Ideologin", sagt ein Spitzenbeamter des Klimaschutzministeriums. Unter anderen Ministerinnen und Ministern sei das Thema Verkehr "deutlich weniger aufgeladen" gewesen. "Sie ist aber auch eine gute Verhandlerin, fährt der Gegenseite im Fall ziemlich drüber", wird in ihrem Ministerium erzählt. "Mit Kompromissen tut sie sich schwer, im Zweifel will sie lieber nichts als zu wenig."

Was Gewessler jedenfalls tut: Sie rüttelt am Selbstbild von Österreich als Klimamusterland. Sie zeigt auf, dass der Weg noch weit und steinig ist. Vergessen darf man auch nicht: Sie ist eine Frau – sie wird anders bewertet, als es ein Mann würde.

Viel Zuspruch erlebt Gewessler in dem Sektor, aus dem sie kommt: der NGO-Szene. Dort lautet die Einschätzung zumeist: Noch mehr wäre immer besser, aber immerhin tut Gewessler mehr als all ihre Vorgängerinnen und Vorgänger zusammen. "Durch das Erstarken der FPÖ hat die Volkspartei begonnen, alle Themen aus dem Bereich der Klimaschutzministerin zum Kulturkampf zu erklären", sagt ein Stratege aus dem NGO-Bereich. "In dieser schwierigen Situation holt Gewessler das Machbare heraus."

Quellen: Wifo, Umweltbundesamt; Grafik: der Standard

Kapitel 2: Das russische Gas

"Wenn wir jetzt schnell sind, können wir schon 2027 unabhängig von russischem Erdgas sein." Leonore Gewessler, April 2022

Stark geprägt wurde die Arbeit Gewesslers als Energieministerin von den Folgen, die Russlands Angriff auf die Ukraine hatte und weiter hat: Russisches Erdgas, das lange Zeit bis zu 80 Prozent des österreichischen Verbrauchs deckte, sollte ersetzt werden. Und zwar nicht irgendwann, sondern zügig, Schritt für Schritt. Ein Embargo von Gas, wie dies andere Länder in der EU lautstark forderten, lehnte Österreichs Bundesregierung, aber auch Energieministerin Gewessler ab: Ein abruptes Aus für Gasbezüge aus Russland wäre für Österreichs Wirtschaft, aber auch für die hunderttausenden Haushalte, die hierzulande mit Gas heizen und kochen, auf die Schnelle nicht machbar. So lautete die Argumentation, auch in Deutschland übrigens, das ähnlich stark am russischen Gashahn hing.

Hing deshalb, weil sich Gewesslers Amtskollege in Berlin, Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), spätestens mit den Anschlägen auf die Ostseepipeline Nord Stream im vergangenen Sommer in Windeseile um alternative Bezugsquellen für Gas umschauen musste. Es gelangte schlicht kein Pipelinegas mehr von Russland nach Deutschland.

In Österreich war diese Dringlichkeit nie gegeben; einmal kam mehr, einmal weniger Gas aus Russland in Baumgarten an der österreichisch-slowakischen Grenze an. Aber es kam immer. Die OMV hat noch dazu Lieferverträge bis 2040 laufen, ergo wenig Interesse, aus eigenem Antrieb auf russisches Gas zu verzichten. Dieses ist auch unter den veränderten Umständen noch immer deutlich günstiger als vergleichbare Mengen aus Norwegen oder Flüssigerdgas, LNG, das in Schiffsbäuchen über die Weltmeere transportiert wird. So ist es nicht weiter erstaunlich, dass zwar für den Fall, dass Russland den Gashahn zudreht, Vorkehrungen getroffen wurden. Dazu gehört Gas, das als Sicherheitsreserve eingespeichert wurde. Dazu gehören auch Transportkapazitäten, die von der OMV mit finanzieller Unterstützung der Republik präventiv gebucht wurden, um LNG vom Mittelmeer oder der Atlantikküste nach Österreich zu bringen. Aktiv hat man sich weniger bemüht, vom russischen Gas wegzukommen.

Fazit: Es gab Absichtserklärungen en masse, von russischem Gas loszukommen. Gelungen ist das nur rudimentär.

Kapitel 3: Das entscheidende Klimaziel

"Erstmals wirkt der Klimaschutz in Österreich. Wir sind aber noch nicht am Ziel." Leonore Gewessler, Juli 2023

Bisher hat sich zu wenig getan. Österreichs Treibhausgasemissionen sind in der Pandemie zwar kräftig gefallen, haben seither aber wieder zugelegt. Insgesamt sinken die Emissionen, aber viel zu langsam. Um die selbstgesteckten Ziele bis 2040 zu erreichen, müssten die Emissionen aktuell bereits um 23 Prozent niedriger ausfallen, als sie es tun. Und auch im EU-Vergleich schneidet Österreich nicht gut ab: Der CO2-Ausstoß pro Kopf liegt leicht über dem EU-Schnitt.

Gewessler gibt sich zuversichtlich, dass die verschiedenen Klimagesetze aus den vergangenen Jahren langsam zu wirken beginnen – sie stützt sich allerdings auf Szenarien, von denen noch nicht klar ist, ob sie gänzlich eintreten werden. Diese Woche hat das Umweltbundesamt neue Zahlen präsentiert, wie stark die bereits beschlossenen und ausgearbeiteten Gesetze den CO2-Ausstoß senken. Das Ergebnis: Bis 2030 werden die Emissionen um 35 Prozent fallen – wenn sämtliche Regelungen umgesetzt werden. Dazu zählt auch das Erneuerbare-Wärme-Gesetz, das derzeit im Nationalrat festhängt. Es würde den Ausstieg aus Gasheizungen bis 2040 fixieren. Selbst wenn eine Einigung auf das Heizungsgesetz gelingt, fehlen 13 Prozent an Emissionen, die Österreich zusätzlich einsparen müsste, um die EU-Vorgabe zu erreichen. Sie sieht vor, dass Österreich seine Emissionen bis 2030 um 48 Prozent senkt. Gewessler will nun in einem breiten öffentlichen Prozess Vorschläge einholen, wie die Lücke geschlossen werden soll. Wer an einer Stelle bremst, soll sagen, wie es besser geht, so das Motto.

Fazit: Österreich hat die Klimapolitik in den vergangenen Jahrzehnten verschlafen und tut bis heute zu wenig. Von den Klimazielen sind wir noch weit entfernt.

Kapitel 4: Das Koalitionsabkommen

"Wir starten eine starke klimapolitische Aufholjagd." Leonore Gewessler, Dezember 2020

Keine Frage, die Regierung hat eine Reihe an Vorhaben aus dem Koalitionsprogramm umgesetzt, die dem Klimaschutz dienen sollen. Dazu gehört das österreichweite Klimaticket, das regelmäßiges Bahnfahren verbilligt. Über 200.000 Menschen haben das Ticket bereits gekauft. Die ÖBB kommen den Fahrgastrekorden in starken Reisezeiten kaum hinterher. Auch die Flugticketabgabe wurde umgebaut, Kurz- und Langstreckenflüge um ein paar Euro teurer, Langstreckenflüge etwas billiger. Der Ausbau erneuerbarer Energien wird finanziell forciert. Eingeführt wurde auch erstmals ein CO2-Preis fürs Autofahren und Heizen. Eine durchschnittliche Tankfüllung kostet dadurch aktuell um etwa vier Euro mehr. Das Forschungsinstitut IHS hat analysiert, was die Steuer bewirkt: zu wenig. Der CO2-Preis sei zu niedrig, um "die Dekarbonisierung effektiv voranzutreiben."

Parallel zur Abgabe wurde der Klimabonus eingeführt. Die Idee dahinter ist simpel: Klimaschutz kostet die Menschen Geld – und schafft dadurch neue soziale Verwerfungen. Wer schon jetzt mit einem Elektroauto fährt und sich eine Wärmepumpe geleistet hat, zahlt keinen Cent CO2-Abgabe. Wer auf Gas angewiesen ist, blecht. Der Klimabonus soll hier helfen und Einnahmen aus der Steuer rückverteilen.

Das Problem am Klimabonus: Haushalte bekamen mehr Geld zurück, als sie ihr klimaschädliches Verhalten kostet. Das macht den Verzicht aufs Auto oder den Umbau der Heizung weniger reizvoll. Die grüne Hoffnung lautet, dass der CO2-Preis kontinuierlich steigen wird.

Andere Punkte aus dem Koalitionsprogramm wurden erst gar nicht angegangen: So sind Pendlerpauschale und die Lkw-Maut noch nicht "ökologisiert". Dabei gilt die Pendlerpauschale als klimaschädliche Subvention par excellence. Die Pauschale, die schon in normalen Jahren mehr als eine Milliarde Euro kostet, wurde im Zuge der Inflationskrise sogar befristet angehoben.

Im Regierungsabkommen ist auch die Rede davon, "Kostenwahrheit" bei Emissionen herzustellen. Gelesen wurde das als Ankündigung, klimaschädliche Subventionen von zuletzt 5,7 Milliarden Euro pro Jahr zurückzudrängen. Geschehen ist das nicht.

Und: Wichtige Gesetze, auf die sich ÖVP und Grüne verständigt hatten, fehlen. Das Erneuerbare-Wärme-Gesetz bedarf im Nationalrat einer Zweidrittelmehrheit, SPÖ und FPÖ verweigern sich. Nur in abgespeckter Form wurde das Energieeffizienzgesetz beschlossen: Es gibt das Ziel vor, 18 Prozent des Energieverbrauchs bis 2030 einzusparen. Auch hier bräuchten die Regierungsparteien eine Zweidrittelmehrheit, um die Bundesländer zum Sparen zu verpflichten. Auch ein neues Klimaschutzgesetz, das für alle Wirtschaftsbereiche Ziele für eine Emissionsreduktion festlegen würde, gibt es bislang nicht.

Fazit: Einige der Vorhaben der Grünen sind umgesetzt – die CO2-Bepreisung etwa bewerten Experten allerdings als zu niedrig und unambitioniert. Außerdem stehen mehrere entscheidende Gesetze aus dem Koalitionsabkommen noch aus.

Leonore Gewessler
Leonore Gewessler (Grüne) ist seit Jänner 2020 Ministerin für Klimaschutz, Energie und Verkehr.
Heribert Corn

Kapitel 5: Ausbau erneuerbarer Energie

"Wir sind jetzt auf dem besten Weg zu hundert Prozent Strom aus erneuerbaren Energien bis 2030." Leonore Gewessler, Dezember 2021

Das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz stellt einen der größten Erfolge Gewesslers dar. Es bringt hohe Fördersummen und schreibt fest, wie stark die Stromproduktion aus erneuerbaren Quellen steigen muss. Warum der Ausbau trotzdem stockend vorangeht? Es fehlen Flächen und Genehmigungen, und über beides entscheiden die Länder. Vertreter der Solar- und Windenergiebranche fordern allerdings auch Nachbesserungen auf Bundesebene, etwa bei der Vergabe der Förderungen.

Wie der Ausbau bisher läuft, zeigen die Daten des Klimadashboards: Bis 2030 müssen jeden Monat zehn zusätzliche Windräder gebaut werden, um das Ziel von knapp über 17 Terawattstunden zu erreichen. Bei der Solarenergie geht es schneller voran, dort hat der Ausbau seit 2020 deutlich angezogen. Bis zum Ziel ist es aber auch hier noch weit: Bis 2030 sollen mit Sonnenenergie über 13 Terawattstunden erzeugt werden – das wäre mehr als eine Verdreifachung der aktuellen Kapazität.

Würden die Österreicherinnen und Österreicher 2030 so viel Strom verbrauchen wie heute, wäre es realistisch, dass der gesamte Bedarf bis dahin aus erneuerbaren Quellen gedeckt wird. Bloß ist davon auszugehen, dass wir bis dahin mehr Strom verbrauchen als jetzt – durch mehr E-Autos und Wärmepumpen. Aktuell kommen rund 80 Prozent unseres Stroms aus erneuerbaren Quellen. Vor allem aufgrund von Benzin- und Dieselautos sowie der Energiegewinnung mit Erdgas sieht die Gesamtbilanz dennoch düster aus: Der gesamte Energieverbrauch Österreichs wird derzeit zu rund drei Vierteln aus fossilen Quellen gedeckt.

Fazit: Der Ausbau erneuerbarer Energiequellen stockt und muss noch deutlich beschleunigt werden.

Kapitel 6: Kampf gegen die Teuerung

"Wir nehmen also auch Unternehmen in die Pflicht, um Energie zu sparen." Leonore Gewessler, September 2022

Seit Beginn der Inflationskrise ist kaum ein Monat vergangenen, in dem die türkis-grüne Regierung nicht ein Antiteuerungspaket vorgelegt hat. Die Ausgaben sprudeln. Das Wifo hat kürzlich errechnet, dass Österreich bis 2026 kumuliert 48,7 Milliarden Euro ausgeben wird. Das entspricht dem vierfachen Bildungsbudget 2023.

Etwas mehr als ein Drittel dieser Ausgaben sind Zuschüsse zu Energiekosten. 93 Prozent davon haben "klimakontraproduktive Wirkungen", wie das Wifo schreibt, weil die Regierung bei den Hilfen keine Energiesparmaßnahmen vorgeschrieben hat. Ein Beispiel: 4,5 Milliarden Euro bekommen Betriebe im Rahmen des Energiekostenzuschusses. Gefördert werden Kosten für Strom, Gas und sogar Sprit.

Gewessler kündigte zwar an, Unternehmen in die Pflicht zu nehmen, passiert ist das nicht. Die Vorgaben sind lasch: Betriebe, die sich fördern lassen, müssen ihre Beleuchtung im Außenbereich in der Nacht abschalten, außerdem ist draußen das Heizen verboten. Kontrolliert wird de facto nicht.

Fazit: Der Staat bewegt Rekordsummen, Klimaschutz spielt dabei jedoch kaum eine Rolle.

Leonore Gewessler
Umweltministerin Leonore Gewessler.
Heribert Corn

Kapitel 7: Zu hart? Zu lasch? Die Zukunft

Die Grünen befinden sich in einem Dilemma. Ihr Markenkern ist der Kampf gegen die Klimakrise, die sich zusehends verschärft. Gerade wurde der heißeste Tag der Messgeschichte verzeichnet. Gleichzeitig will die Partei Zuversicht verbreiten und den Bürgern dabei nicht zu viel abverlangen. Das zeigt sich etwa an der grünen Kampagne zum "Klimaglück". Für manche Umweltaktivisten klingt das mehr nach "Happy-peppy-Klimaschutz", mit dem man der "krisenhaften Realität" nicht gerecht wird. Die Grünen wollen vermeiden, dass sie das alte Narrativ bedienen, sie seien eine "Verbotspartei". Doch vieles wird ohne Einschränkungen nicht gehen – Tempo 100 auf der Autobahn gilt als eine der am leichtesten umsetzbaren Maßnahmen.

Nach dreieinhalb Jahren zeigen sich die Grünen dennoch zufrieden: Sie hätten mehr erreicht als erwartet. Die Partei ist mit Pragmatismus in die Regierung gegangen: besser ein Stück vorwärtskommen, als gar nicht.

"Und es wird auch noch was gehen bei Klimaschutzmaßnahmen, die ÖVP braucht schließlich auch noch Erfolge", sagt ein Grüner. Er meint damit: Die Grünen werden die ÖVP in Verhandlungen zu anderen Themen noch unter Druck setzen können, um eigene Anliegen durchzuboxen. Fraglich ist, was der große Koalitionspartner noch vorhat. Denn die ÖVP hat das Geld an ihre Klientel bereits verteilt: Die Unternehmenssteuern sinken, die kalte Progression ist abgeschafft, Unternehmenshilfen sind zugesagt.

Womöglich haben die Grünen kein echtes Druckmittel mehr und müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, ihr Verhandlungsgewicht nicht richtig eingesetzt zu haben. Wenn Gewessler keines der noch schwebenden Vorhaben auf den Boden bringt, könnte die Klimabilanz der ersten grünen Regierungsbeteiligung lauten: bemüht, zu zahm und zu wenig erreicht. Auch wenn von Anfang an klar war, dass nach vier Jahren in der Regierung am Ende ein "zu wenig" stehen würde. Die Grünen sind eine Kleinpartei, die Veränderungen, die jetzt nötig sind, um die Erderhitzung abzubremsen, hingegen gewaltig.

Und Gewessler? Im "Vertrauensindex" der Nachrichtenagentur APA liegt die Klimaschutzministerin an der letzten Stelle der grünen Regierungsmitglieder – sie gilt dennoch als Zukunftshoffnung ihrer Partei. Es gilt als relativ sicher, dass Grünen-Chef Werner Kogler auch kommendes Jahr noch einmal als Spitzenkandidat in die Nationalratswahl ziehen wird. Doch irgendwann wird der 61-Jährige die Partei übergeben. Sie ist eine seiner potenziellen Nachfolgerinnen.

"Das Format dazu hätte sie", sagt ein Stratege aus der Umweltszene. "In ihrer Partei ist sie beliebt, Managementqualitäten hat sie auch." Klar ist: Will sie Grünen-Chefin werden, wird sie sich politisch breiter aufstellen müssen. Klimaschutz ist ein Kernbereich der Partei, aber eine Spitzenkandidatin muss auch über Bildung und Sicherheitspolitik reden können. Vielleicht wird Leonore Gewessler in Zukunft auch in politischen Debatten außerhalb ihres ministeriellen Spektrums Stellung beziehen – und noch mehr Angriffsfläche bieten. (Katharina Mittelstaedt, Alicia Prager, Andras Szigètvari, Günther Strobl, 7.7.2023)